In der synchronen Analyse wird die Endfassung des MT behandelt und versucht, sie – mitsamt den Interpretationsmöglichkeiten für damalige wie heutige Lesende – als einheitliches Ganzes zu verstehen. Dabei wird der Fokus ganz bewusst auf den MT in seiner Letztfassung gelegt, denn diese ist meist Gegenstand der synchronen Analyse. Theoretisch wäre es auch möglich, die synchrone Analyse eines anderen Textes (wie z. B. der LXX) vorzunehmen oder ein bestimmtes Stadium der Textentstehung – wie etwa DtrH – einer synchronen Analyse zu unterziehen. Doch der MT ist der Text, auf den man sich verständigt hat, und keine Rekonstruktion, und insofern ist er fast immer Gegenstand der Kommentierung. Darüber hinaus zwingt mich die Orientierung am MT dazu, mich mit dem Text in der vorliegenden Form auseinanderzusetzen, statt einfach auf Textvarianten oder Theorien über die Komposition des Textes zurückzugreifen; dies ist häufig eine gute Übung, um die Raffinesse und Kunstfertigkeit wahrzunehmen, die hinter einer Erzählung stehen. Deshalb können etwa Leerstellen oder Spannungen in der Erzählung wertvolle Hinweise auf die ästhetischen oder ideologischen Vorstellungen hinter den Texten liefern. In der synchronen Analyse wird auch auf die Struktur einer Erzählung und auf den Einsatz literarischer Stilmittel geachtet. Im vorliegenden Kommentar kommen in der synchronen Analyse relativ neue bibelwissenschaftliche Ansätze zur Anwendung wie etwa narrative Exegese, Rezeptionsästhetik, Intertextualität sowie ideologiekritische Ansätze (z. B. feministische oder ökologische Perspektiven).
Demgegenüber konzentriert sich die diachrone Analyse auf traditionellere exegetische Fragen und Ansätze, um so die Entwicklung des Textes und seiner Inhalte über die Zeit zu untersuchen. Dabei wird versucht, die historische Grundlage hinter den biblischen Berichten zu ermitteln (wenn es sie denn gibt) und/oder zu erkunden, wie die Texte durch andere literarische, gesellschaftliche und historische Einflüsse des Alten Orients geprägt worden sind. Das Interesse gilt hier sowohl der Grabungsarchäologie als auch der literarischen Archäologie. Weitere wichtige Instrumente sind die Textkritik, die Literar(Quellen-)kritik, die Formgeschichte, die Traditionsgeschichte und die Redaktionsgeschichte, vergleichende Studien und soziologische Analysen. Hierbei wird nachzuzeichnen versucht, wie der Text im Laufe der Zeit Gestalt angenommen hat; es sollen die Autoren und Redaktoren identifiziert werden, die für seine Erstellung verantwortlich sind; und es soll gezeigt werden, wie der Text überliefert wurde, indem er abgeschrieben, übersetzt und überarbeitet wurde und so verschiedene Versionen und Textzeugen entstanden sind. Die Erforschung dieser Aspekte hat dazu geführt, dass die Grenzen zwischen Textabfassung und Überlieferung zunehmend verschwimmen. Die Ergebnisse der diachronen Analyse stimmen häufig mit denen der synchronen Analyse überein, doch manchmal stehen beide auch im Gegensatz zueinander, was wiederum sehr interessant und anregend sein kann. Deshalb sollten die Lesenden sich darauf einstellen, dass sie in diesem Kommentar zu bestimmten Textabschnitten auf Unstimmigkeiten zwischen der synchronen und der diachronen Analyse stoßen können.
Die Synthese ist von den fünf Teilen derjenige, der die größte Varianz aufweist. Ich habe mich entschieden, in diesem Teil zu formulieren, was sich nach der Analyse zu einem bestimmten Thema zusammenfassend sagen lässt. An manchen Stellen findet sich entsprechend eine echte Synthese oder die Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse. Bei einer solchen Synthese kann der Schwerpunkt auf synchronen oder auch auf diachronen Resultaten liegen. Manchmal trägt die Synthese aber auch den Charakter einer Reflexion über die mögliche Bedeutung eines Themas für heutige Lesende. Gelegentlich werden auch Fragen über die Relevanz oder den Nutzen eines bestimmten Themas für heute aufgeworfen. Dabei dienen die Reflexionen immer dem gleichen Zweck – nämlich den Lesenden Stoff zum Nachdenken über die spannenden Aussagen und die wunderbaren Geschichten an die Hand zu geben, aus denen die Königebücher bestehen.
Baschas Regierungszeit (1 Könige 15,33 – 16,7)
Übersetzung
[Quellen von DtrH; DtrH; Hinzufügungen zu DtrH; Hinzufügungen zu Hinzufügungen]
33Im dritten Jahr Asas, des Königs von Juda, wurde Bascha, der Sohn Ahijas, König über Israel in Tirza, und er regierte vierundzwanzig Jahre lang. 34Er tat, was Jhwh für böse hielt, und folgte Jerobeam und seiner Sünde, die er Israel begehen ließ. 16,1Jhwhs Wort erging an Jehu, den Sohn Hananis, gegen Bascha: 2„Weil ich dich aus dem Staub aufgehoben habe und dich zum ausersehenen König über mein Volk Israel gemacht habe, du aber Jerobeam gefolgt bist und mein Volk Israel zum Sündigen verleitet hast, indem du mich mit ihren Götzen erzürnt hast, 3werde ich Bascha und sein Haus verbrennen und sein Haus wie das Haus Jerobeams, des Sohnes Nebats, hinterlassen; 4jeden, der zu Bascha gehört und in der Stadt stirbt, werden die Hunde fressen, und jeden seiner Leute, der auf dem Land stirbt, werden die Vögel des Himmels fressen.“ 5Alles Übrige von Bascha, auch was er erreicht hat und seine Macht, ist selbstverständlich auf der Rolle der Chroniken der Könige Israels aufgeschrieben. 6Bascha legte sich zu seinen Vorfahren und wurde in Tirza bestattet, und sein Sohn Ela regierte an seiner Stelle. 7Außerdem erging das Wort Jhwhs durch Jehu, den Sohn Hananis, gegen Bascha und sein Haus wegen all des Bösen, das er in der Sicht Jhwhs getan hatte, indem er ihn mit dem Werk seiner Hände erzürnte, um wie Jerobeams Haus zu werden, und weil er es zerstört hat.
Anmerkungen zu Text und Übersetzung
15,33 Bascha: Eine verkürzte Form (Hypokoristikon) eines theophoren Personennamens, dessen erstes Element Baal lautet. Das zweite Element ist unsicher; die Langform des Namens könnte „Baal hört“ (בעל שמע) oder „Baal handelt“ (בעל עשה) geheißen haben. Der Name scheint neu-punisch zu sein und könnte aus dem Phönizischen stammen. 1„Baal“ heißt „Herr, Meister“, könnte aber auch als Epitheton Jhwhs gedient haben, weshalb der Name nicht unbedingt bedeutet, dass Bascha kein Jhwh-Anhänger war.
Israel: So G BL. MT: ganz Israel.
Tirza: Wird mit Tell el-Far‛a-Nord identifiziert (gegenüber Tell el-Far‛a-Süd im Negev). Tirza war aufgrund seiner landschaftlichen (der Name bedeutet „Schönheit, Vergnügen“, Hld 6,4) und seiner strategischen Lage ein attraktiver Standort für eine Hauptstadt. 2Es lag elf Kilometer nördlich von Sichem zwischen Sichem und Bet-Schean an einer wichtigen Straße zwischen dem zentralen Bergland und dem Jordantal. Deshalb lag die Stadt einigermaßen zentral an einer Nord-Süd-Achse und war gut geeignet, um von dort aus das Nordreich zu regieren. „Fundamente von unvollendeten Bauwerken, die sich auf einer Schicht von verbrannten Trümmern fanden, sind so gedeutet worden, dass Omri zunächst versucht hat, die Stadt nach ihrer Zerstörung wieder aufzubauen, dann aber den Plan nicht weiter verfolgte, vermutlich als Samaria für ihn wichtiger wurde.“ 3Tirza wird als eine der Städte genannt, deren König von Josua und den einfallenden Israeliten getötet wurde (Jos 12,24), und als einer der Clans, die als die Töchter Zelofhads im Gebiet Manasses bezeichnet werden (Jos 17,3–13; vgl. Num 26,33; 27,1; 36,11). Die Erwähnung Tirzas in 1 Kön 14,17 deutet darauf hin, dass die Stadt Jerobeam neben oder zusätzlich zu Sichem (1 Kön 12,25) als Hauptstadt diente. Doch Bascha ist der erste König, von dem ausdrücklich gesagt wird, dass er in Tirza regierte.
34 Sünde: So MT. G und Syr: Sünden . Mit Stade 4verstehe ich den Singular als die ursprünglichere Form, die sich auf eine bestimmte Sünde Jerobeams bezieht, und rekonstruiere sie durchgängig in den Königebüchern.
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