Dann jumpten sie in ihre Boote, hißten die Segel und hielten sich in respektvoller Entfernung von dem aus allen Öffnungen weißqualmenden Dampfer, dessen Untergang sie anscheinend erwarteten, um vielleicht noch dabei ihre Beutegelegenheit zu ergattern. Sie mochten sicher Witterung davon haben, daß außer dem Reis sich eine Ladung wertvollen Stückgutes an Bord befand, nämlich verschiedene Kisten sehr teurer Seidenschals, dazu auch Gegenstände aus Bronze und Porzellan, echte Museumsstücke, wie sie in Revolutionstagen eben zu haben sind und was alles sie wegen des Dampfes nicht hatten antasten können.
Übrigens war ihnen inmitten des Gerangels im Laderaum auch der Meßjunge, der ihr Führer sein sollte, abhanden gekommen, er hatte sich nämlich bis über die Haare in dem losen Reis verkrochen. Halb erstickt, mit Brandblasen an Stirn und Nacken, gewann er noch eben die Leiter und das Deck, als die Räuber es gerade in Hast verließen. Er befreite die oben befindlichen von ihren Stricken, was ungeachtet des schützenden Qualmes und aller Vorsicht zur Folge hatte, daß von den Dschunken ein lebhaftes Feuer auf jedes sich nur Bewegende eröffnet wurde; auch näherten sie sich wieder, und die Lage war höchst ungemütlich.
Aber auf einmal nahmen sie den Wind voll in ihre Lappen und machten sich Hals über Kopf davon. Auf der Höhe der Bucht, das stellte sich bald heraus, war nämlich zum Glück eines jener englischen Kanonenboote in Sicht gekommen, die in der Zeit des chinesischen Bürgerkrieges zahlreich in den Gewässern kreuzten. Der Kapitän, der schon SOS hatte funken wollen, verschmähte es nun, und der Engländer, wohl den ungetrübteren Handelsbeziehungen der Deutschen nachsinnend, verhielt sich abwartend, fuhr einen großen Bogen unter Land und verschwand, ohne daß von einer der beiden Seiten eine Verbindung angestrebt worden wäre. Immerhin waren mehrere Stunden vergangen, in denen man an Bord des Dampfers nicht müßig gewesen war. Man hatte von oben Wasser in den Heizraum gepumpt und damit die Kesselfeuer gelöscht. Aber erst gegen Abend war man soweit, daß man die in das Kettengatt Geflüchteten, mit denen man sich durch den engen Ventilator indessen schon verständigt hatte, aus ihrem dunklen, engen und heißen Gefängnis befreien konnte, und es ist ein Wunder zu nennen, daß selbst die Verwundeten sich später erholten, als man ohne weitere Belästigung endlich wieder auf der freien See schwamm. Bemerkenswert ist auch, daß die Reisladung in ihrer Oberschicht durch den Wasserdampf wohl zehn Zentimeter tief vollkommen gar gekocht war, so daß man ohne weiteres seine Mahlzeit davon nehmen konnte – was auch geschah – bis auf die vom Kampf besudelten Stellen.
Ja, wären Kannibalen an Bord gewesen, sie hätten sicher auch den Leichnam des von der Matrosenschaufel Erschlagenen, fertig gesotten, wie er war, verspeist, was nunmehr die Haifische besorgten.
*
„Nun kommen Sie,“ sagte Frau Kosel zu Herrn Alwedder.
Herr Alwedder, der saubere hanseatische Typ, drückte seine Zigarette aus. Mit unbeschwerter, langsamer Stimme erklärte er trocken, das mit dem Überfall sei mehr Wind als Braut gewesen, darum müsse er notgedrungen von einer solchen erzählen; es sei von einer heimlichen, die von zweien zugleich begehrt, danach in die weite Welt gezogen sei. Blankenese bei Hamburg-Altona werde sicher jeder der Anwesenden kennen. Was aber ein Bonnet sei, habe er erst später aus einem Seefahrtswörterbuch erfahren, es sei nicht französisch auszusprechen, trotzdem es wohl von der Levante-Schifffahrt herrühre und auch kein englischer Strohhut, sondern eine Art Schönwettersegel, das in seitlicher Verlängerung der großen Rahsegel auf den Seilschiffen des vorigen Jahrhunderts bei gutem Wind zur Fahrtverbesserung gedient habe. Die Geschichte könne und solle, so niemand etwas dagegen habe, darum auch heißen:
Wir saßen bei von Appen in Blankenese, hinten in der gemütlichen Ecke, ähnlich wie hier im Fröhlichen Haifisch, nur, daß es an der Elbe war. Da fragte einer, ob jemand ein Schifferklavier zu bändigen verstehe? – „Julus von Dalben!“ – „Der? Seit wann?“ – „Ich hab es selber gehört,“ sagte ich.
Julus stand auf, weiß im Gesicht. Er war aus Blankenese, begütert und nicht alt. „Schweig von dem kleinen Bonnet, verflucht, du und sie!“ lachte er unsicher und ging davon.
Also gut. Ich erzählte nichts, und wir tanzten nach den unpersönlichen Platten. Aber nun, da er sich anderweitig verheiratet hat, ist es besser, alles klarzustellen.
Julus hatte sich nämlich damals verknallt in eine der Gondefros. Die Gondefroschen Töchter sind, nehmen wir an, alle blond wie Manilahanf und schlank wie Schilf. Und wie Schilf ist auch, daß man sich manchmal fürchterlich dabei schneidet. Sie sind große Familie, uralte Segelreederei, Salpeter, Zement, vormals Tee- und Sklavenhandel, die Gondefros.
Julus war nur Mitbesitzer einer netten Fischräucherei. Aber er pochte auf sein „von“. Alle Blankeneser heißen mehr oder weniger „von“. Es ist ein gewöhnliches Bauern- und Fischer-Von. Doch Herr von Dalben hielt seines für ungewöhnlicher. Er ließ ein Wappen in seine Briefbogen pressen (nicht auf die Umschläge, um sich nicht bei der Post zu blamieren). Und danach lud er „sie“ schriftlich zum Segeln ein.
Man muß es ihm lassen, er ist ein ausgeluvter Segler, der gute Julus, und seine Sloop ist eine der gelecktesten zwischen Hamburg und Helgoland. Aber eines hätte er wissen müssen, man tauft sein Boot nicht von einem Tag zum andern um; es bringt kein Glück. „Nasser Kater“ ist ein annehmbarer Name für ein Boot. Aber als die schneeigen Schuhe der Gondefro übers Schanddeck ins Cockpit schritten, da stand am Spiegel mit frischer Farbe „Alwel“. Und so hieß sie. Sie haben sonderbare Namen, die Gondefros. Ihr Bruder beispielsweise hieß Pipp. Sie hatte ihn kurzerhand mitgebracht. Er war zwölf Jahre. Mir war er gleich.
Was ich dabei sollte? Ich sollte die Fock bedienen und so, damit er sich ausgiebiger ihrem Anblick widmen könne; denn von Unterhaltung kann bei Julus nicht viel die Rede sein, was er wohl wußte; darum gedachte er, mich als Spaßmacher zu verbrauchen. Auch sollte ich, er sagte es mir hinter der Hand, und hinter der Hand sag ich es wieder, ich sollte bei Gelegenheit eine kleine Empfehlung seiner Person mit einfließen lassen.
Es war ein hübscher, heißer Tag, es briste sanft achterlich, und wir rutschten mit der letzten Ebbe elbabwärts und kamen nach Glückstadt, als der Wind schralte und von Nord uns anhustete. Da zeigten wir, was wir konnten, hüpften über den Schwell und kratzten mit drei Schlägen in den Hafen. Aber als Julus auf den Streckbug über Stag ging, da klang mir sein „Ree!“ weiß der Teufel zu schnauzig, und ich sah, wie sich Fräulein Alwels angenehmer Mund leicht spöttisch gegen mich hob. Somit fierte ich die Fockschot ein wenig spät, und wir schrapten um Fingerbreite an der Mole längs und nahmen ein dickes Stück Wasser über. Nun, an Julus schwappte es leider vorbei, der Knabe Pipp hatte sowieso nichts an, da er für ein zu erwartendes Indianerfest „röten“ wollte, aber Alwel Gondefros herrliche Beine, die traf es.
Julus war sehr in Kragen, Schlips und Jacke. Sie zog die Schuhe über die bloßen Beine. Auf halbem Wege zum Essen meinte er, ob ich nicht lieber den ganzen Lunch ins Boot besorgen könne. Und man sah ihm an, daß er aus seiner puren Auffassung von Vornehmheit ihre mangelnden Strümpfe bedachte. Ich sagte ruhig und plump genug, wir sollten uns freuen, daß alle Leute uns mit einer Gondefro in bloßen Beinen zu sehen kriegten, die hübscher seien als der teuerste Strumpf.
Er wollte mich übertrumpfen und verglich sie mit der Fortuna, die oben auf der goldenen Kirchturmskugel statt des Gockels steht, und ich beneidete ihn schon, da aber entgegnete sie kühl, er verwechsele es hoffentlich nicht mit seinem Wappen. (Auf demselben war nämlich eine Dückdalbe, ein Anlegepfahl, und eine Möve darauf sitzend.) Und die Dame dort oben habe eine zu unmoderne Figur, obwohl sie gerade Tennis mit dem Morgenstern zu spielen scheine, und überdies hießen nach Morgenstern alle Möwen höchstens Emma.
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