Ned nickte, das langsame, gewichtige Nicken eines Meisters, der einen Novizen in ein Geheimnis einweiht, und goß Whiskey in mein Glas.
»Oder vielleicht einen seiner Constables«, sagte er. »Einen Bauernburschen wie die, mit denen wir heute nacht zusammengewesen sind.«
»Du hast es heute nacht selber gesagt«, sagte ich. »In Knockmany. Sie sind Englands Armee in Irland. Bewaffnet und uniformiert.«
»Ja«, erwiderte Ned.
Aber als ich diese Worte aussprach, waren sie nur Worte, raschelndes Zeitungspapier. Eine Rebellion war auf eine Stadt zusammengeschrumpft, und die Stadt auf eine Küche, die Küche auf zwei Männer, die einander an einem Tisch gegenübersaßen. Finstere Nacht umgab uns, und ich empfand einen unvernünftigen Zorn auf diese unbekannten Männer in Dublin und New York, die glücklich an ihren Intrigen und großartigen Plänen, an ihren vorgeblich heldenhaften Zeitungskampagnen und ihrer lodernden Rhetorik arbeiteten. Meine Rebellion würde ein Küchentisch sein, eine verlauste Kaserne, Ned Nolans amerikanischer Revolver.
»Für dich ist das alles leicht«, sagte ich, und es war mir egal, ob mein Unwillen sich darin zeigte. »Ein Soldat, der in ihrem großen Krieg erzogen und geformt worden ist.«
Ich kostete das zweite Glas, einfach pur, rauh und ohne Wasser, ein scharfes Feuer in meinem Mund.
»Aber das ist es ja gerade, Hugh«, erwiderte Ned. »Das ist es doch. Ich habe dir ja erzählt, daß ich Corporal war, ein Flohsprung über einem gemeinen Soldaten. Wir waren meistens in Lagern oder auf dem Marsch zwischen zwei Orten. Und die Schlachten waren für uns wie Scharmützel, wir feuerten unsere Gewehre ab, pflanzten unsere Bajonette auf und stürzten vor, wenn uns das befohlen wurde. Es war nicht mein Leben, sondern ein Traum, in den ich hineingetaumelt war. Kriege sind für Generäle und Colonels, und vielleicht für die jungen Majore auf ihren Pferden, die Befehle herausbrüllen, die im Kanonendonner niemand hören kann.«
»Heute nacht warst du ein Soldat, bei Gott«, sagte ich und leerte mein Glas. »Niemand von uns hatte je so etwas gesehen. Nach dieser Nacht würde Pat Dunphy dir in die Hölle folgen.«
»Pat Dunphy wird mir in die Hölle folgen«, korrigierte Ned. »Wirf deine Konjunktive und deine Indikative nicht durcheinander, Schulmeister MacMahon.«
Er drehte sein leeres Glas in der Hand, dann hielt er es mir entgegen, und seine Hand zitterte nicht.
»Sei kein Geizhals mit deinem Whiskey, Vetter Hugh«, sagte er. »Mein Vater hat mir immer von der Freigebigkeit der MacMahons vorgeschwärmt. Die Nolans stehen für Vorurteilslosigkeit und die MacMahons für Freigebigkeit, sagte er immer. Sagt man das in Kilpeder immer noch?«
»Ich habe das nie gehört«, antwortete ich. »Für jeden noch einen Kleinen, Ned. Und dann wird die Flasche verkorkt.«
Aber ich goß jedem von uns großzügig ein, schob danach den Korken in die Flasche und schlug mit der flachen Hand hart darauf. Ned starrte mich an, zuckte dann aber die Schultern und nickte.
»Es ist spät«, sagte er.
»Stimmt«, erwiderte ich. »Und ich muß früh aufstehen, um Kilpeders Jugend die Verwendung des Konjunktivs beizubringen.«
» Sollten und würden «, sagte Ned. »Wir würden gern noch weiter reden, aber das sollten wir lieber lassen. Wir würden gern Irland befreien, und deshalb sollten wir Sergeant Honan erschießen. Sollte Sergeant Honan uns erschießen?«
»Es ist spät, Ned«, sagte ich.
»Er hat aus freien Stücken die Uniform angezogen«, fuhr Ned fort, »und er hat den Eid auf Königin Victoria geschworen. Er wurde nicht zwangsweise eingezogen.«
»Das stimmt schon«, sagte ich, überlegte mir jedoch, daß Not ein guter Anwerbeoffizier ist und daß die Polizei sich zumeist harmlosen Aufgaben widmete. Standhafterer Patriotismus als meiner wäre nötig, um sie als gespornte und gestiefelte Kosaken zu sehen.
»Vergiß das nicht«, mahnte Ned. »Ihr alle dürft das nicht vergessen.«
Aber ich wußte im selben Moment, daß Ned mit sich selber sprach. Und ich sollte in späteren Jahren daran denken, wenn Ned Nolans Name benutzt wurde, um den Kindern Angst einzujagen, ein harter Mann, hart wie die Invincibles, ohne Gnade oder Mitleid. Was mit Ned im Gefängnis von Portland geschehen ist, wissen viele, und was in den darauf folgenden unsteten Jahren geschah, können wir uns denken; aber ich weiß aus eigener Erfahrung, daß er nicht immer so war. Wenn Ned uns am festgesetzten Tag in den Kampf führte, dann würden einige von uns getötet werden, und wir würden vielleicht andere töten, und alles wäre auf Neds Befehl hin geschehen. Deshalb hatte er in der Küche wach gesessen, mit der Flasche als einziger Gesellschaft, und deshalb hatte er mich mit diesem schrecklichen, freudlosen Lächeln begrüßt.
»Zeit, die Vorhänge zuzuziehen, Ned«, sagte ich. »Zeit, uns gute Nacht zu wünschen.«
»Richtig«, erwiderte Ned und leerte sein Glas. Und dann erhob er sich so ruhig, als ob er eine Karaffe Wasser geleert hätte.
»Die Vorhänge zuzuziehen«, war nur eine Redensart, denn in unserer Küche gab es weder Vorhänge noch Läden, und wir vermißten sie auch nicht. Ehe ich die Kerze ausblies, trat ich für eine Minute ans Fenster und hörte hinter mir Neds Schritte, als er die Küche verließ. Der Mond muß hinter Wolken verborgen gewesen sein, denn ich blickte in die schwärzeste Nacht hinaus und konnte nur sehen, was das verzerrte Licht in der Fensterscheibe wiedergab. Welche Geschichte kann jemals wahrheitsgemäß geschrieben werden, sei es nun die der Fenier von Kilpeder oder die des Assyrerreichs? Der junge Mr. Prentiss fragt nie nach Unterhaltungen in Küchen, und es würde ihn auch nicht interessieren, daß die dabei fallenden Worte den Eichentisch unter meinen Fingerspitzen, den Geschmack von unverdünntem Whiskey auf meiner Zunge in sich tragen, oder daß danach, als die Worte gesprochen waren, die Welt hinter der Fensterscheibe schwarz und unsichtbar, bedrohlich war: Kilpeder selber, die Baronie, die sie umgebenden Berge, und dahinter Flüsse, Dörfer, Städte, Armeen, Häfen, Gefängnisse und Ozeane. Ich drehte mich wieder zum Zimmer um, blies die Kerze aus und spürte in meiner sie schützenden Hand ihre Wärme.
[Patrick Prentiss]
An einem schönen Abend im lindgrünen Juni von Munster durchquerte Patrick Prentiss zum erstenmal die von Kugeln gekrönten und von Falken bewachten Tore von Ardmor Castle und ließ dabei die Stadt Kilpeder so vollständig hinter sich zurück, als ob er von einem Planeten auf einen anderen übergestiegen wäre. Vor einer Minute hatte er noch auf dem Marktplatz gestanden und zerstreut die Arms, Tully und Sohn, Henefys Metzgerladen, Conefrys Schenke betrachtet, eine Minute darauf wanderte er zwischen Bäumen dahin, Eichen und blaßnadeligen Lärchen.
Zu seiner Rechten passierte er ein Kutscherhaus, das jetzt nicht mehr bewohnt war, winzig und palladianisch, zwei kleine dorische Säulen trugen eine reich verzierte Veranda. Vor ihm führte eine gerade Allee durch den Wald, deren Oberfläche von alten Wagenspuren, Hufspuren zerfurcht war. Junges Gras sproß in den Spuren. Heimkehrende Vögel kreisten über den Bäumen.
Dort, wo der Wald spärlicher wuchs, befand sich von eisernen Zäunen umgebenes Weideland. Dort wartete zwischen zwei Eichen in der Ferne schwarzes Vieh auf seinen Hirten. Hinter dem Weideland gab es noch mehr Wälder und einen Bach, der aus einem seichten See der Sullane entgegenfloß. Eine gewölbte Brücke führte über den Bach, auf der anderen Seite des Sees befand sich ein kleiner Steinpier, fast eine Verzierung, an dem jedoch ein auf dem seichten Wasser dümpelndes Boot vertäut war. Hinter dem See, zwischen den Ulmen, lag ein hölzernes rundes Lusthaus mit kegelförmigem Dach. Dieser Anblick war Prentiss von japanischen Drucken vertraut, und er wußte, daß genau diese Wirkung bei Besuchern, die soeben den Wald verließen, erzielt werden sollte. Erzielt durch etwas Feineres, Künstlerischeres als einfache Sorgfalt. Bach, See, Brücke, Pier, Lusthaus, fast sogar das Vieh selber, das unter seinen weitkronigen Eichen ruhte, waren nach einem ausgefeilten und zugleich zufälligen Plan entworfen worden.
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