Bild 5: Zusammenhänge, Wirkungsbeziehungen und Abhängigkeiten in der Feuerwehrbedarfsplanung
Aus den Planungszielen leiten sich die Ausprägungen der vier wesentlichen Merkmale einer Feuerwehr ab, die sich in Organisation, Standorte, Fahrzeuge und Geräte sowie Personal einteilen lassen.
Die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit der Festlegung eines Erreichungsgrads ist fachlich strittig, da sein planerischer Einfluss gering ist und es sich daher vielmehr um ein Controlling-Instrument zur retrospektiven Zielerreichung handelt als um einen wirklichen Planungsparameter (vgl. Kapitel 4.3.3). Ein niedriger realer Erreichungsgrad ist ein Indikator dafür, dass im Gemeindegebiet oder in bestimmten Ortsteilen die Planungsziele regelmäßig nicht erfüllt werden. Sind die eigenen bedarfsplanerischen Mittel ausgereizt, um diese potenziell unterversorgten Gebiete abzudecken, ist auf eine interkommunale Zusammenarbeit (vgl. Kapitel 3.11) hinzuwirken und outcome-orientierte »Kompensationsmaßnahmen«(vgl. Kapitel 2.4) zu treffen.
Einflussgrößen auf die Festlegung der Planungsziele
Bei der Festlegung der Planungsziele steht der Kommune im Rahmen ihrer verfassungsmäßig zugesicherten Selbstverwaltungshoheit ein gewisser Gestaltungsspielraum zu (vgl. Kapitel 2.3). Durch gesetzliche oder aufsichtsbehördliche Vorgabenwirddiesem jedoch ein rechtlicher Rahmen gesetzt. Allerdings gibt es in den meisten Bundesländern weniger rechtsverbindliche Vorgaben als gemeinhin angenommen. So existiert beispielsweise entgegen landläufiger Kenntnis lediglich in zwei Bundesländern eine gesetzliche Hilfsfrist (vgl. Kapitel 4.6.18). Ferner kann sich bei der Festlegung der Planungsziele an Hinweisen und Empfehlungen von Fachverbänden (z. B. AGBF, Landesfeuerwehrverbände) orientiert werden.
In der Vergangenheit wurde die Debatte um das »richtige« Planungsziel sehr technokratisch geführt, indem (vornehmlich durch die Empfehlungen der AGBF) ein Anwendungszwang der von ihnen veröffentlichen Planungsparameter suggeriert wurde, die sich aus vermeintlich naturwissenschaftlich-medizinischen Tatsachenzusammenhängen im Kontext der physiologischen Rauchgasverträglichkeit von Brandopfern abgeleitet haben (vgl. Kapitel 4.5). Zwar hat die postulierte Argumentationskette keinen Bestand mehr, dennoch ist die Feuerwehrbedarfsplanung nicht frei von technischen Sachzusammenhängen. So steht beispielsweise der Zusammenhang zwischen Interventionszeit der Feuerwehr und Schadensausmaß bei einem dynamischen Ereignis außer Frage. Je eher die Feuerwehr an der Einsatzstelle eintrifft, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, erfolgreich eine Schadensbegrenzung vornehmen zu können. Und auch zur Bewältigung eines Einsatzszenarios ist sachlich-logisch ein konkreter Kräfte- und Geräteansatz erforderlich. Zudem liefern immer wieder neue Forschungsergebnisse eine empirische Erkenntnisbasis, auf die bedarfsplanerische Maßnahmen aufsetzen.
Da sich aber nicht alle Festlegungen der Planungsziele vollständig aus technischen oder wissenschaftlichen Erfordernissen ableiten lassen, sondern letztendlich politisch getroffen werden, spielen auch ethische Aspekte eine Rolle bei der Suche nach einem angemessenen Versorgungsniveau der Feuerwehr (vgl. Lindemann, 2016). Feuerwehrbedarfsplanung ist insbesondere auch eine Frage der »Verteilungsgerechtigkeit«, zu der in der Literatur und der Gesellschaft ein intensiver Wertediskurs geführt wird. Die Ethik setzt dort an, wo Rechtsnormen wie auch Sachgründe an ihre Grenzen kommen und sich Gestaltungsspielräume auftun. So etwa bei der Frage, ob es ethisch vertretbar ist, für unterschiedliche Bereiche (gar innerhalb einer Gemeinde) auch unterschiedliche Planungsziele und damit unterschiedliche Versorgungsniveaus festzulegen. Ethisch geboten ist es beispielsweise auch den Einsatzkräften gegenüber sicherzustellen, sie durch eine adäquate Dimensionierung der Feuerwehr nicht unkalkulierbaren Risiken auszusetzen.
Nicht zuletzt unterliegt die Planung der Feuerwehr auch dem Diktat des Machbaren: der normativen Kraft des Faktischen. In den Orten beispielsweise, in denen partout keine tagesalarmverfügbaren oder feuerwehrdiensttauglichen Bürgerinnen und Bürger wohnen und in denen eine hauptamtliche Sicherstellung des Brandschutzes und der Hilfeleistung jenseits jeglicher Verhältnismäßigkeit läge, müssen faktisch längere Eintreffzeiten und die Notwendigkeit zur Selbsthilfe und -rettung akzeptiert werden (vgl. auch Kapitel 2.4).
Einflussgrößen auf das Bemessungsszenario
Das den Planungszielen zugrundeliegende Bemessungsszenario für den Feuerwehrbedarf leitet sich vornehmlich aus dem Gefahrenpotenzial in der Kommune und dem vorherrschenden Einsatzgeschehen ab. In seltenen Fällen führen auch herausragende Einsätze, durch die eine Stadt oder Gemeinde in ihrer Geschichte besonders geprägt wurden (z. B. Flughafenbrand, Zugunfall), dazu, dass sie aus politischen und »bürgerberuhigenden« Gründen Eingang in die Bemessungsszenarien finden.
Die Berücksichtigung des vorherrschenden Einsatzgeschehens darf nicht dazu führen, dass eine Feuerwehr nur für die Beseitigung von Ölspuren als bemessungsrelevantes Szenario dimensioniert wird. Dennoch ist an dieser Stelle ganz besonders auf die örtlichen Verhältnisse einzugehen. So kann beispielsweise der häufig als maßgebliches Bemessungsszenario angesetzte »kritische Wohnungsbrand« (vgl. Kapitel 5.3.3.1) in großstädtischen Strukturen nicht hinreichend sein (z. B. bei besonderen Objekten wie Kliniken), während dieser in ländlich-peripheren Bereichen quasi ein »Jahrhundertereignis« darstellt und als alleiniges Leitszenario überdimensioniert und damit nicht verhältnismäßig ist. Ist eine Kommune durch Wasserflächen oder Industriebetriebe geprägt, sind auch entsprechende Planungsszenarien in Ansatz zu bringen, anhand derer die Fähigkeiten und Ausstattung der Feuerwehr bemessen werden kann.
Wesentliche Merkmale einer Feuerwehr
Die Organisation der Feuerwehr spielt neben den materiellen und personellen Komponenten eine wesentliche Rolle bei der Zielerfüllung der planerischen Vorgaben und ist stark durch die vorherrschenden örtlichen Gegebenheiten geprägt. So können organisatorische Maßnahmen bei unveränderten Planungszielen und konstanter Standort-, Fahrzeug- und Personalstruktur die Zielerreichung verbessern, indem beispielsweise eine Anpassung des Alarmierungskonzepts (z. B. Parallelalarmierung mehrerer Einheiten oder besonderer alarmverfügbarer Kräfte) oder des Ausrückverhaltens (z. B. frühzeitiges Ausrücken mit auch verminderten Personalstärken und Addition von Einheiten nach dem Rendezvous-Prinzip) erfolgt, der Zuschnitt von Ausrückebereichen optimiert wird und Absprachen im Bereich der interkommunalen Zusammenarbeit forciert werden.
Die Standortstruktur der Feuerwehr leitet sich maßgeblich aus der im Planungsziel festgelegten Planungsfrist ab, durch die der Aktionsradius der einzelnen Standorte determiniert wird (zeitlich-räumliche Gebietsabdeckung). Je länger die im kommunalen Planungsziel festgelegten Planungsfristen formuliert werden, desto mehr Gemeindefläche kann von einem Standort aus »abgedeckt« werden. So könnten je nach geographischer Beschaffenheit einer Gemeinde bei einer entsprechend »langen« Planungsfrist die planungsrelevanten Bereiche von einem einzigen Standort aus erreicht werden, während bei einer entsprechend »kurzen« Planungsfrist zur Abdeckung des gleichen Siedlungsgebiets mehrere Standorte erforderlich sein können.
Dabei wirken auch die Topographie und die Siedlungsgeographie einer Gemeinde in Hinblick auf die fristgerechte Aufgabenerfüllung der Feuerwehr auf ihre Standortstruktur ein: Es macht einen großen Unterschied, ob eine kompakte Siedlungsstruktur in einem einzigen Ortskern vorherrscht, die durch eine effiziente Feuerwehrstruktur versorgt werden kann, oder ob sich die gleiche Einwohnerzahl in einem ausgedehnten Gemeindegebiet auf mehrere Ortsteile verteilt und daher mehrere Standorte der Feuerwehr erforderlich sind. Zusätzlich können topografische Besonderheiten (z. B. natürliche oder künstliche Barrieren wie etwa Flüsse oder Bahnstrecken) dazu führen, dass bestimmte Gemeindegebiete nur über Umwege (z. B. über Brücken, Bahnübergänge) zu erreichen sind.
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