Lothar Streblow
SAGA Egmont
Ruscha, der Fischotter
Copyright © 1988, 2018 Lothar Streblow und Lindhardt og Ringhof Forlag A/S
All rights reserved
ISBN: 9788711807545
1. Ebook-Auflage, 2018
Format: EPUB 2.0
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„Die Frage nach dem tierlichen Bewußtsein hat die Menschen schon immer gefesselt, weil Haus- und Wildtiere gleichermaßen unsere Bewunderung und Neugier erregen. Sie verlocken uns dazu, in ihre Haut zu schlüpfen und uns vorzustellen, wie ihr Leben sein mag.“
Donald R. Griffin
„Gefühle sind es, die alle Kreatur dazu drängt, etwas zu tun oder, wenn es ängstliche Stimmungen sind, etwas zu unterlassen.“
Vitus B. Dröscher
Ein lauer Maiwind kräuselte die weite Wasserfläche, bewegte sacht das Laub der Bäume am Seeufer. Im Schilfdickicht quakte ein Teichfrosch. Ein Bleßhuhn stieg schwerfällig platschend auf. Und ein Graureiher zog mit ruhig schwingendem Flügelschlag am blaßgrauen Himmel seeabwärts. Sonst war es still. Nur der kleine Waldbach, der unweit einer zerzausten Erle in den See mündete, plätscherte murmelnd über herabgeschwemmtes Gestein.
Langsam wich die Nacht dem beginnenden Morgen. Der Horizont bekam einen lichten Schimmer, ließ schon die Sonne ahnen. Aber noch stand der Mond als bleiche Kugel über dem See, warf einen milchigen Schein über das Wellengekräusel, bis die Dämmerung ihn löschte.
Nun verstummte der Teichfrosch. Zwei langgestreckte elegante Schatten umspielten sich unter Wasser, immer wieder, dann trennten sie sich, ein wenig zögernd. Und ein stumpfschnauziger dunkler Kopf mit enganliegendem Haarkleid durchfurchte die Seeoberfläche und tauchte wenige Meter neben der Mündung des Rautenbachs in die Tiefe.
Geschickt wand sich die Otterfähe in den von Unterwasserpflanzen spärlich umsäumten Höhleneingang, spürte Grund unter den Pfoten und glitt schräg aufwärts in den trockenen, weich ausgepolsterten Wohnkessel. Sie war satt, hatte gemeinsam mit ihrem Gefährten ein Teichhuhn und zwei Schermäuse gefangen und später noch einige kleine Fische. Zufrieden leckte sie sich mit der Zunge über die Schnauze. Dann ringelte sie sich sorgsam um ihre beiden schlafenden Jungen.
Dunkel und warm war es in der Höhle. Das winzige Wesen, das neben einem anderen Jungen in der engen Erdkammer lag, sah die Dunkelheit nicht. Seine Lider waren noch geschlossen. Aber es spürte die Wärme, die vertraute Geborgenheit. Und es spürte die Nähe der zurückgekehrten Mutter.
Leise begann Ruscha zu fiepen. Ihr Bettelruf klang wie der Piepslaut eines Hühnerkükens. Die Otterfähe verstand sofort. Aber noch ehe sie bereitwillig ihre Zitzen bieten konnte, spürte sie eine winzige Pfote tastend an ihrem Bauch. Und auch das andere Junge schob ihr drängend seine kleine feuchte Schnauze entgegen.
Plötzlich bekam Ruscha einen tapsigen Schlag auf die Nase. Ihr Bruder Silm war kräftiger als sie. Ungestüm rangelte er an der mütterlichen Milchquelle. Ruscha piepste ängstlich und wehrte Silms Pfote ab. Jetzt war der Weg frei. Endlich konnte sie in Ruhe trinken.
Sie trank lange. Die Milch schmeckte ihr. Sie fühlte sich wohl und wurde müde. Erschöpft ließ sie das Köpfchen sinken. Ihr Bruder trank noch immer, unersättlich und gierig. Und Ruscha schlief ein.
Doch da spürte sie eine feuchte Zunge in ihrem Gesicht. Und eine sanfte, große Pfote wälzte sie herum, während die Zunge über ihren kleinen Körper leckte. Ruscha mochte diese Zunge. Es war ein warmes, zärtliches Gefühl. Und als die Zunge schließlich aufhörte, blieb das Gefühl von Zärtlichkeit.
Ihre Mutter schnurrte leise. Liebevoll umschloß sie die Kleinen ringförmig mit ihrem Körper und dem geschmeidigen Schwanz und legte ihren Kopf und die Vorderpfoten über sie. So waren sie geborgen für den Schlaf.
Gegen Abend hob die Fähe lauschend den Kopf. Oben vor dem Luftschacht ertönte ein leiser Pfiff. Diesen Pfiff kannte sie. Es war ihr Gefährte, der Vater der Kleinen. Er rief sie. Aber sie schätzte es nicht, wenn er der Kinderstube zu nahe kam, auch wenn er die Höhle sicherte und manchmal noch Futter brachte, wie er es kurz nach der Geburt getan hatte, als sie den Bau nur selten verließ. Nur als sie mit Schmerzen angstvoll in den Wehen lag, hatte sein Pfiff sie ein wenig getröstet. Jetzt aber störte sie seine Neugier.
Außerdem knurrte ihr Magen. Es war lange her, seit sie etwas zwischen die Zähne bekommen hatte: Tagsüber ließ sie ihre Kinder jetzt nie allein.
Mit geschmeidigen Bewegungen wand sie sich aus dem Bau. Der Rüde wartete oben neben der Erle, nahe beim Luftschacht. Weiter traute er sich nicht. Wütend fauchte sie ihn an. Und der Rüde zog sich zögernd zurück, glitt langsam ins Wasser. Doch seine Lockrufe verstummten nicht.
Die Fähe beruhigte sich wieder. Sie hatte ihn vom Bau vertrieben, das genügte. Dann folgte sie ihm in den See. Nur ein paar Luftbläschen verrieten ihre Spur.
Als Ruscha einige Tage später zum erstenmal die Augenlider hob, sah sie zunächst nicht viel mehr als einen fahlen Schimmer, der durch die Öffnung des Luftschachts zwischen den Erlenwurzeln hereinfiel. Das war ein seltsames Erlebnis, denn bisher kannte sie nur das Dunkel. Allmählich aber gewöhnten ihre Augen sich an das schwache Dämmerlicht. Und sie wurde neugierig.
Unbeholfen hob sie ihr Köpfchen. Vor ihr lag ein großes, warmes, pelziges Etwas. Und das duftete sehr angenehm. Diesen Geruch kannte Ruscha: Das war ihre Mutter, wo sie Milch fand, Wärme und Zärtlichkeit. Und daneben lag noch ein kleineres Pelzwesen: das duftete ein wenig anders. Und das war es auch, das sie mitunter stupste, wenn sie bei ihrer Mutter trinken wollte. Ruscha schnupperte aufgeregt. Und ihre kleinen Pfoten tapsten dabei gegen das weiche Fell.
Mit einemmal rührte sich das kleinere Wesen. Ihr Bruder Silm fühlte sich im Schlaf gestört. Unruhig wälzte er sich hin und her. Dann hob auch er den Kopf. Ruscha sah seine kleinen runden Augen, die sie aufmerksam anblickten. Und sie erschrak, als er seine winzige Schnauze aufriß.
Aber Silm gähnte nur. Er hatte schon einen Tag vor Ruscha die Augen geöffnet. Er kannte sich bereits aus. Und jetzt wollte er eigentlich nur schlafen. Mit einem leisen Fieplaut wälzte er sich auf die andere Seite.
In diesem Augenblick erwachte die Fähe. Die Unruhe im Bau hatte sie geweckt. Und sie musterte aufmerksam ihre Jungen. Dabei verdeckte sie mit ihrem großen Körper den Schimmer aus dem Luftschacht. Nun war es wieder fast so dunkel wie zuvor. Und Ruscha verkroch sich am Bauch ihrer Mutter.
Eine Weile lag sie so. Doch sie schlief nicht. Immer wieder hob sie ihr Köpfchen und suchte nach dem hellen Schimmer. Doch der blieb verschwunden. Schließlich bekam sie Hunger und stupste ihre Mutter Milch fordernd gegen den Bauch.
Ruscha schmatzte genießerisch. Das Geräusch machte auch ihren Bruder munter. Noch etwas verschlafen stieß Silm ihr seine Nase ziemlich unsanft in den Magen. Ruscha piepste erschrocken und ließ einen Augenblick die Zitze los. Dabei lief ihr die Milch in den Schnurrbart. Und sie leckte danach.
Inzwischen hatte Silm gemerkt, daß er an der falschen Stelle suchte. Unwirsch wälzte er sich herum. Und Ruscha bekam einen Tritt von seinen Hinterpfoten vor die Schwanzwurzel. Sie fiepte empört. Doch Silm kümmerte sich nicht um sie. Er wollte nur seine Milch. Erst als er eine Zitze gefunden hatte, konnte auch Ruscha weitertrinken.
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