Wie es möglich war, das Haar derartig zu wellen, zu kräuseln, zu puffen und aufzubauen, deuchte jedermann ein Rätsel, das fabelhafteste aber war ein breites, goldenes Diadem, dessen Mitte einen Brillantstern trug, sprühend und glühend in allen Farben! So also sehen die Diamanten aus, von denen Heinrich Heine singt: „Mein Liebchen, was willst du noch mehr?“
Und nicht nur der Haarreif war mit diesen funkelnden Steinen besetzt, nein, über Hals, Brust und Armen flimmerten sie wie ein Märchen aus Tausend und einer Nacht, — wunderbar! unfasslich! Ja, da musste das Vermögen nach Millionen zählen, wenn man derartige Schätze unverzinst in die Kommode legen kann!!!
Mit leisem Frou-frou rauschte die pfirsichblütfarbene Seidenplüschschleppe wie ein gleissender Strom hinter der schlanken Gestalt her, und die Herren, welche folgten und solche Toilettenpracht nicht kannten, gerieten anfangs öfters in die Gefahr, rechts und links darüber hinweg zu stolpern!
Aber sie fanden sich schnell in die höfische Sitte und hielten Distance von der seidenglänzenden Pracht.
„Sie hat auch rosa Schuhe und Strümpfe an!“ flüsterte es schier atemlos vor Staunen im Kreise der Damen.
„Und Handschuhe bis über die Ellbogen hinauf!“
„Und der Atlas vorn am Kleid ist mit Gold durchwirkt!“
„Jetzt öffnet sie den Fächer —! Minchen, guck doch nur, er ist ganz und gar von rosa Straussenfedern!“
„Nun kann ich mir doch vorstellen, wie die Königin aussieht“, schwärmte ein stumpfnäsiges Fräulein. Die Bürgermeisterin knixte und schüttelte der Gräfin die zarte Rechte, als wolle sie das Gelenk auf seine Dauerhaftigkeit prüfen!
Dann griff sie rechts und links nach rückwärts und zerrte die schämigen, dunkelrot erglühenden Töchter vor. Frau Melanie stutzte bei deren Anblick, auch über ihr Antlitz ergoss sich verräterische Glut, sie hob den Fächer bis an die Augen und hustete so heftig, dass die Frau Bürgermeisterin im Begriff stand, allen Respekt vergessend, sie hilfreich in den Rücken zu klopfen.
Der Graf presste den Arm der Gemahlin auch recht besorgt an sich, — da legte sich der Husten, die Gräfin lächelte wie ein Engel und reichte den jungen Mädchen die Hand, mit dem scharmanten Kompliment für die Frau Mama: „Was haben Sie für frische, bildschöne Töchterchen, Frau Bürgermeisterin!“
Wer war beglückter als diese!
Und dann wurden die nächststehenden Damen vorgestellt und das gräfliche Paar hatte für jede die gewinnendsten Worte.
Während dessen gab der Graf einen Wink, dass der Tanz beginne. Er bot der Bürgermeisterin galant den Arm, — die Gräfin legte mit graziösem Lächeln ihre Hand auf den des Herrn Bürgermeisters und die grosse Polonaise begann. Sie tanzen sogar mit!!
Wie Enthusiasmus schwellte es aller Brust, selbst die Musikanten schmetterten so begeistert darauf los, dass Gräfin Niedeck manchmal schmerzhaft zusammenzuckte.
Das Fest hatte begonnen und nahm einen glänzenden Verlauf.
Die gräflichen Herrschaften plauderten mit allen Anwesenden und die Gnadensonne ihrer Huld bestrahlte ausnahmslos einen jeden, welcher sich in ihre Nähe wagte.
Der Assessor fieberte! Die Gräfin tanzte Walzer mit ihm, — der Apotheker und Assistent klatschten während dessen alle anderen tanzenden Paare ab, teils aus höchster Devotion, teils um ein Unglück mit der Schleppe zu verhüten, welche die hochgeborene Frau zu allgemeinem Staunen selbst während der Rundtänze nicht hoch nahm.
Aber der Assessor war ein Mordskerl, er machte seine Sache brillant, und heimste nachher auch von allen grösstes Lob ein.
„Ja, mit Schleppe tanzen!“ lächelte er blasiert — „das will eben gelernt sein! Ich habe lange Jahre in den grossen Städten dazu Zeit gehabt!“
Es war ganz augenscheinlich, dass das Ansehen des Assessors mit diesem Tanze noch bedeutend stieg, auch die anderen jungen Herren bildeten plötzlich ein Strebertum, — sie bemühten sich im Schweisse ihres Angesichts zu zeigen, dass auch sie Mut und Schliff genug besassen, eine Dame wie Gräfin Niedeck aufs beste zu unterhalten!
Der Tanz nahm seinen Fortgang, und während Frau Melanies Diamantgefunkel die Herzen und Seelen im Saale in Zauberbande schlug, setzte sich der Graf im Nebenzimmer nieder, im Kreise seiner Getreuen männerwürdige Reden zu pflegen!
Er hatte voll gewinnendster Kordialität den Doktor an seine Seite gerufen und schien es ganz besonders darauf abzusehen, auch diesen Herrn mit Leib und Seele für sich zu gewinnen.
„Verkehren Sie viel und intim mit meinem Vetter Willibald auf Schloss Niedeck?“ fragte er.
Der Arzt zog ein sauersüsses Gesicht: „Doch nicht, Herr Graf!“ — verneigte er sich, „meine Bekanntschaft mit dem Majoratsherrn ist leider nur eine sehr oberflächliche!“
Rüdiger war starr. „Wie ist das möglich!? Der Arzt pflegt gewöhnlich auf dem Lande der vertrauteste Freund und Ratgeber zu sein? — Aber ganz recht, ich entsinne mich, dass Willibald stets eine Aversion gegen Ärzte hegte, ihre Wissenschaft verspottete und sich lieber einen Quacksalber von Wunderschäfer holen liess, anstatt eine Autorität zu konsultieren!“
Der Doktor lachte scharf auf.
„Ganz recht! Der alte Schäfer Enke ist Faktotum bei dem Herrn Grafen, falls derselbe wirklich einmal zu klagen hat, was äusserst selten der Fall ist!“
„Hm ... bei Leuten seines Geisteszustandes bilden sich ja derartig krankhafte Marotten!“ nickte Graf Rüdiger traurig, „aber er ist doch hoffentlich anständig genug, Ihnen als Entschädigung für solche Nichtachtung ein hohes Jahrgehalt zu zahlen, um Ihr Ansehen in der Stadt nicht zu schädigen?“
Das magere Gesicht des Gefragten spiegelte allen Ingrimm, welcher wohl schon seit Jahren an dem armen, kinderreichen Familienvater zehrte.
„O nein, nicht einen roten Heller beziehe ich von ihm, wie sollte ich auch, da ich ja gar nicht nach Niedeck geholt werde!“
Rüdiger war empört, ausser sich „Ist es denn schon soweit mit dem Unglücklichen gekommen, dass ihm jedes Pflicht- und Ehrgefühl mangelt? Wenn eine anständig denkende Familie auf Niedeck wohnte, müssten Sie ein fürstliches Salär beziehen, teuerster Doktor! ein Salär, wie es Ihre hohen Kenntnisse einfach bedingen!!“
Der kleine Landarzt seufzte tief auf und nickte trostlos mit dem Kopfe, dann fragte er mit hassfunkelnden Augen: „Sie halten ihn wirklich für verrückt, Herr Graf?“
„Gewiss, Sie etwa nicht, lieber Doktor, der doch als Mann der Wissenschaft seinen Zustand am besten beurteilen kann?!“
„Ich .. o ... ja ... ich —“ stotterte sein Nachbar verlegen, „ich habe ihn stets für einen Sonderling gehalten, — zu näherer Beobachtung seines geistigen Zustandes habe ich leider noch keine Gelegenheit gehabt!“
„Und bedarf es derselben wirklich?“ seufzte Rüdiger kummervoll auf.
„Ich dächte, alles, was man von meinem armen Vetter hört und sieht, spräche deutlich genug für seinen Zustand. Degeneriert! — Dies eine Wort sagt alles! Sehen Sie seinen unförmigen Kopf an, — wie eine Wassermelone! Das kommt bei den sechzehn Ahnenheiraten heraus!“
Der Bürgermeister lachte hart auf. „Ja, ja, das sieht ein Kind ein, dass es bei dem Grafen Willibald nicht mehr richtig im Hirn ist! Haben Sie schon von seiner neuesten Verrücktheit gehört, meine Herren?“ —
Alle Köpfe schossen eifrig näher: „Nein, bitte, erzählen Sie!“ —
„Nun, der Herr Graf hat sich jetzt für Tischgesellschaft gesorgt! Es wird täglich für sechs Personen gekocht und gedeckt. Dann geht Seine Hochgeboren hinüber in die Ahnengalerie, wühlt fünf Porträts aus, dieselben werden in das Kutscherstübchen gesetzt, und nun nimmt der Graf neben ihnen Platz, legt seinen stummen Gästen Essen vor, schenkt ihnen ein, — spricht mit ihnen — —“
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