Es gab der jungen Zinta einen leichten Stich, dass ihre abenteuerlustige Mutter so leicht dazu bereit war, ohne sie weiterzuziehen. Dass sie sich bloß um die Prinzessin sorgte.
»Sie ist keine Kaiserin mehr«, hatte sie eingewandt.
»Jemand wie sie kann nicht einfach Schankmädchen spielen und glauben, sie wäre ein Mensch wie alle. Zukata könnte sie immer noch als Bedrohung empfinden. Vergiss nicht, er war schon einmal bereit, sie zu töten. Falls er sie je in der Reihe seiner Gegner vermutet … und bei Zukata reicht schon, dass er sich vorstellt, sie könnte ihm im Weg stehen … Du weißt, was ich damit sagen will. Niemand darf wissen, wer sie ist. Sie braucht einen neuen Namen. Keiner darf auch nur etwas ahnen. Die richtige Verbindung – vielleicht mit dem König von Wenz – könnte aus ihr eine ernst zu nehmende Gegenspielerin für Zukata machen. Viele Leute wären auf ihrer Seite. Alle, die genug von den Riesen haben.«
An dieses Gespräch dachte Maja jetzt, während sie versuchte, das versalzene Gebräu, das Stollos mürrischer Sprössling in dem Kessel angerührt hatte, in eine halbwegs genießbare Speise zu verwandeln.
König Oka von Wenz hatte Zukata öffentlich die Gefolgschaft aufgekündigt und seinen Austritt aus dem Kaiserreich erklärt. Ein wahnsinniges Unterfangen, das natürlich keinen Erfolg haben konnte, sondern nur zu weiterem Blutvergießen führen würde. Wenn jedoch Manina sich dazu gesellte und den verwitweten König ehelichte, würde diese Rebellion auf einen Schlag ein ganz anderes Gewicht erhalten. Andere Königreiche würden sich ihnen anschließen. Das Reich würde zerfallen, und irgendwann würde selbst Zukata die Lawine, die auf ihn zurollte, nicht mehr aufhalten können.
Was für eine unglaubliche Verschwendung, wenn Manina ihr Herz einem dahergelaufenen Reisenden schenkte, nur weil sie beobachtet hatte, wie die Sonne auf sein Gesicht fiel! Andererseits war das vielleicht das Leben, das sich die junge Frau wirklich wünschte. Ein Leben ohne Kriege, ohne Verhandlungen, Streitereien, die Verantwortung für Tausende … Ein Leben an der Seite des Geliebten, fernab von allem. Dem Krieg konnte man aus dem Weg gehen, wenn man nur wollte. Manina brauchte ihren wirklichen Namen nie wieder auszusprechen, sie konnte einfach tun, was sie wollte, leben, wie es ihr gefiel, sich ihr eigenes Schicksal gestalten. Sicherheit und Glück.
»Er ist da!« Aufgelöst stürmte das verliebte Mädchen in die Küche. »Du musst jetzt rausgehen, ich kann nicht! Er darf mich nicht sehen, nicht so!«
Maja wollte etwas sagen wie: Seit wann schämst du dich, im Gasthaus zu arbeiten? Sonst bist du doch immer so stolz darauf, dass du arbeiten kannst wie jeder andere auch. Aber sie blickte in das verzweifelte Gesicht ihrer Freundin und sah, dass es für kluge Sprüche nicht an der Zeit war. Sie musste aufpassen; am Ende führte diese Geschichte noch dazu, dass Manina ihre Identität preisgab, nur damit ein abgekämpfter Reisender sie nicht bloß für ein einfaches Schankmädchen hielt. Ehemals Kaiserin von Deret-Aif, Königin von Aifa, Erbin des Throns von Kirifas … und immer noch Prinzessin. Immer noch die Tochter des unvergessenen Kanuna El Schattik und Halbschwester von Zukata.
»Dann füll du die Suppe in die Teller. Sie müsste jetzt schmecken, hoffe ich. Wo ist das Brot?« Mit raschen Handbewegungen ordnete sie alles auf dem Servierbrett an. »Und wie erkenne ich deinen Schläfer?«
»Er ist der schönste Mann, den ich je gesehen habe«, stammelte Manina.
»Ja, sicher. Wenn es dich schon erwischen muss, dann auch richtig, wie? Wie sieht er aus, für Leute, die nicht völlig von Sinnen sind? Dunkel, groß, oder …?« Musste sie denn immer gleich an Sorayn denken, wenn es um den schönsten Mann der Welt ging? Schäm dich, Maja, rügte sie sich selbst. Das Herz taugt nicht, um jemanden zu beschreiben. Das Herz kann nur sagen: Dies ist er, den ich gewählt habe. Dies ist der, der mich verraten hat.
»Blond«, flüsterte die Kaisertochter. »Er ist blond. Er sitzt da hinten in der Ecke, unter dem schwarzen Balken. Du kannst ihn gar nicht verfehlen.«
Sie lächelte verzagt und ängstlich und doch von einem Glück beseelt, das sich nicht leugnen und verbergen ließ.
»Na, dann wollen wir uns den Auserwählten einmal ansehen«, sagte Maja, hob das schwere Tablett hoch und ging hinaus in die Stube.
Mit überlaufenden Krügen kam Stollo ihr entgegen. »Dort«, er bewegte den Kopf und wies damit in die hintere Ecke des Raumes, »der Mann wartet schon länger. Wo bleibt denn endlich das Essen?«
Maja drängte sich an ihm vorbei, ohne einen Tropfen Suppe zu verschütten. Sie balancierte ihre Last vor sich her durch eine mit gut aufgelegten Holzfällern besetzte Bankreihe. Den blonden Mann unter dem geschwärzten Balken sah sie erst, als sie fast vor ihm stand.
Die heiße Suppe spritzte über ihre Schuhe. Das Servierbrett fiel krachend gegen die Bank, der Teller rollte unter den Tisch. Aber sie stand da und konnte sich einen schrecklichen Moment lang nicht rühren. Als sie endlich an Flucht dachte – zwei, drei Atemzüge zu spät –, als sie sich umwandte und rennen wollte, war er schon bei ihr und packte ihr Handgelenk.
»Nun, Maja«, sagte er, und in der plötzlich entstandenen Stille, in der alle verwundert zu ihnen hinsahen, klang seine Stimme laut und deutlich, »wohin so eilig?«
»Lasst mich los«, zischte sie.
»Ganz recht, Finger weg von meinem Mädchen!«, blaffte Stollo.
Manina erschien an der Verbindungstür zur Küche.
Lass sie begreifen und verschwinden, betete Maja im Stillen, oh Rin, er darf sie nicht sehen …
»Rette sich, wer kann!«, schrie sie, so laut sie konnte. »Das ist Erion! Erion von Neiara!« Sie wollte Manina zurufen, dass sie fliehen sollte, dass sie so schnell wie möglich Tamait holen und mit ihm fortlaufen musste, aber sie wollte nicht Erions Aufmerksamkeit auf die Prinzessin lenken. Mit Sicherheit war er wegen Manina hier, irgendwie musste er erfahren haben, dass sie hier wohnte. Aber er hatte sie noch nicht erkannt, noch nicht bemerkt …
Mit schreckgeweiteten Augen starrte Manina zu ihnen herüber.
»Auf der Stelle, hab ich gesagt, Finger weg!« Stollo versuchte Maja von dem Angreifer wegzureißen. Sie flog in die Arme des Wirts, als Erion sie plötzlich losließ.
»Sie gehört mir«, erklärte er mit ruhiger, selbstbewusster Stimme, die verriet, dass er es nicht nötig hatte, um seine Beute zu kämpfen. Vielleicht sah er die Mordlust in den Augen des kräftigen Gastwirtes, in den Blicken der Holzfäller, die regelmäßig hier einkehrten, von denen mehrere drohend aufstanden, jedenfalls zögerte er nicht lange, schob seinen Ärmel hoch und zeigte ihnen das Zeichen, das er an seinem Oberarm trug: ein eingebranntes Z, darüber eine Krone. Mit Befriedigung nahm er zur Kenntnis, wie die Männer zurückwichen.
»Kaisergänger«, sagte Erion stolz. »Unterwegs im Namen des Kaisers. Ihr wisst, was das bedeutet. Ich erkläre diese Frau zu meiner Gefangenen.«
Zögernd öffnete Stollo seine Arme, und nun stand Maja da, auf einmal sehr allein, und wusste kaum noch, wen sie mehr bedauern sollte, sich oder ihn oder Manina.
»Was soll ich denn machen?«, fragte ihr Arbeitgeber leise und verzweifelt. »Ich würde für dich kämpfen, oh ja … Aber ein Kaisergänger?«
»Ist schon gut«, sagte die junge Frau. »Mach dir bloß keine Sorgen um mich.«
Obwohl ein paar Jahre vergangen waren, hätte sie Erion überall wiedererkannt. Die Schlacht um das Schloss von Neiara würde sie nie vergessen. Dort hatte sie mit ihrer Familie und der Kampftruppe ihrer Pflegemutter Alika gekämpft, gegen Erion und die Söldner, die er mitgebracht hatte. Dort an der schmalen Brücke am Abgrund. Sie hatte seinen Befehl zum Rückzug noch im Ohr, und auf immer hatte sich das Bild in sie eingeprägt, wie der schwer verletzte Hauptmann der Feinde versuchte, kriechend die Brücke zu erreichen, bevor sie hochgezogen wurde. Erion hatte keinen Augenblick lang auf ihn gewartet. Nie würde Maja vergessen, wie er als Unterhändler den Abzug seiner Männer vereinbart hatte. An seinen kalten Blick, seine Stimme, bei der ihr heute noch ein Schauder über den Rücken lief, so gefühllos, so leblos war sie ihr vorgekommen.
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