HELGOLAND
Mich verzaubert dieser Ort und die Vorstellung, wie es damals auf Muckle Flugga gewesen sein mag. Es ist aber mehr als nur ein romantischer Rückzugsort. Nach einem Tag auf See ist es auf der Islandfähre das erste Mal, dass wieder Land in Sicht kommt. Ich habe durch Muckle Flugga besser verstanden, welche Bedeutung Leuchttürme für Seeleute haben.
Welche Erleichterung es ist, ein Feuer über der See zu sehen.
Position: Deutsche Bucht
Koordinaten: 54°10’54,6’’N, 007°52’56,6’’O
Baujahr: 1952
Feuerhöhe: 82 Meter
Kennung: Blitz, weiß, 5 s
Ich wurde davon wach, dass etwas gegen das Hotelfenster schlug, ein kleiner Ast vermutlich, oder ich hatte das nur geträumt. Der Sturm zog noch immer über die Nordsee und den Roten Felsen. Eigentlich hatten wir nur über das Wochenende auf Helgoland bleiben wollen, doch nun ging keine Fähre rüber aufs Festland, und es wehte so heftig, dass auch der Flieger nicht von der Düne abheben konnte. Obendrein kündigte der Wetterbericht Eisregen an und warnte vor jeder Autofahrt.
Wir saßen also auf Helgoland fest. Es war herrlich.
Ich lag nun wach im Bett. Draußen heulte der Sturm, und ein brummender Ton lag in der Luft. Insulaner haben mir später erklärt, dass er von einer Antenne auf Oberland kommt, die ab einer gewissen Windstärke, so um die neun, zu schwingen beginnt. Der Lichtkegel des Leuchtturms huschte am Fenster vorbei. Es hatte etwas Beruhigendes, ich zählte die Sekunden zwischen dem Signal. Fünf Sekunden.
Ich weckte meine Frau und erklärte ihr, dass wir unbedingt zum Leuchtturm hochmussten. Das war doch irre romantisch! Ihre Begeisterung hielt sich zunächst in Grenzen, doch wenige Minuten später machten wir uns auf den Weg.
Die Treppe hinauf aufs Oberland kann einem lang vorkommen, vor allem in Sturm und kaltem Regen. Immerhin waren wir wach, als wir oben ankamen. Helgolands Gassen haben etwas Unheimliches in einer Sturmnacht. Wir bogen einmal falsch ab, an der Kirche, fanden schließlich aber den Weg und standen vor dem Leuchtturm.
Faszinierend war die Reichweite seines Lichtstrahls. 28 Seemeilen (fast 52 Kilometer) weit schleudert der Turm in klaren Nächten sein Signal hinaus in die Nacht. So weit wie kein anderer Leuchtturm in Deutschland. Wenn die Wetterbedingungen stimmen (es muss klar sein und ein bisschen feucht), dann sieht man das Licht von Helgoland noch in Sankt Peter-Ording oder Harlesiel am Festland. 35 Millionen Candela ist das Licht stark. Die Lichtstärke einer Kerze entspricht einer Candela. Es sind also umgerechnet 35 Millionen Kerzen, die Schiffen auf Helgoland den richtigen Kurs anzeigen.
Eine Schönheit ist der Turm auf dem Oberland nicht. Viereckig, schlicht, aus Stahlbeton, mit rotem Backstein verkleidet, und auf dem Dach keine schöne Haube, sondern eine Menge Antennen für Radar, Seefunk und Flugfunkfeuer. Die Nazis ließen den Turm als Flakleitstand errichten. Seine Mauern sind so stark, dass er die Bombenangriffe während des Krieges und selbst den „Big Bang“, die stärkste nicht-nukleare Sprengung der Geschichte durch die Briten, überstand. 1952 wurde aus dem Kriegsgebäude ein Lebensretter.
Der Sturm wehte in dieser Nacht so stark, dass wir uns daran anlehnen konnten. Ich werde diese Minuten, in denen wir vor dem Turm standen und seinem Feuer hinterhersahen, niemals vergessen. 
PHARE D’ECKMÜHL
AM LEUCHTTURM DER ERTRUNKENEN
Zwei Hafenmauern liegen wie schützende Arme vor den Docks von Ramsgate in der Grafschaft Kent, Südengland. Dieser Schutz ist wichtig, wenn die See wütend wird. Auf einer Mauer, ganz vorne an der Einfahrt in den Hafen, steht ein kleiner Leuchtturm mit rotem Dach. Als wir näher kommen, hören wir das „Pingen“ von Morsezeichen.
Jeder Morse-Code, der aus dem Inneren des kleinen Turmes dringt, ist der Name eines Schiffes, das vor der Küste sank.
Mehr als zweitausend Schiffe, so die Schätzungen, liegen hier vor der Küste auf Grund. Mehr als tausend Namen werden zu ihrem Gedenken per Morsezeichen in endloser Schleife von morgens bis abends rausgeschickt auf die See.
Es ist ein Kunstprojekt, das bei mir eine Gänsehaut auslöst. Der Blick auf die See ist danach ein anderer, auch am heutigen Tag, an dem sie ruhig und still ist. Die See wirkt bedrohlich.
Sie wirkt unheimlich.
„Worse things happen at sea“, die schlimmsten Dinge passieren auf See, das war eine Redensart des Vaters von Nick De Carlo, einem in Ramsgate lebenden Künstler, der die Idee zu den Signalen aus dem Leuchtturm hatte. Sein Vater arbeitete als Funkoffizier auf einem Schiff der Marine. Dieser Satz und die Geschichte der Sandbänke vor dem Hafen inspirierten De Carlo zu einer Installation, die so einfach ist und auch deshalb so berührend.
Nicht weit vor der Küste befinden sich die gefürchteten Goodwin Sands, eine Kette von Sandbänken in der Straße von Dover. Insgesamt sind die Sände 19 Kilometer lang und an der breitesten Stelle acht Kilometer weit. Sie sind so berüchtigt, dass sie der Volksmund den „großen Schiffsschlucker“ nennt. Schon in Stücken von William Shakespeare und im „Moby Dick“ von Herman Melville tauchen die Goodwin Sands auf, als ein besonders gefährlicher Ort. Theodor Fontane schrieb über sie im Jahr 1847 ein Gedicht: „Ein Kirchhof ist’s, halb Meer, halb Land.“
Schon immer haben die Goodwin Sands die Fantasie angeregt. Seit dem Mittelalter hielt sich die Legende, dass die Goodwin Sands einst eine niedrig liegende Insel namens Lomea gewesen sein soll, die Godwin gehörte, einem Earl von Wessex. Heute gehen Geologen davon aus, dass keine geheimnisvolle, versunkene Insel der Ursprung der Goodwin Sands ist, sondern schlicht die starke Tide in der Straße von Dover.
In der Nähe der Stadt Dover, direkt an den Rand der weißen Klippe, baute man einen Leuchtturm, um die Kapitäne zu warnen. Bis heute ist die Mechanik des South-Foreland-Leuchtturms erhalten, inklusive einer Handkurbel im oberen Stockwerk. Wer den Turm besucht, taucht ein in die Welt eines viktorianischen Leuchtturmwärters. Der Turm selbst wurde 1898 weltberühmt. Erstmals gelang es von hier aus, eine Morse-Nachricht auf ein Schiff zu übertragen.
Was die Sandbänke so gefährlich macht, ist eine Mischung, die Seeleute fürchten: starke Strömungen, flaches Wasser und eine enorme Brandung bei schlechtem Wetter, das im Süden Englands in den Herbst- und Wintermonaten nicht unüblich ist. Die Strömung sorgt dafür, dass die Sände ständig ihre Lage verändern. Bei Hochwasser sind die vollständig überflutet. Bei Niedrigwasser ragen sie bis zu vier Meter aus dem Wasser hinaus, weshalb auf den Goodwin Sands gelegentlich Cricketspiele ausgetragen werden. Was ein wenig makaber erscheint, denn es ist fast wie ein Spielplatz auf einem großen Friedhof.
Hatte der Sturm ein Schiff auf die Sandbank getrieben, gab es für die Menschen an Bord kein Entkommen. Dann zerschlugen die Brecher das Schiff und alles Leben an Bord. Schiffe aus Holz hatten gar keine Chance, doch auch Rümpfe aus Stahl brachen in der Regel auseinander. Es war nur eine Frage der Zeit. Besonders dann, wenn das Schiff am Rande der Sandbank feststeckte und der Tidenhub von bis zu sechs Metern das Metall bei einer Schräglage schon durch das eigene Gewicht extrem belastete. Manche Havaristen wurden vom Sand, durch die Strömung aufgewirbelt, regelrecht „verschlungen“, wie von einem Monster in der See. Der große Schlucker von Schiffen.
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