Der Fremde zuckte mit seltsamem Lächeln die Achseln. „Ein Majorat kaufen, meine Herren? Dieses Kunststück machen Sie mir einmal vor!“ Er strich langsam den spitzengedrehten Schnurrbart, dann hob er in jähem Entschluss den Kopf.
„Meine Herren“ — rief er laut — „können Sie schweigen?“ —
„Herr Graf! — Wie das Grab!“ — klang es zurück, während die weinseligen Gesichter sich voll fiebernden Interesses über den Tisch neigten. „Ihr Vertrauen ist uns königliche Ehre!“ —
„Nun denn, meine Herren — Sie sehen in der Gräfin und mir die künftigen Besitzer von Schloss Niedeck! Ich habe die Ehre, mich Ihnen bekannt zu machen — last not least! ... Ich bin Rüdiger, Graf zu Niedeck.“ —
Wie gelähmt vor Überraschung sassen die Herren, einen Augenblick herrschte beklommenes Schweigen, dann erhob sich der Apotheker, verneigte sich tief und schuldbewusst und stotterte: „Wir hatten keine Ahnung, Herr Graf ... ich bitte für uns alle ganz unterthänigst tausendmal um Entschuldigung, dass wir es gewagt haben, so sehr abfällig von Ihrem hochgeborenen Herrn Vetter zu sprechen!“ —
Der Graf schüttelte lachend den Kopf, streckte dem Sprecher herzlich die Hand entgegen und drückte sie lebhaft.
„Mein verehrter Herr“ — lachte er — „ich bitte Sie um alles, keine Exküsen! Sie haben die volle, lautere Wahrheit gesagt, welche ich Wort für Wort unterschreibe! — Meine Herren! Ich bin für gewöhnlich nicht so schnell mit Bekanntschaften machen, aber ich muss gestehen, dass Sie alle mir einen so ausserordentlich sympathischen Eindruck machen, dass ich das Gefühl habe, guten, langjährigen Freunden gegenüber zu sitzen, und dass dies noch in Wirklichkeit durch lange Jahre der Fall sein möge — darauf, meine Herren, lassen Sie uns die Gläser leeren! — Meine zukünftigen Gäste auf Schloss Niedeck, sie leben hoch!“
Ein brausendes Hurra erfüllte das Zimmer. Wie ein wahrer Rausch überkam es die geschmeichelten Herren. — Sie warfen sich in die Brust, als habe sie das Wort des Grafen allesamt zu Rittern geschlagen, — sie schüttelten und drückten ihm die Hände mit einem Enthusiasmus, als gälte es, ein einiges Deutschland zu feiern. Ein vereinigtes „Angerwies und Niedeck“ schien allen in diesem Augenblick noch tausendmal wichtiger und weihevoller. Der Assessor lüsste schon zum dritten Male die Hand der Gräfin und rief leidenschaftlich: „Die künftigen Herren von Niedeck! Wann bricht aber diese goldene Zukunft für uns alle an, gnädigste Gräfin?“ —
Eine atemlose Stille trat ein. „Ja, wann bricht sie an?“ wiederholte der Apotheker mit sehnsuchtsvollem Seufzer.
Der Graf blickte ernst in sein Glas. — „Wenn mein Vetter zu seinen Vätern heimberufen wird, meine Herren, und das möge noch Zeit und Weile haben, ich will ihm sein Leben bei Gott von Herzen gönnen, wenngleich er in seinem traurigen, geistigen Zustand nicht viel Genuss davon hat, und auch anderen nicht zum Glücke dient. — Ich weiss nicht, ob Sie mit unseren Familiensatzungen vertraut sind, meine Herren? — Nein? — das wundert mich, denn dieselben sind so eigenartig, dass sie als Absonderlichkeiten im ganzen Lande bekannt sind und viel besprochen werden. Der Vater meines Vetters Willibald und der meine waren Brüder. Nach Recht und Gesetz erbte der Ältere, Willibalds Vater, das Majorat, und diesem folgte rechtmässig sein einziger Sohn, der jetzige Besitzer. Obwohl Willibald seit Jugend auf ein absonderlicher Kauz war und den Begriff „Degeneriert“ leider stark bewahrheitete, schien doch für mich wenig Aussicht auf das Erbe, und darum heiratete ich ohne Rücksicht auf die wichtigste aller Majoratsklauseln meine schöne Frau hier ...
„Schmeichler!“
„Die volle Wahrheit, schöne Gräfin!“
„Obwohl ich dadurch für mich persönlich jedes Recht auf das Majorat aufgab.“ —
„Mein Gott, in wie fern das, Herr Graf?!“ —
„Meine Frau ist eine geborene Bürgerliche, die Tochter eines unserer bedeutendsten Industriellen des Landes, — wer jedoch Majoratsherr von Niedeck sein oder werden will, darf nur eine Gattin mit sechzehn Ahnen, die Tochter eines im Lande angesessenen Adelsgeschlechtes heimführen ...“
„Wie absurd! — unerhört!! — lächerlich!!!“ —
„Ja, meine Herren, die Klausel ist nicht nur lächerlich, sondern unhaltbar, denn bei unseren heutigen gesellschaftlichen Verhältnissen gehört eine Dame mit sechzehn Ahnen zu den grossen Seltenheiten, sie ist kaum noch im deutschen Reiche zu finden, geschweige denn in unserem kleinen Ländchen, wenn sein Adel auch als einer der exklusivsten noch gilt. Ein tadelloser Stammbaum von derartiger Höhe ist nur noch bei zwei Familien des Landes zu finden, und der Zufall wollte es, dass just für unsere Generation — ich meine für Willibald und mich, keine heiratsfähigen Töchter vorhanden waren. Ich sah ausserdem meine kleine Frau — und damit war mein Schicksal besiegelt.“ —
„O, wie begreiflich!“ flüsterte der Assessor mit schwärmerischem Blick.
„Ich persönlich kann also niemals mehr Besitzer und Majoratsherr von Niedeck werden, sondern mein ältestes Söhnchen wird erst in diese Rechte treten, wohl aber kann ich als Vater und Vormund des Kindes das Erbe für ihn verwalten, falls Willibald vor dessen Volljährigkeit sterben sollte.“ Der Sprecher schwieg, — nachdenklich starrten die Herren in die Gläser.
„Wie sehr traurig liegen die Verhältnisse für uns, Herr Graf!“ seufzte der Apotheker, „denn ich fürchte, so krank auch der Geist des Herrn Grafen sein muss, so kerngesund ist sein Körper und lässt ihn ein sehr hohes Alter erreichen!“ —
„O, das wäre gleichgültig, wenn wir ...“ rief die Gräfin sehr eifrig, verstummte aber unter dem scharfen, warnenden Blick, welchen ihr Gatte ihr zuwarf.
„Wenn wir wenigstens zeitweise als Gast auf Niedeck weilen und unsere liebenswürdigen Freunde hier bei uns sehen könnten!“ — fiel er ihr schnell mit gewinnendem Lächeln ins Wort, „nun, die Hoffnung müssen wir aufgeben, mein Kind, denn du weisst, dass Willibald und ich uns als feindliche Vettern gegenüber stehen. Ich huldige der Devise: Leben und leben lassen! und bin bemüht, durch mein Geld auch anderen Menschen Freude und Genuss zu verschaffen. Willibald dahingegen ist ein knickeriger Egoist, welcher kein Herz für seine Mitmenschen hat!“
„Das stimmt!“ klang es erbittert im Kreise.
„Wird denn aber ihr Söhnchen eine Frau mit sechzehn Ahnen finden, Herr Graf?“ fragte der Postassistent schüchtern, — die Sache ging ihm gewaltig im Kopf herum und beunruhigte ihn ersichtlich.
Graf Rüdiger lachte: „Ja, mein lieber Müller, dafür habe ich schon beizeiten Sorge getragen. Mein ältester Junge ist jetzt zehn Jahre alt, und bei dem Freiherrn von Nördlingen-Gummerbach ist vor vier Jahren ein reizendes, blondhaariges Töchterchen geboren, welches recht arm an Geld, aber desto reicher an Ahnen ist.
Diese kleine Pia ist die gegebene Frau für meinen Wulff-Dietrich. Bei ihrer Taufe haben wir Väter die Sache bereits abgemacht, und ich erachte das kleine Elfchen schon völlig als Schwiegertochter, denn sie muss es werden, es gibt keine andere Frau im Lande für den Niedecker. — Nun aber noch einmal an die Gläser, meine Herren! Das Wetter klärt sich auf und Papa Simmel muss uns einen Wagen beschaffen, dass wir ein wenig spazieren fahren können. Ich muss doch einmal nach dem Rechten sehen, ob die Besitzungen unter dem Regime des geisteskranken Herrn nicht allzusehr herunter kommen! — Heute abend auf Wiedersehen, meine Herren? Sie speisen doch wohl wieder hier?“
Man rieb sich halb verlegen, halb eifrig die Hände.
„Für gewöhnlich kommen wir erst nach dem Abendbrot wieder hier zusammen, aber wenn wir die hohe Ehre geniessen können, mit den Herrschaften abermals zusammen zu sein .. —“
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