Bill erhielt auch eine Liste der Geräte, die ihm die Firma Wilkinson in den Nordwald mitgab:
Ein- und zweischneidige Äxte,
Rundsägen aus bestem Schwedenstahl,
Zimmermannssägen und Eisenklammem,
Klauenhammer, Brecheisen und verschiedene Bohrer,
Feilen, Wetzsteine und mehrere Pfund Nägel,
Verbandskasten für Erste Hilfe,
Lederbekleidung und Werkzeug für Lederreparatur, Drahtzangen, Meißel, Feuerzeug und einiges Küchengerät.
Die Firma hätte den Breuers sogar ein Funkgerät mitgegeben, doch Bill lehnte dies ab, weil ihm die Vorbildung dafür fehlte. Hätte er in die Zukunft sehen können, dann würde er eher alles andere zurückgelassen haben als die Funkanlage, die ihn in jeder Notlage mit der Welt der Menschen und Flugzeuge verbunden hätte! –
Es war ein starkes, flach schwimmendes Motorboot, das auf die Breuers wartete. Sie mußten mit ihm auch über ganz geringe Wassertiefen von weniger als einem Meter hinwegkommen.
Stolz und beruhigt musterte Bill die festgefügten Planken. Er dachte an die Landsucher und Treeker, die vor hundert und auch noch vor fünfzig Jahren reitend oder auf schwerfälligen Ochsenkarren in monatelanger mühsamer Reise durch Prärien und Sümpfe, über Bergketten und Ströme nach dem menschenleeren Norden vorgestoßen waren. Ihn aber und seine Familie würde dieses verläßliche, mit allen notwendigen Dingen beladene Boot in den kommenden Tagen genau bis an die Stelle im Nordwald tragen, wo sie aussteigen und ein Blockhaus bauen wollten . . .
Am frühen Morgen, ehe noch die Sonne aufgegangen war, tuckerte bereits der Motor. Die Breuers hatten die vergangene Nacht im Boot geschlafen, in einer engen Kombüse, in der sie alle vier nur gebückt unterkriechen konnten.
Jan Christenson, der alte, graubärtige Steuermann, hatte schon viele Holzfäller in den Nordwald gebracht natürlich stets an einen anderen Platz – und sich dabei ein ausgezeichnetes Orientierungsvermögen erworben.
Als die Breuers verschlafen aus der Kombüse krochen, zog er eben das Haltetau von der Uferplanke. „Good-bye, du schönes Pikford!“ lachte er knarrend. Er gab dem Motor volles Gas und griff in das Steuerrad.
Die Familie Breuer stand auf der kleinen Deckfläche und schaute zu, wie das Ufer immer weiter zurückglitt. Bill hatte das Gefühl, als löse er sich zum zweitenmal aus der Gemeinschaft der Menschen. Damals, als er Europa verließ, war es ihm ähnlich ergangen.
Die Reise ins Unbekannte hatte begonnen!
Bill war schon am Abend mit Jan Christenson bekannt gemacht worden. Jetzt versuchte er mit dem Steuermann in ein Gespräch zu kommen. „Haben Sie auch den Bear Lake schon einmal besucht, Christenson?“ fragte er.
Jan dachte eine kurze Weile nach, dann schüttelte er den Kopf. „Nein, genau dort war ich noch nicht. Wird aber auch nicht anders aussehen als die anderen Flüsse und Seen, die ich schon angesteuert habe.“
Barby Breuer, die inzwischen dazugekommen war, wurde bei dieser Antwort blaß. „Wie wollen Sie genau dorthin kommen, wenn Ihnen das Gebiet des Kleinen Bärensees so fremd ist wie uns? Und überhaupt: Wie wollen Sie uns dann im Frühjahr wiederfinden?“
Christenson verzog sein Gesicht ein wenig, aber er ließ kein Auge von dem Strom vor sich. „Haben Sie keine Angst, Mrs. Breuer, ich gondle mit meinem Motorschiff schon länger als zehn Jahre durch den North wood! Da sammelt man genug Erfahrungen. Und wozu hat man die genaue Vermessungskarte bei sich? Ich werde Sie ganz bestimmt sicher an den Kleinen Bärensee bringen.“
„Wie wurde der ungeheure Nordwald Kanadas überhaupt vermessen?“ fragte nun Bill interessiert.
Jan lachte ein wenig. „Ich war nicht dabei. Aber soviel ich weiß, geschah das nach Luftaufnahmen. Ihr dürft euch nicht vorstellen, daß Landvermesser mit Teo dolithen und Meßlatten durch den Urwald mit seinen tausend Seen und Sümpfen gewatet sind.“
„Dann gibt es dort oben wohl Landschaften, die noch kein Mensch betreten hat?“ wollte Bill wissen.
„Vielleicht sollte man dies auf ,kein weißer Mensch‘ einengen. Indianer streifen seit tausend Jahren durch den Nordwald, der früher als ihr Lebensraum weit mehr bevölkert war als jetzt. Heute ziehen sie in die Nähe der großen Straßen, verdingen sich an Kraftwerksfirmen oder Ölbohrgesellschaften, und der Wald im Norden wird bald völlig menschenleer sein.“
Jan Christenson sah immer noch die Unruhe in den Augen der Frau, die es nicht glauben wollte, daß er sich im Labyrinth der Seen und Kanäle nicht rettungslos verirren konnte. Er fing langsam zu erklären an: „Wir fahren den Saskatchewan abwärts bis Kote neunzig und biegen dort durch einen der vielen Verbindungskanäle in den Cumberland Lake ein. Wenn wir die Augen offenhalten, finden wir jenseits des Sees die Einfahrt in den Sturgeon-weir River. Auf diesem paddeln wir nordwärts, bis uns ein Wasserfall oder ein Biberdamm aufhält. Dann wird es Zeit, in westlicher Richtung in den Bear River einzuschwenken. Irgendwo an dessen Oberlauf hegt dann der Bear Lake mit seinen großartigen Kiefernwäldern, die der Waldläufer Meadow im letzten Jahr entdeckte. Er verkaufte seinen Fund für schweres Geld an die Firma Wilkinson.“
Bernd und Peer ließen sich kein Wort dieses Berichts entgehen und starrten mit großen Augen auf den gleichmütig Erzählenden.
Peer konnte sich nicht halten und fragte: „Sie sagten, der Waldläufer Meadow! Gehört ihm denn dieses Land im Norden, auf dem die Kiefernwälder wachsen?“
Jan blickte schmunzelnd auf den Jungen. „Das kleine Greenhorn versteht das noch nicht. Meadow ließ sich nur die Entdeckung der Kiefern abkaufen, mehr nicht!“ Bill erklärte den Söhnen, daß alles herrenlose Land im Norden Eigentum des Staates sei. Wer etwas davon zu nutzen versteht, wird dadurch zwar nicht Besitzer des Bodens, darf aber den Ertrag behalten gegen Zahlung einer gewissen Steuer.
Eintönig glitten die Ufer mit ihren schweigenden niedrigen Sumpfwäldern Stunde um Stunde vorüber. Wald und Gestrüpp zu beiden Seiten, manchmal unterbrochen durch baumlosen Sumpf, ermüdete allmählich die Aufmerksamkeit der Schauenden.
Jan Christenson freilich hatte auf vielerlei zu achten. Wo sich die Wogen des Stromes zu flachen Wirbeln zu kräuseln begannen, drohte eine Untiefe oder Sandbank, auf der das Motorboot festfahren konnte. Auch schmale Durchlässe zwischen zwei Sandbänken mußte er vermeiden, weil sie unter Wasser häufig durch ein Gefilz vermoderter Baumstämme oder abgestorbener Wurzeln versperrt waren. Das schlammig-trübe Wasser gab keinen Blick in die Tiefe frei. Jan besaß für die Tiefenmessung eine dünne, eisenbeschwerte Stange, die er an unsicheren Stellen in den Fluß stakte.
Bill Breuer war wieder in die Kombüse hinabgestiegen und überprüfte seine Munition, die er zu der Jagdflinte und der schweren Pistole eingekauft hatte. Wer in den Nordwald ging, erhielt auf Antrag einen Waffenschein; erst mit diesem konnte er sich Gewehre und Patronen kaufen. Wen die kanadische Polizei in der Einsamkeit der Wälder des Nordens antraf, der mußte sich mit Paß und Waffenschein ausweisen. Damit verhinderte sie, daß die ungeheuren Weiten des Nordens ein gesetzloses Land für lichtscheue Einzelgänger wurden.
Als am ersten Tag der Wasserfahrt die Sonne hinter den Wäldern versank, lenkte Jan Christenson sein Boot in eine stille Strombucht hinein. Er las von dem Kilometerzähler des Motors die Fahrtstrecke ab und strich auf der Karte den so gefundenen Standort an.
„Wir haben gute Fahrt gemacht!“ nickte er seinen Passagieren zu. „Wenn wir weiterhin solches Glück haben, kurven wir am dritten Abend bereits durch den kleinen Bear Lake.“
Auch Bernd, der Junge, hatte einen Blick auf Chri stensons Karte geworfen. Er hatte die Kote neunzig entdeckt und trug sie sofort in die Karte des Vaters ein. Er beschloß bei sich, auf der weiteren Fahrt heimlich den Lotsen zu spielen.
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