Stellas Körpersprache stand während des gesamten Konzertes total konträr zu ihrem ruhigen, eher langweilig zu nennenden, aber praktischen Bühnen-Outfit. Sagte man von Tina Turner, sie wäre einst in den frühen Siebzigern und sogar noch in den Neunzigern des vergangenen Jahrhunderts ein Vulkan auf der Bühne gewesen, der nur so vor Erotik strotzte und mit sichtbaren, sinnlichen Reizen nicht geizte, war die Turner gegen Stella Henderson wirklich nur noch eine überreife Frucht. Eine Frau – Hochachtung vor ihr! –, die lange Zeit mit großem Erfolg versucht hatte, die Blüte ihres Lebens festzuhalten.
Warum auch nicht! Das Leben ist brutal, Tina, ging es Meerbold durch den Kopf. Stella hat deinen Platz längst übernommen. Und richtig abfahren konnte ich auf dich nie, Tina, was deinen body angeht ... Wenn du verstehst, was ich meine ...
Meerbolds enge Jeans ließ es nicht zu, dass man von seiner Dauererektion zu viel mitbekam. Doch jede noch so sparsame Bewegung von Stella ließ ihn zusammenzucken. Die weiche, überaus harmonische Symphonie von rhythmischen Bewegungen ihres Körpers über zweieinhalb Stunden – das war einfach gigantisch! Jeder Zentimeter ihres leider für ihn mit viel zu viel Stoff umhüllten Körpers strahlte sensationelle, geballte, erotische Energie aus.
Stella war eins mit ihrer Band, regelrecht verschmolzen. Sie spielten und sangen wie aus einem Guss. Stella war eins mit ihren Hits, jeder einzelne aufreizend und stark. Voll Sinnlichkeit. Power und harte Rhythmen, die die Fans von einer Ekstase in die nächste trieben. Selten streute Stella neue und weniger bekannte Songs in ihr Programm. Sie konnte es sich leisten nur Hits zu spielen, so groß war ihr Repertoire inzwischen. Für fast jeden Titel holte sie sich einen ihrer Musiker mit nach vorne auf die Bühnenmitte. Sie wurden von dutzenden computergesteuerten Laser-Spots eingefangen und agierten nicht selten in einer derart intensiven, eindeutigen Körpersprache, dass Meerbold sich fragte, ob die Musiker bei dem explosiven Schauspiel darunter leiden würden von Stella ständig so angemacht zu werden, oder die Situation einfach nur genossen. Vielleicht hatten ihre Musiker ihm, Meerbold, ja auch schon einen Genuss voraus, von dem er seit langer Zeit träumte.
You never know!
Jetzt steht sie an der Bühnenkante, immer noch überwältigt vom anhaltenden Toben der Fünfzehntausend. Stella Henderson genießt ihren Triumph und durch die Bluse zeichnen sich die steil aufgerichteten Knospen ihres wundervollen Busens ab. Intensiver Beifall ist Erotik pur für Stella und einer der Gründe, wenn nicht der wichtigste, Rocksängerin zu sein und nicht Managerin einer Kosmetikfirma, Rechtsanwältin, Kongressabgeordnete oder Hausfrau. Sie zieht das Mikrofon noch einmal in eindeutiger Bewegung zu sich heran. Die Geste kannte man über Jahrzehnte hinweg schon von T.T. Nur dass sie bei Stella weniger vulgär, vielmehr natürlich-erotisch aussieht:
»Thank’s, thank’s a lot! Thank you Germany, thank you Frankfurt, thank you very much, my friends!«
Die Masse jubelt ihr noch ein letztes Mal frenetisch zu. Eine Verbeugung. Jetzt kommt sie direkt auf Meerbold zu. Geht in die Knie um ein paar der Hände zu berühren, die sich ihr gierig entgegenstrecken, die Beine weit gegrätscht.
Ihre Jeans wird eng, sehr eng und Meerbold starrt gebannt nur auf eine einzige Stelle.
III
WIR LEBEN IN PARALLELWELTEN.
ZEIT GIBT ES NICHT.
SIE IST EIN MECHANISCHES HILFSMITTEL,
UM NICHT DEN ÜBERBLICK ÜBER DAS LEBEN ZU VERLIEREN.
DOCH WIR KÖNNEN DEN RAUM KRÜMMEN,
VORWÄRTS UND RÜCKWÄRTS,
AUFWÄRTS UND ABWÄRTS
SEITWÄRTS UND SEITWÄRTS SCHAUEN
NUR MÜSSEN WIR ES ERST NOCH LERNEN. UND DANN VERSTEHEN ...
Danis
Frankfurt a.M.,
in der Nacht nach dem Konzert.
Franco Mignello saß schon weit über eine Stunde am Telefon. Telefonierte in seiner einmaligen Art mit Gott und der Welt. Das heißt, weniger mit Gott als mit der Welt. Und es waren, genau genommen, nur drei Personen, mit denen er parallel korrespondierte. Sie standen ihm menschlich nahe, auch wenn sie sich weit voneinander entfernt in verschiedenen Zeitzonen aufhielten.
In seiner Suite im Steigenberger Hof, die direkt neben der Suite von Stella Henderson lag, lief der Fernseher auf voller Lautstärke. Natürlich MTV, denn im Leben des Dr. rer. nat. Dr. jur. Franco Mignello gab es nur zwei echte Prioritäten:
Musik ... und Stella.
Und für den Augenblick das Telefon. Sein wichtigstes Kommunikationsmittel, durch das ihm gerade Informationen übermittelt wurden, auf die er schon mehrere Tage gewartet hatte und die er in Sekundenschnelle koordinieren musste. Zwei weitere Handys lagen neben dem Fernseher; Choe Chur in Tokio musste die neue Ballade der längst zahm gewordenen, aber noch immer Millionen Fans bedienenden Mutter Madonna ebenso über sich ergehen lassen wie James Waltham in Toronto. Für beide ein absolut widerwärtiger, ihrem Geschmack diametral entgegengesetzter ´Genuss´. Ein Affront. Die Herren respektierten das Übel. Denn Dr. Franco Mignello hatte darauf bestanden, dass sie in der Konferenzschaltung gefälligst »am Rohr« blieben, wie sich der Youngster auszudrücken beliebte.
»Kannst du mir wirklich bestätigen«, brüllte Franco dem dritten Partner, Zamko Wendrowu, den er in Bukarest aus dem Bett gerissen hatte, in den Hörer, denn die Qualität der Verbindung nach Rumänien war zumindest heute über die Hotelleitung mehr als dürftig, »dass Stella davon gewusst haben kann? Ist jeder Irrtum ausgeschlossen?«
»Natürlich, Franco. Der Botschafter hat mir bestätigt, dass sie in Dallas mit S. zusammen war, die ganze Nacht. Die haben einen Mitschnitt des Gesprächs. Du willst gar nicht wissen, was da ablief. Die ganzen Sauereien wurden anschließend wieder rausgeschnitten. Vergessen wir das, oh Pardon. Ich weiß, wie du zu ihr stehst, aber ... nun gut: Das Ergebnis war eindeutig. Der Para-Konzern erhält über Joe Wood seine Informationen. Es geht verdammt verschlungene Wege und wie die Araber da mit drinhängen, kann ich noch nicht mit Bestimmtheit sagen. Nur so viel: Bagdad scheint involviert zu sein. Wir wissen in diesem Augenblick noch nicht genau, um welche Thematik es geht, denn mit Rauschgift, wie wir anfangs vermuteten, hat die ganze Sache absolut gar nichts zu tun. Eher mit Elektronik. Denn du weißt, womit sich der Para- Konzern beschäftigt. Elektronik, Militärtechnik, Prozessorentechnologie. Die Rolle von S. gilt es noch zu analysieren. In Zusammenhang mit Wood und dem Para Konzern. Auch das weißt du, mein guter Freund.«
»Mr. Waltham, haben Sie gehört? Ach nein, entschuldigen Sie bitte. Sie haben mit großer Freude, glaube ich, Madonna in ihre Lauscher eindringen lassen müssen. Tut mir leid.«
Waltham antwortete mit einem tiefen Atemzug.
»Also«, fuhr Franco fort, zwischenzeitlich den Hörer von seinem Gesprächspartner in Bukarest auflegend, ohne mit Wendrowu noch ein Wort gewechselt zu haben. »Wood scheint unser Mann zu sein. Er und Sunrise kennen sich. Das ist nach den soeben erhaltenen Informationen eindeutig. Bitte lassen Sie ihn auf meine Kosten rund um die Uhr von Ihren besten Leuten überwachen. Ich muss wissen, ob er auch mit den Russen in Verhandlungen steht, nicht nur mit den Bossen des Para- Konzerns in Rio. Wir müssen schnellstens erfahren, worum es überhaupt geht, denn noch tappe ich im Dunkeln. Ebenfalls scheint Bagdad involviert zu sein. Was das soll, kann ich gar nicht einordnen. Es ist zwar ganz schön zu wissen, wer die Mitspieler in dem Abenteuergame sind, aber noch besser wäre es zu erfahren, womit die sich eigentlich beschäftigen. Uns fehlt noch immer der richtige Ansatz ...«
»Okay, Doc. Ich halte Sie auf dem Laufenden.«
»Ich danke Ihnen, Doktor Waltham. Und denken Sie bitte daran, dass meine Liebe stets Priorität hat!«
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