Nach soviel Geist und Schnippigkeit verstummten wir ein bißchen. Und nur der gute Junge Pipp half uns beim Essen darüber hinweg, indem wir uns in ein nachhaltiges Gespräch verwickelten über die in Indianerreservaten bevorzugten Automobilmarken.
Julus war in sich gekehrt. Ich sagte, um Luft zu schaffen, wir würden, wenngleich schmerzlich, so doch es begreifen, wenn Fräulein Gondefro mit der Bahn anstatt mit unserer schmutzigen Kuff nach Hause fahren werde.
Julus sprang wie ein harpunierter Schweinsfisch in die Höhe. Aber die unendlich kühle und schöne Alwel winkte lässig ab. Sie denke gar nicht daran, wir und das süße Boot, das mache ihr wirklich Spaß.
Somit eilten wir elbauf zurück, und Julus überließ mir gnädig die Pinne, um dem ungerührten Segelweiß der Angebeteten die Grundlagen seiner Existenz zu unterbreiten. Ihre Hautschatten waren bronzen wie die Tönung kantonesischer Glocken, ihre Augen weit und silbergrau wie die Nordseekimm bei Westernwind. Die Sonne durchleuchtete ihre Gobbymütze und ihre dicken Schläfenhaare. Es war ein milder Tag voll Ausflugdampfermusik und voll der großmächtigen Bässe abgesalzener Überseer aus aller Welt.
Aber unser Wind wurde flauer, und knups, schlief er ein. Pipp, der unverblümte Knabe, ritt auf der Großbaumnock seiner Vollendung als Rothaut entgegen, klimperte an der Dirk und flötete nach Taifun und Hurrikan.
Noch schob uns die Flut. Ich sah abwechselnd auf das verschämt killende Achterliek und auf Alwel, die verträumt dasaß, während Julus still und vergeblich nach Worten rang. Auf einmal schrie er: „Wir wollen Wein trinken, Wein, ich weiß ein molliges Lokal. Höher an den Wind, mein Gott, wir kriechen ja wie im Sirup!“ Damit war sein erkünstelter Überschwang auch schon verpufft, und er kratzte belämmert am Mast, mein Segeltalent in Zweifel ziehend.
„Hissen Sie ein kleines Bonnet!“ lächelte Alwel. „Die Gondefroschen Kapitäne auf den Teeklippen Anno dazumal haben gute Erfahrungen mit kleinen Bonnets gemacht.“
„Hiß ein kleines Bonnet!“ grunzte Julus mich an, seine Verständnislosigkeit mit dem Brustton eines Hapagkommodores verdeckend.
„Ay, ay!“ erwiderte ich, ergriff, um etwas zu ergreifen, – denn ich hatte auch keine Ahnung, – die seidenen Strümpfe, die noch immer auf dem Kajütsdach lagen, obwohl längst trocken, und schor sie an die Flaggleine.
Die Wirkung war, daß wir uns allesamt mit Julus verkrachten; denn er versteht betreffs korrekter Haltung keinen Scherz. Indessen machten wir wieder Fahrt, obgleich achteraus, da der Strom gekentert hatte. Und im Nu saßen wir fest auf Meiers Sand, das nette Hochgebirge Blankeneses vor der Nase.
Wir hatten rund zehn Stunden Zeit. Es wurde Nacht. Alwel Gondefro wollte nicht im Boot bleiben. Sie ruderte mit ihrem Bruder auf die grasbüschlige Sandhöhe. (Nein, nach Hause fuhr sie nicht.) Sie nahm alle unsere Decken und Kissen mit und wollte baden.
„Fahr’ hinüber und sprich mit ihr!“ sagte Julus endlich.
„Dir ist wohl flau!“ entgegnete ich. „Und du willst mich wohl als ein kleines Bonnet für dein Lebensschiff mißbrauchen!“ Aber dann pfiff ich Pipp und das Beiboot blieb danach drüben.
Wir lagen still auf dem Rücken, nicht weit voneinander, sie und ich, und blickten in die Sterne und die Stromlichter. Pipp schlief. Aber Julus schlief nicht. Was er nie im Beisein anderer fertiggebracht hätte, er hatte eine Ziehharmonika hervorgezogen und spielte herzzerreißend die ganze Nacht. Daher eben weiß ich es.
Eine Handharmonika in einer lauen Nacht überm Wasser bei Schiffslichtern, die vorüber in die unbekannte Ferne gleiten, das ist nicht ungefährlich für ein junges Mädchen. Ich hörte es wohl, wie Alwel schwerer zu atmen begann. Oho, Julus war doch ein raffinierter Hund.
Ob ich sie fragte? Natürlich! Jedoch der Mensch ist ein böses Tier von Jugend auf. Ich fragte sie, wie es sei mit ihr und – mir. Und daß ich, an der Flaggleine meines Daseins ihre kleinen seidenen Sachen in Ewigkeit als Nationale zu führen, als mein Ziel ansehe und verrückt sei wie ein entseelter Hering ...
Sie weinte ein wenig an meinem Halse, das schöne Kind. Es sei dies der Abschied von uns allen, sagte sie. Denn die andere Woche, da fahre sie nach Makassar. Und ich solle es auch Herrn von Dalben mitteilen, daß nämlich die Gondefros nicht gern in Hamburg-Altona und Blankenese heiraten, sondern lieber in der weiten Welt.
*
„Der Wind hat seine Rolle bei dem kleinen Bonnet gespielt, wenngleich mehr durch Abwesenheit,“ bemerkte Herr Sotteig.
Alle sahen von dem blonden, beherrschten und reinlich geformten Gesicht des Hamburgers auf das düster lebhafte, zerfurchte und zonenerfahrene des Konsuls.
„Ich will nun mal berichten,“ fuhr er fort, „wo ich den Wind in seiner furchtbarsten Gestalt kennengelernt habe. Es war Gott sei Dank nicht auf See oder wie eben hübsch bei Haus, sondern an der Küste Floridas. Und zur Abwechslung stammt die Dame, die darin vorkommt, nicht aus höheren Kreisen; wenigstens war sie damals nichts als Stubenmädchen in einem Hotel und auch in Deutschland war sie, soviel ich weiß, nur Kindergärtnerin gewesen.“
Hier schrak Fräulein Siebenstern peinlich zusammen. Aber Konsul Sotteig sprach weiter: „Ein Beruf übrigens, der für die Erziehung der Menschheit und die Entwicklung der Kultur eine bisher noch lange nicht genug untersuchte Einwirkung und Aufgabe hat, da gerade die Kindheit vor dem schulpflichtigen Alter ihre später bestimmenden Eindrücke empfängt, was Herr Doktor Kosel als Arzt mir bestätigen wird. Aber davon abgesehen, Diese Geschichte hat mit Kindern weniger zu tun. Wir dachten wahrhaftig, der Jüngste Tag sei hereingebrochen und mit ihm
Das Zimmermädchen Alma Jahm kam in jener denkwürdigen Nacht des September 1926 etwas später als sonst nach oben. Der schreckliche Wind, der seit zwei Tagen herrschte, hatte die Schutzwand auf der Südveranda eingedrückt, ein Gast war verletzt worden, und Alma Jahm, gerade in der Nähe, hatte beim Verbinden geholfen, da zufällig beide Hotelschwestern kurz vorher durch das herabstürzende Oberlicht im Laboratorium ernstlich zu Schaden gekommen waren. Zudem sprach der junge Allan M. Firewood, den Hut in der Hand, sie in sichtlicher Aufregung an, als sie die Treppe hinaufgehen wollte, die den letzten Aufstieg bildet vom Fahrstuhl des zwölften Stocks in den Dienstbotenflur. Er nahm das Unwetter draußen als Anknüpfungspunkt und fragte sie, was um Gottes willen ein Mann von Lebenslust vor Langeweile dabei beginnen solle. Sie antwortete mehr mitleidig als spöttisch, ohne eine Spur von Dienstbarkeit übrigens dem vornehmen Herrn gegenüber, er solle das Hotel kaufen und ein Heim für arme Kinder Europas daraus machen, indem sie auf einmal phantastisch ein neues, schöneres Wirkungsfeld für sich aufdämmern sah. Er jagte im Augenblick voller Dank für die Anregung vor ihr die Berechnungen gierig durch sein Gehirn, doch mit einem schlecht gezügelten Fluch auf den teuersten Boden der Welt, der den Preisen in Wallstreet oder der Park-Avenue kaum nachstand, taumelte er an den Lift. Es war klar, daß ihm die alkoholischen Flips nicht bekamen, denen er wie alle in der Öde des Luxusbades aller Luxusbäder verfallen war, sein Gesicht war grau und verzerrt vom Nachdenken über den Sinn des Daseins, und somit rief sie hinter ihm her, aufbebend unter dem Geräusch des Sturmes, das den Treppenschacht füllte, nicht in den Spielklub zu gehen, sondern das Boot zu nehmen und hinaus damit auf die See zu steuern, das solle doch wohl eine Sache sein für einen Mann bei diesem Wetter. Danach trat sie in ihre Kammer.
Die Französin, Mitinhaberin ihrer Stube, hob den Kopf aus der Decke, wirrsträhnig, ihre Augen krallten sich angstvoll und verächtlich in Alma Jahms solides Unterzeug, das vom Luftzug flatterte, obschon diese Seite ohne Meeresaussicht war und im Windschatten lag. Mit ihrer von Erfahrung brüchigen Stimme stieß sie hervor, sie habe aus den Karten gelesen, diese Nacht werde Entsetzliches geschehen. Sie betete plötzlich laut in ihrer Muttersprache, dazwischen voller Zweifel, ob Gott in diesem verfluchten Lande französisch könne. Und dann hörten sie beide trotz des Wetters die Brandung der See, die sie so lange nie bis hierher vernommen hatten.
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