1 ...6 7 8 10 11 12 ...33 Wie stark war der Einfluss von Gleichem auf Gleiches über Raum und Zeit?
Der Prozess der morphischen Resonanz nach Sheldrake, der die kosmische Ordnung mit einer Art Übergedächtnis vorgibt, die für alle Formen des Lebens zwingend ist, vom einfachsten Ordnungsfeld bis zum komplexen Charakter von Systemen. Franco, der sensible Schöngeist, war sich sicher, dass er seinen Geist zu ihr schicken konnte. Seine Gefühle. Sein Ich. Das musste sie spüren. Dessen war er sich sogar fast traumwandlerisch sicher und diese innere Sicherheit gab ihm die Kraft, die er benötigte, um die für ihn schwere Zeit der dreihundertvierundsechzig Tage zu überstehen. Da er bisher mit Stella keinerlei persönlichen Kontakt pflegte, musste die Bestätigung seiner These und die Antworten auf seine brennenden Fragen warten ...
Die fehlenden siebenundvierzig Tage, in denen er nicht direkt in ihrer Nähe war, hatte er in seinem Kalender schwarz angestrichen. Denn ein Tag, an dem Franco Stella nicht sehen und dadurch auch physisch nicht intensiv spüren konnte, ihre Aura in sich aufnehmen, sich an ihr erfrischen durfte, war für den jungen Mann aus der Toscana ein total verlorener Tag.
Aber die Tage, die in seinem Kalender schwarz trugen, entpuppten sich bei näherem Hinsehen als die Tage, die dennoch in einer besonders intensiven, fast mystischen Verbindung zu Stella standen. Wenn Stella übersinnliche Kräfte in sich trug – und daran glaubte Mignello junior fest, da er ihre Zahlen nach der Kabbala studiert und ausgewertet hatte –, sich ebenfalls mit Cheiros >Book Of Numbers< eingehend beschäftigt hatte, würden ihr, wenn das Schicksal es je zuließ, retrospektiv viele Dinge in einem anderen Licht erscheinen. Dann würde sich auch ihr kompliziertes und verworren erscheinendes Lebenspuzzle auflösen können.
Wir sind alle das Ergebnis
unserer ganz spezifischen Energieströme,
die in direktem Zusammenhang
mit allen uns erreichenden
Energieströmen des Kosmos stehen.
Gewisse Situationen, die für Stella Henderson in den vergangenen zwei Jahren zu ihrem normalen und arbeitsintensiven Alltag gehört hatten, bekamen bei genauerer Betrachtung eine völlig andere Gewichtung. Stella fehlten jedoch die Hintergrundinformationen für eine retrospektive Betrachtung ihrer selbst. Zu naiv/intuitiv war sie in das Geschehen der letzten Jahre mit Lichtgeschwindigkeit hinein gerast und sie ahnte nicht im Entferntesten, dass ein gewisser Dr. Franco Mignello, den sie nicht einmal kannte, schon mehrfach ihr Lebensretter gewesen war.
Franco Mignello hatte während der letzten rund acht Monate der laufenden Welttournee fünf Mordanschläge auf den Superstar vereiteln können. In vier der fünf Fälle akuter Lebensbedrohung hatten das seine Leute für ihn erledigt. Profis, die er ganz im Stillen zur Sicherheit der Rockdiva engagiert hatte. Dem Weltstar war nichts passiert; wie immer sie das ´arrangiert´ hatten – es war gut ausgegangen.
Nur einmal gab es für ihn selbst eine sehr unerfreuliche, anstrengende und nervenaufreibende Begegnung der unheimlichen Art in Miami Beach. Das Ereignis in Miami hatte ihn zu dem unumkehrbaren Entschluss gebracht, sich nie mehr direkt einzuschalten. Dem war er nicht gewachsen, das hielten seine Nerven nicht aus und er fragte sich seit dem Tag immer und immer wieder: Bin ich vielleicht ein Mörder oder nur ein Mordverhinderer? Oder wie ging das ‚Treffen‘ mit der Person eigentlich aus ...?
Seine Intuition, die einmalige Begabung sich in Situationen hineinzuversetzen, wie ein weltmeisterlicher Schachspieler die richtigen Züge weit im Voraus zu denken hatten sein persönliches Eingreifen erforderlich gemacht. Denn jede Hilfe der von ihm engagierten Profis, die die Sache auf ihre Weise geregelt hätten, wäre zu spät gekommen. Das lag an Stellas überraschendem day-off-timing während der Tournee. Aus welchen Gründen auch immer flog sie urplötzlich nach New York und dann, wenige Stunden später, von dort weiter nach Hause, nach Miami.
Franco Mignello war nicht nur ihr Lebensretter. Das wäre zu einfach. Die fünf Anschläge auf Stella im laufenden Jahr hatten ihre Ursachen in Stellas Bemühen, ihren Bruder Aaron zu rehabilitieren. Und dabei verstrickte sie sich mit ihrer geradlinigen, offenen und fast schmerzhaft direkten Art immer mehr in komplexe Machenschaften äußerst mächtiger Menschen. Anfangs war sie denen nur lästig. Dann störte sie offensichtlich deren Kreise. Und damit begannen sie, sich der lästigen Sängerin entledigen zu wollen, nachdem sie endgültig begriffen hatten, dass sie Stella nicht für ihre Zwecke benutzen konnten und sie zu einer ernsthaften Gefahr werden würde.
Das ´Entledigen´ konnte Franco bislang verhindern.
Neben den Ausnahmesituationen, die es für ihn zu bewältigen galt, griff Franco auch in anderen Situationen indirekt viel öfter in ihr Leben ein als Stella es ahnen konnte. Organisierte vieles zu ihrem Schutz, ebenfalls intuitiv. Der Schachspieler, der acht Züge im Voraus plant. Franco nahm Stella auf diese Weise etliche Lasten von ihren Schultern. Lasten, von denen sie nicht einmal ahnte, dass es sie überhaupt gab. Weder ihr Team noch sie selbst waren sich bewusst, dass sie während der letzten Monate in ständiger Lebensgefahr schwebte. Dass sie durch die feinen vibrations eines unscheinbaren und für sie unsichtbaren Typen aus Italy, der um die Gefahren wusste und die richtigen Maßnahmen ergriff, in lebensentscheidenden Momenten quasi ferngelenkt wurde. Mignello war zum guten Geist der Stella Henderson geworden. Völlig unreflektiert. Franco gab Liebe, altruistisch.
SCHACH WIRD VON ZWEI SPIELERN GESPIELT, DIE ABWECHSELND ZIEHEN. MAN SPIELT AUF EINEM SCHACHBRETT MIT 64 FELDERN, DAS HEISST, MIT 8 X 8 FELDERN. DIESE FELDER SIND ABWECHSELND SCHWARZ UND WEISS. DAS BRETT SOLLTE SO AUFGESTELLT SEIN, DASS JEDER SPIELER AN DER RECHTEN UNTEREN ECKE EIN WEISSES FELD VOR SICH HAT.
(Schachlehrbuch, Bobby Fisher, 1966)
Das klingt sehr einfach. Zwei Gegner, vierundsechzig Felder. Doch wie viele Möglichkeiten die sechzehn Figuren einer Partei, schwarz oder weiß, ins Spiel zu bringen! Die Bauern, Läufer, Türme, den König und die Königin zu dirigieren! Unzählige.
In dem besonderen Spiel der Henderson gab es nicht nur zwei Gegner. Es war ein Spiel der Ungleichgewichte und mit vielen Königen, Läufern, Springern. Auf der einen Seite Franco Mignello, der kauzige Einzelgänger und platonische Liebhaber der Rockdiva Stella Henderson. Auf der anderen Seite unzählige Gegner, gegen die Franco simultan anzutreten hatte. Zwanzig Partien gleichzeitig. Mit dem zusätzlichen Handicap, dass er immer nur die schwarzen Figuren hatte. ´Die´ waren nicht nur einen Zug voraus, sie schienen auch ständig die Spielregeln zu ändern, sie zu missachten. Und die traten irgendwie mit jeweils sechzehn mal sechzehn Figuren an. Pro Spiel. Gab es einen Überkönig, ein Dutzend weiterer Könige, wer waren die vierhundert Läufer im Spiel? Wer die zweitausend Bauern? Wie viele Bauernopfer? Wen musste es noch treffen, um das Spiel der Spiele zu entscheiden?
Schach.
Er, Franco, der schwarze König an seinem einsamen Brett, musste siegen. Spielte simultan gegen ein Dutzend und mehr unsichtbarer Gegner. Es galt, seine Königin, Stella, zu schützen. Schachmatt durfte es nur für die Gegner geben, die sich mehr als bedeckt hielten und von denen Franco nicht genug wusste. Bisher hatte er kontinuierlich gesiegt, in einem Spiel, dass für ihn mit vielen Unbekannten gespielt wurde, in dem schon seine Bauerngegner hochkarätige Vier-Sterne-Generale zu sein schienen. Bisher war er unbemerkt und unerkannt geblieben. Seine Königin blieb so unendlich fern von ihm und für ihn. Und dennoch mittendrin im Spiel um jeden einzelnen Sieg, der Leben bedeutete. Nacktes Leben, Überleben; für den Moment. Aber hatte er auf Dauer die Kraft gegen mehrere Gegner gleichzeitig an verschiedenen Fronten und auf unterschiedlichen Ebenen des königlichen Spiels anzutreten? Und stets gewinnen zu müssen, da sonst seine Geliebte, die weiße Königin, zerstört werden würde?
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