1 ...8 9 10 12 13 14 ...56 Ich stimme Rofés Beschreibung der Legende unter zwei Vorbehalten zu. Erweiterung durch PE Zunächst würde ich einen Großteil der Erweiterung der Legende dem prophetischen Erzähler (PE; s. u.) zuschreiben. Damit soll nicht bestritten werden, dass sich bei PEs Quellen zwischen einfachen und erweiterten Legenden unterscheiden ließe. Die einfachen Legenden sind allerdings häufig leicht erweitert, wodurch das Verdienst des Wunders eher Jhwh oder seinem Wort zukommt als dem Gottesmann und seiner Magie, auch wenn die Rolle des Gottesmannes dadurch nicht geschmälert wird (2 Kön 2,20–22; 4,1–7.42–44). Bei erweiterten Legenden werden die Wunder durch PE weiter ausgearbeitet oder um neue Figuren und neue Episoden mit zusätzlichen moralischen Aspekten ergänzt.
Ursprünglich über Elischa Mein zweiter Vorbehalt besteht darin, dass ich die Legende als Elischa-Besonderheit ansehe. Möglicherweise war der Gottesmann in einigen Legenden namenlos, doch das lässt sich nicht mehr nachweisen, weil nun dort Elischas Name und der Titel „Gottesmann“ synonym verwendet werden. 70Es gibt Legenden über Elija. In zwei Fällen allerdings (1 Kön 17,10–16.17–24) sind dies überarbeitete Elischa-Legenden aus 2 Könige 4. Weitere Legenden über Elija belegen, dass sie ursprünglich von Elischa gehandelt haben oder aus Geschichten über ihn entlehnt wurden (2 Kön 1,9–15; 2,1–18). Das deutet darauf hin, dass die Elischa-Legenden zu einer Sammlung zusammengestellt wurden, aus denen die Elija-Geschichten übernommen wurden. Auf die Existenz einer solchen Sammlung deuten auch die Geschichten über Elischa als Nachfolger Elijas in 1 Kön 19,19–21; 2 Kön 2,1–18* hin, die Elischas weiteren Weg vorwegnehmen.
Sammlungen von Elischa-Geschichten? Häufig wird postuliert, dass es ältere Sammlungen von Elischa-Geshichten gegeben hat, die thematische oder inhaltliche Schwerpunkte hatten; so etwa die Geschichten über die Elija-Nachfolge durch Elischa (1 Kön 19,15–18.19–21; 2 Kön 2,1–18), über die „Prophetensöhne“ (2 Kön 4,1–7.38–41. 42–44; 6,1–7; 13,20–21), über Elischa als umherziehenden heiligen Mann (2 Kön 2,19–22.23–24; 4,8–37; 8,1–7) sowie über die Kriege Israels, vor allem gegen die Aramäer (3,4–27; 5,1–27; 6,8–23; 6,24 – 7,20; 13,14–19). 71Solche Aufteilungen müssen allerdings einer Überprüfung standhalten; 1 Kön 19,15–18 setzt die gesamte Elischa-Sammlung voraus und ist keine alte Tradition; Kriegsgegner in 2 Kön 3,4–27 ist Moab und nicht Aram, und Elischa gehört ursprünglich nicht in diese Geschichte; sekundär ist Elischa in 2 Kön 6,24 – 7,20; die „Prophetensöhne“ werden in 2 Kön 4,42–44 oder 13,20–21 nicht genannt, und auch in anderen Texten sind sie ergänzt worden (1 Kön 20,35; 2 Kön 5,22; 9,1). Anzumerken ist auch noch, dass Elischa in unterschiedlichen Geschichten in Abel-Mehola, Gilgal, auf dem Karmel, in Samaria und Dotan residiert. Wenn es getrennte Sammlungen von Legenden gegeben hat – was gut möglich ist –, dann hat die Forschung sie bisher noch nicht hinreichend identifiziert. Auch ist es nahezu unmöglich, die Legenden zu datieren. Manche könnten ursprünglich in mündlicher Form bis ins neunte Jahrhundert oder die Zeit bald nach dem Leben des Propheten zurückreichen, vorausgesetzt, es hat eine solche Figur gegeben; andere sind vermutlich erst viel später entstanden. 72
Warum die Legenden in den Königebüchern gerade in der uns vorliegenden Form angeordnet sind, lässt sich nicht sagen, auch wenn hierfür verschiedene Erklärungen vorliegen, zumindest für einzelne Texte. So schlägt beispielsweise de Vaux vor, dass der Abschnitt 4,38 – 7,20, dessen Anfang und Ende jeweils eine Hungersnot ist, zwischen 4,37 und 8,1–6 eingefügt wurde, damit die in 8,1 erwähnte siebenjährige Hungersnot abgebildet wird. 73Das sagt jedoch nichts über die Anordnung des weiteren Elija-Materials aus. Hierzu bemerkt Long, dass die Elischa-Geschichten einander ab 2 Kön 3,1 ablösen; es wechseln sich dabei Geschichten ab, bei denen Elischa auf internationaler Bühne tätig ist, und andere, die von seinen Taten in der Heimat erzählen. 74Allerdings vermag diese Erklärung nicht völlig zu überzeugen, weil Long manchmal Geschichten zusammenfassen muss, die eigentlich getrennt sind (z. B. 2 Kön 4), damit die These zutrifft. Auch bezieht er die Geschichten über Elischa in 2 Könige 2 oder 13 nicht ein.
3.4 Der prophetische Erzähler
Die These, dass es eine eigene Schicht von Aufzeichnungen über Propheten gibt, ist nicht neu. Dietrich postuliert in seiner Dissertation einen prophetischen Deuteronomisten (DtrP), der nach etwa einem Jahrzehnt auf DtrH folgte. 75Doch Dietrich hat sich mit dem Elija-Elischa-Material nicht eingehender befasst. Schmitts im gleichen Jahr erschienene, wegweisende Untersuchung der Elischa-Geschichten hat dieses Material vom Deuteronomisten unterschieden und eine Reihe unabhängiger Sammlungen postuliert (über den Jehu-Aufstand, über die Aramäerkriege, Wundergeschichten, andere Kriegserzählungen, über die Nachfolge Elischas auf Elija), die unterschiedlichen apologetischen und theologischen Redaktionen unterzogen und schrittweise in die Königebücher aufgenommen wurden. 76Dieser Prozess hat etwa 400 Jahre gedauert, vom späten neunten bis zum fünften Jahrhundert. Campbell hat einen kohärenteren Prozess entworfen; er plädiert für einen „Prophetenbericht“ aus dem neunten Jahrhundert, der von den Anfängen des Königtums bis zur Ausrottung des Baals-Kults in Israel durch Jehu reicht. 77Er bezieht viele der Elija-Geschichten ein, aber nur wenig Elischa-Material; Letzteres findet nur dann Berücksichtigung, wenn er darauf hinweist, dass PE in Kreisen entstanden sei, die mit Elischa verbunden waren. 78
Unterschiede gegenüber Dietrich, Schmitt und Campbell Die von mir in diesem Kommentar rekonstruierte „Prophetenerzählung“ besitzt Überschneidungen mit, aber auch Unterschiede gegenüber den älteren Vorschlägen. Mit Dietrich und Campbell und gegen Schmitt erscheint mir PE in den Königebüchern als eigenständige Schicht eines einzelnen Verfassers/Redaktors. Anders als Campbell halte ich PE nicht für eine DtrH vorliegende Quelle, sondern für eine Hinzufügung in der Zeit nach DtrH. Und anders als Dietrich würde ich PE nicht als Deuteronomisten bezeichnen.
3.4.1 Die Elija- und Elischa-Geschichten
Nach DtrH Prophetengeschichten bilden den Großteil der Erzählungen in den Königebüchern zwischen 1 Könige 17 und 2 Könige 13. Diese Geschichten lassen sich anhand der hauptsächlich behandelten Prophetenfiguren in drei Blöcke unterteilen: Geschichten über Elija (1 Könige 17–19; 21; 2 Könige 1; 2,1–11), Geschichten über Elischa (2 Könige 2–8; 9,1–12; 13,14–21) sowie Geschichten über andere Propheten (1 Könige 20; 22). Bei der Frage nach ihrer Platzierung in den Königebüchern hat sich die Forschung auf das Elija-Material in 1 Könige 17–19 konzentriert. Der Gedanke, dass diese Geschichten in einer sekundären redaktionellen Phase nach DtrH zu den Königebüchern hinzugesetzt wurden, ist durch die Popularität von Noths Theorie des Deuteronomistischen Geschichtswerks in seinen „Überlieferungsgeschichtlichen Studien“ aus dem Jahr 1943 überlagert worden. 79Noth stimmte mit seinen Vorläufern darin überein, die Elija-Geschichten nicht als dtr anzusehen. Doch anstatt sie – wie andere umfangreiche Materialien (z. B. die Stammeslisten in Josua 13–21 und die Simson-Erzählungen in Richter 13–16) – als sekundäre Hinzufügungen zu DtrH zu betrachten, hat Noth die Elija-Erzählungen als eigene Quelle angesehen, die vor der Redaktion des DtrH in eine Sammlung integriert und dann von DtrH verbatim („in ihrem überlieferten Wortlaut“) übernommen wurde. 80Seine These des Deuteronomistischen Geschichtswerks hat eine derartige Wirkung entfaltet, dass die meisten Exegeten seitdem davon ausgegangen sind, dass die Elija- (und Elischa-)Geschichten Teil des Deuteronomistischen Geschichtswerks sind. 81
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