1 ...8 9 10 12 13 14 ...33 Ebenso unauffällig gleitet ein dunkelroter Rolls Royce Phantom die Nathan Road entlang, fährt auf das Planetarium zu, dem zwar markanten, aber architektonisch wenig gelungenen Bauwerk, biegt nach rechts in die Salisbury Road, streift das Peninsula Hotel, fährt von dort in die Canton Road, vorbei am Star House, dem Omni Hotel, lässt das Ocean Center links liegen, um dann sanft und noch immer unauffällig in die Peking Road einzubiegen und vor der Nummer 8 zu halten. Der Fahrer, livriert, wie es sich für den Chauffeur eines Rolls gehört, ist voller Konzentration. Der Phantom trägt das unter Chinesen gefragteste und sehr teure Kennzeichen 888.
Nummernschilder mit der Zahl 8 sind von reichen Hongkong- Chinesen unverändert begehrt, denn die 8 verkörpert Glück, Reichtum; man wird von Gott bevorzugt. Mit einer 8 im Kennzeichen kann dem Besitzer des Wagens nichts Schlechtes widerfahren. Nie und nimmer. Wer den Wagen mit der 888 fährt, gehört zu den Mächtigsten, den wahren Tai-Pans in Asien. Die verdreifachte Ziffer 8, die Zahl 888, wird von vielen Okkultisten für die Zahl Jesu Christi im Hinblick auf seine Erlöser-Berufung angesehen; im asiatischen Raum steht die Zahl für Buddha. Um das besondere, einmalige Kennzeichen – das von der britischen Stadtregierung versteigert wurde, kurz bevor die Chinesen die Macht übernahmen – zu erhalten, hatte der Besitzer des dunkelroten Rolls Royce gut zehn Millionen Hongkong-Dollar hinblättern müssen. Der Erlös aus Versteigerungen von begehrten Autokennzeichen floss unter den Briten traditionsgemäß sozialen Einrichtungen des Stadtstaates zu; vermutlich halten das die nun regierenden Chinesen ebenso. Aber: Darüber spricht man nicht und Touristen werden mit dem Zahlenchakra, das für die Chinesen ungemein wichtig ist, nicht belästigt.
Der Rolls hat sein Ziel erreicht. Der Hotelboy öffnet devot die hintere rechte Tür des fabrikneu ausschauenden Wagens und nickt dem schlanken, zierlichen Asiaten beim Aussteigen freundlich zu. Die Anfahrt zum Langham ist so unauffällig, wie man es von diesem Hotel erwartet. Der Ankommende hat das Gefühl, direkt in den Garagenpark des Hotels zu fahren. Nur die großzügige Messingtür, die roten Teppiche im nüchtern gehaltenen Eingangsbereich erinnern daran, dass man sich in ein Luxushotel begibt. Die Mengen von wohlhabenden Shopping-Touristen, vorwiegend Japaner, Amerikaner, Australier, fahren an den seitlichen Haupteingang des Hotels mit dem Taxi vor, wenn sie vom stets ergiebigen Shopping mit unzähligen Tüten und Kartons bepackt zurückkommen. Die, die weniger auf Shopping-Trips aus sind, erlaufen sich Teile der Stadt zu Fuß und erreichen durch den ebenso unauffälligen Vordereingang, eine Rolltreppe hochfahrend, die Lobby des Langham.
Kaum ist der zierliche und distinguiert wirkende Herr im maßgeschneiderten, dunkelgrauen Seiden-Kashmir-Anzug ausgestiegen, rollt der Rolls wieder der Ausfahrt entgegen. Sir Lincoln Lee geht gemessenen, doch zügigen Schrittes auf einen der vier Fahrstühle zu und wird im Gewusel der einkaufswütigen Touristen und Business-People kaum wahrgenommen. Die dezente Lobby verbirgt mehr als sie preisgibt. Wer das Langham aufsucht, bleibt anonym und bekommt dennoch den Luxus, den die anderen Five-Star-Paläste in Hongkong bieten. Genau das bezweckte Lincoln Lee, als er den Treffpunkt wählte und jetzt in den ersten Stock fährt, eben zu d e m Italiener der Stadt, bei dem man zwischen Geldtouristen, die sich das Dinieren hier leisten können, recht unauffällig sitzen kann. Seine beiden Gesprächspartner erwarten ihn schon am schönsten, von Lee reservierten, Tisch des Restaurants, der durch seine überdimensionale Größe ein wenig zu wuchtig wirkt: Eine runde, mit gestärktem Leinentuch gedeckte Tafel, an der zwölf Gäste bequem Platz haben. Der Tisch steht etwas abseits im Restaurant und ist Gästen vorbehalten, die es ruhiger wünschen. Von diesem Tisch hat man einen vorzüglichen Blick auf den Kowloon Park Drive, zum Hongkong Culture Center und sieht über die Meerenge hinüber zur imposanten Wolkenkratzer-Silhouette von Hongkong Island.
»Willkommen in Hongkong, Sam! Hatten Sie einen angenehmen Flug von Dallas?«, begrüßt Sir Lincoln Lee seine Gäste und zu dem anderen: »Wie ist das Wetter in Moskau? Ihr Präsident lässt ja keinen Tag vergehen, ohne zu erklären, dass in Ihrem Land die Sonne bald dauerhaft scheinen wird ... Aber was machen wir mit den vielen, rostenden Atomwaffen? Wohin damit? Bitte erinnern Sie mich daran. Wenn wir mit unserem eigentlichen Gesprächsthema zu Ende sind, sollten wir beide noch ein wenig darüber plaudern. Ich habe Interesse an etlichen hundert Raketen, vor allem an deren atomaren Material.«
»Danke der freundlichen Nachfrage, Sir Lee«, antwortete Nicolai Below. »Auch wenn Ihre Ironie zu Russlands Situation mich nicht trifft, weiß ich sie doch richtig einzuschätzen. Im Übrigen sollten Sie mal wieder nach Moskau kommen – Sie erkennen die Innenstadt nicht wieder! Die russische Gesamtmafia, bestehend aus den Spitzen der ehemaligen Nomenklatura, den Bossen des früheren KGB, angesehenen Bürgern jüdischen Glaubens und den weitläufigen Mafiosi-Familien wie Tschetschenen, Armeniern, Usbeken, Aserbaidschanern usw., hat es geschafft, dass unsere City inzwischen blüht und gedeiht; das Abzocken der Ressourcen Russlands und von über vierzigtausend Industriebetrieben zahlt sich aus! Diese Herren sagen nun – mit unterschiedlichen Interessen – Putin, Medwedew & Co. sehr deutlich, wie sie zu regieren haben! Das kann Vorteile mit sich bringen und ich beginne gerade, die Vorzüge auch für mich zu nutzen. Sie wissen ja: Volk ist Pöbel, den man zur Herstellung, dem Vertrieb und Kauf von Waren braucht, die man eigentlich zum Leben nicht braucht, von denen wir sagen, dass man die unbedingt braucht um glücklich zu werden – und die der Pöbel und die Neureichen dank guten Marketings tatsächlich kaufen, damit unsereiner reich werden kann. So einfach ist doch das Gesetz des Marktes oder irre ich mich? Auf die Raketen können wir nachher gerne zu sprechen kommen.«
Grinst, zupft dabei sein elegantes, dunkelrotes Seidentüchlein zurecht, das so gar nicht zu der ausladenden, imposanten, durchtrainiert wirkenden Statur des sehr europäisch, eher französisch ausschauenden Russen passt.
»Bitte lassen Sie uns gleich zur Sache kommen«, meldete sich Sam Sunrise in breitestem texanischen Slang, die Hand des Chinesen schüttelnd.
Fürchterlich, allein der Händedruck, dachte Lincoln Lee. Dass ich mir das antun muss. Ein Kretin, der ungepflegte, kulturlose Ami in seinen billigen Kaufhausklamotten! Der immer in Eile ist, damit er schnellstens an seinen Schreibtisch zurückkommt. Der sich bei jeder unpassenden Gelegenheit an das Geschlecht greifende Broker, der er letztlich ist und immer bleiben wird. Auch wenn ...
Mit freundlichstem Lächeln, seinem Gegenüber offen in die wasserblauen Augen schauend, entgegnete er jedoch in ausgesuchter Höflichkeit:
»Bitte, lieber Sam, das Essen in diesem Restaurant ist eine Zeremonie. Zerstören Sie die bitte nicht durch Business-Talk. Die Zeit müssen Sie sich einfach nehmen. Darauf bestehe ich. Ich darf Ihnen, meine Herren, ganz besonders den Fisch im schwarzen Mantel aus Trüffelpastete empfehlen. Sie können ihn nirgends auf der Welt in besserer Qualität bekommen.«
Wer am Tisch Nummer 8 sitzt und speist, muss in der Tat Zeit mitbringen. Viel Zeit, denn der Chefkoch bereitet jedes Detail des lukullischen Genusses für seine exquisiten Gäste höchstpersönlich zu. Und das von Lee bestellte Menü war erlesen. Ausgesucht von einem Feinschmecker, superb komponiert. Was keiner seiner beiden Gäste wusste, war, dass er die Gänge bereits am Vortag mit dem Sternekoch abgesprochen hatte und ihm das Hotel gehörte, auch wenn es den Namen einer US-Kette trägt, die es für ihn managt.
Für Sunrise war die überflüssige Prozedur indes eine unglaubliche Zumutung, war er doch immer in Eile. Burger sind halt schneller runtergeschlungen. Er war ein Gehetzter. Sein Job nahm ihn total gefangen, zu viele Dinge musste er ´speichern´, verwalten, dirigieren. Wo er auftauchte, entstand Nervosität, Unruhe, Hektik. Durch ihn fühlte sich jeder unter zeitlichen Druck gesetzt.
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