Fohrers Kriterien Allerdings gibt es kaum überzeugende Hinweise darauf, dass DtrH die Elija-Geschichten redaktionell bearbeitet hat. Die einzige durchdachte Argumentation ist hier 1957 von Fohrer entworfen worden, der sich auf sechs Ausdrücke stützt, die seiner Ansicht nach typisch für DtrH sind. 82Doch Fohrer selbst hat gezeigt, dass diese Ausdrücke generell in später prophetischer Literatur belegt sind – vor allem bei Jeremia und Ezechiel – sowie in einigen Fällen in P und der Chronik; keiner der Ausdrücke ist ausschließlich oder eindeutig DtrH zuzuordnen. 83Während also die Elija-Geschichten von späten Ausdrücken durchzogen sind, fehlt in ihnen der spezifische DtrH-Sprachgebrauch.
Unterschiede zu den dtr Propheten Umgekehrt lassen sich 1 Könige 17–19 aus einer Reihe von Gründen als Hinzufügung erst nach DtrH betrachten. Erstens tritt Elija in der Erzählung in 1 Kön 17,1 unerwartet auf, und die Geschichten über ihn unterbrechen den Bericht über Ahabs Regierungszeit. Elija wird nur mit seinem Titel „der Tischbiter“ vorgestellt, und sein Erscheinen wird in der vorausgehenden Einleitung zu Ahab in keiner Weise vorbereitet. Auch ist ein Wechsel des Stils zu beobachten: Während zuvor einige knappe Berichte über die Herrschaft verschiedener Könige stehen, die durch das einleitende und abschließende Rahmenformular eingefasst sind, besteht der Text nun aus Geschichten über Elija und andere Propheten. In einem Fall (2 Kön 2) steht die Geschichte sogar außerhalb des strukturellen Rahmens des DtrH in den Königebüchern, das durch das Rahmenformular gebildet wird. 84Zweitens unterscheiden sich diese Geschichten deutlich von Erzählungen über Propheten, die sich zuvor in den Königebüchern finden. Nicht erwähnt wird die Sünde Jerobeams, um die es bei diesen früheren Interventionen durch Propheten meist ging. Vielmehr sind die Geschichten über Elija in 1 Könige 17–19 – und mehr noch die Geschichten über Elischa in 2 Könige – legendenhafte Geschichten über die wunderhaften Taten ihrer Helden. Sie lassen sich überwiegend zwei Gruppen zuordnen: Zum einen gibt es persönliche Anekdoten, zu denen die wundersamen Taten der Gottesmänner in Interaktion mit gewöhnlichen Leuten gehören, und zum anderen politische Geschichten wie unter anderem Kriegsgeschichten, in denen es auch um die Interaktion mit Königen Israels und anderer Völker geht. Während also der Rest von 1 Könige überwiegend in Ahabs Regierungszeit angesiedelt ist, spielt Ahab nun meist eine untergeordnete Rolle und räumt das Feld für Elija. So wird Ahab beispielsweise in 1 Könige 17 nur einmal in V. 1 erwähnt. Ein weiterer Unterschiede besteht darin, dass die Prophetie anders gesehen wird. Elija (und noch mehr Elischa) ist in 1 Könige 17–19 eher ein wundertätiger Gottesmann als der Bote des Gotteswortes wie Ahija (1 Kön 14,7–11) oder Jehu ben Hanani (1 Kön 16,2–4). Das deutet auf einen dritten Unterschied hin: Es finden sich auffallende Spannungen zwischen diesen Geschichten und der Theologie des DtrH. Dass Elija einen Altar auf dem Karmel errichtet, stellt eine eklatante Verletzung der DtrH-Lehre der Kultzentralisation dar. Auch beklagt sich Elija darüber, dass das Volk die Altäre Jhwhs niedergerissen habe (1 Kön 19,10.14). 85Diese Überlegungen deuten darauf hin, dass die Geschichten über Elija und Elischa den Königebüchern überwiegend erst nach DtrH hinzugefügt wurden. Dabei gibt es zwei Ausnahmen: das anti-dynastische Prophetenwort von DtrH in 1 Kön 21,20–24* sowie Elijas Ankündigung von Ahasjas Tod in 2 Kön 1,2–8*.
3.4.2 1 Könige 20; 22,1–38
Verknüpfte Berichte 1 Könige 20 und 22 sind auf textliche, literarische und historische Weise miteinander verknüpft. OG ordnet die Kapitel (gegenüber MT) in der Abfolge 21-20-22 an. Die Bemerkung in 22,1, wonach es eine dreijährige Unterbrechung des Kriegs zwischen Aram und Israel gab, schließt an die Erzählung der aramäisch-israelitischen Kriege aus Kap. 20 an. Offensichtlich bestand der Grund für die veränderte Anordnung von MT darin, Elijas Angriff auf Ahab in Kap. 21 näher an die Geschichte von Ahabs Tod in Kap. 22 heranzurücken. Anders als Elija und Elischa In literarischer Hinsicht sind die Geschichten 1 Kön 20; 22,1–38 weder mit Elija noch Elischa verbunden, sondern stammen aus der Übergangszeit zwischen beiden, da Elischa als Nachfolger Elijas zwar am Ende von 1 Könige 19 angekündigt wird, der Vollzug der Ablösung aber bis 2 Könige 2 auf sich warten lässt.
Der Bezug zur Jehu-Dynastie Historisch gesehen gehören 1 Kön 20; 22,1–38 eher in die Herrschaftszeit eines Königs der späten Jehu-Dynastie als in die Ahab-Zeit. 86Die vorhandenen Inschriften und archäologischen Belege widersprechen dem Bild Ahabs in diesen beiden Kapiteln: Dort erscheint der König als Schwächling, der von den Aramäern dominiert wird, mit denen er ständig im Krieg liegt. Sonst aber erscheinen die Regierungszeiten Omris und Ahabs als Zeiten der militärischen Stärke Israels, wobei das Land auch über wichtige internationale Verbindungen verfügte und ein ehrgeiziges Bauprogramm verfolgte. Der Monolith von Kurch Von besonderer Bedeutung ist die Inschrift Salmanassars III. auf dem Monolithen von Kurch, die dessen Schlacht 853 v. Chr. in Qarqar am Orontes gegen eine Koalition syro-palästinischer Könige schildert. Ahab wird hier als wichtiges Mitglied der Koalition genannt; er steuerte das größte Kontingent von Streitwagen (2000) sowie 10.000 Mann Fußvolk bei. 87Die Mescha-Stele Auch die Mescha-Stele deutet darauf hin, dass Israel unter Ahab stark war, als es Moab dominierte. 88Weiter wird dieser Eindruck durch eine Reihe summarischer Bibeltexte gestützt (1 Kön 16,24.31; 22,39; 2 Kön 3,4) sowie durch archäologische Hinweise, die auf eine dynamische und florierende Bautätigkeit im neuten Jahrhundert in Israel hindeuten. 89Diese einzelnen Hinweise fügen sich zu einem Bild, demzufolge die Regierungszeiten Omris und Ahabs den Gipfelpunkt der militärischen, politischen und administrativen Fähigkeiten des Königreichs Israel markieren. Dieses Bild steht im Gegensatz zu 1 Könige 20; 22,1–38, wonach Israel nur ein erbärmlich kleines Heer aufstellen kann (20,15), das den Aramäern zahlenmäßig weit unterlegen ist (20,27) und kaum über Streitwagen verfügt, weshalb die Aramäer einen leichten Sieg in der Ebene erwarten (20,23–25). 90Noch weniger glaubhaft ist 1 Könige 20,34 in dem Punkt, dass Ahabs Vater Omri auch schwach gewesen sei und von den Aramäern dominiert wurde. Die Erwähnung von Ahabs Beteiligung an der Koalition von 853 auf dem Monolithen von Kurch zeigt, dass Israel unter Ahab nicht ständig mit Aram im Krieg lag, wie es nach 1 Könige 20; 22,1–38 der Fall zu sein scheint. Ramot-Gilead In Könige 22,1–38 ist vorausgesetzt, dass Ramot-Gilead von den Aramäern gehalten wurde und wieder von Israel eingenommen werden musste (Vv. 3–4). Dem widersprechen 2 Kön 8,28–29; 9,1–14, wonach Jehu in Ramot „Wache hält“ (שמר) und seinen Staatsstreich von dort lanciert. Dass Jhwh während der Herrschaft Jehus damit beginnt, in Gilead Teile Israels abzutrennen (2 Kön 10,32–33), deutet auf die ursprüngliche Situierung der Geschichten in 1 Kön 20; 22,1–38 in der Jehu-Dynastie hin.
In den Texten lässt sich eine Reihe weiterer Hinweise darauf entdecken, dass 1 Kön 20; 22,1–38 ursprünglich nicht auf Ahab, sondern auf einen anderen israelitischen König Israels bezogen waren. Zunächst einmal findet sich Ahabs Name in diesen Geschichten ziemlich selten – im MT kommt er in Kap. 20 nur dreimal (Vv. 2, 13 und 14) und in 22,1–38 nur einmal (V. 20) vor; meist wird der König mit seinem Titel als der König Israels bezeichnet. Zudem steht der Name in den griechischen Textzeugen an anderer Stelle als im MT; 91auch drängt sich hier der Eindruck auf, dass die Identifikation des israelitischen Königs mit Ahab eher versuchsweise und sekundär ist. 92
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