»Na, ich bitte dich, wenn sie sich doch verloben!«
»Das ist leicht gesagt.«
Sabine hatte die Flasche geöffnet, das Glas in die Hand genommen und wollte ihm gerade Bier eingießen; jetzt hielt sie mitten in der Bewegung inne. »Wie meinst du das nun schon wieder?«
»Bisher hat noch niemand bei mir um ihre Hand angehalten.«
Sie lachte. »Das wird auch niemand, Arnold. Auf den Gedanken käme Oswald Zinner gar nicht.«
»Ja, weil wir kleine Leute in seinen Augen sind. Hätte er ein Mädchen aus seinen Kreisen gewählt, dann würde er sich schon so benehmen, wie es sich gehört. Aber auf uns braucht man ja keine Rücksicht zu nehmen.«
»Arnold!« mahnte sie schärfer als es nötig gewesen wäre, denn sie wollte sich nicht eingestehen, daß auch sie etwas ganz Ähnliches empfunden hatte. »Das ist aber nun doch wirklich kindisch!«
»Findest du? Ich nicht.« Er nahm ihr Flasche und Glas aus der Hand und schenkte sich selbst ein. »Ich hätte keineswewgs einen Heiratsantrag am Sonntag vormittag erwartet, im dunklen Anzug, mit Rosen und allem, was mal dazu gehörte … aber immerhin, ein vernünftiges Gespräch wäre schon angebracht gewesen … wann sie heiraten wollen und wie sie sich die Zukunft vorstellen und so weiter.« Er leerte durstig sein Glas. »Aber entweder ist ihnen schnurz, was wir von ihnen denken … oder aber diese ganze sogenannte Verlobung ist nichts als ein Trick, um uns Sand in die Augen zu streuen.«
»Arnold!«
Er setzte das Glas mit einem Knall auf den Tisch. »Du wiederholst dich.« Er verließ die Küche.
Sie biß sich auf die Lippen. Wozu bloß wieder dieser Zank? Sie konnte ja gut verstehen, was ihn an dieser Verlobung ärgerte: daß er nicht gefragt, sondern einfach vor eine vollendete Tatsache gestellt worden war. Warum konnte sie das nicht zugeben? Warum mußte sie die Partei der jungen Leute ergreifen? Sie verstand sich selbst nicht.
Miller war in das Schlafzimmer gegangen, einen für die schweren Möbel, die noch aus dem ersten Ehejahr stammten, zu kleinen Raum, in dem er sich seitwärts zwischen den Betten und dem Schrank zum Spiegel schieben mußte. Er zog die Jacke aus und nahm die Brieftasche heraus. Mit zusammengepreßten Lippen betrachtete er die Quittung der Lottoannahmestelle. Wie wäre es, wenn er sich und Sabine mit seinem Gewinn eine neue Schlafzimmereinrichtung spendieren würde? Ein Bruchteil des Geldes würde dafür genügen. Aber ob sich diese Anschaffung noch lohnte? Wenn Ilona aus dem Haus ging, würden sie sich endlich getrennte Zimmer leisten können, wie es schon lange sein heimlicher Wunsch war. Er mußte nur eine günstige Gelegenheit abwarten, es Sabine beizubringen.
Ilona. Oder ob er die fünfundzwanzig Mille als Mitgift für seine Tochter springen lassen sollte? Dann würden die Zinners vielleicht Augen machen. Nein, eben, das würden sie nicht. Für die wäre das nur ein ganz kleiner Happen. Für Sabine im Moment bestimmt auch. Die war ja ganz fasziniert von dem millionenschweren Schwiegersohn in spe, stellte wahrscheinlich Vergleiche an zwischen ihrem eigenen Leben und der glänzenden Zukunft der Tochter.
Arnold Miller legte die Brieftasche auf seinen Nachttisch, steckte die Quittung in die Hosentasche und schlenderte in das Wohnzimmer hinüber. Der Raum war so düster, daß er einige Sekunden brauchte, um sich zu orientieren. Sven kauerte im bequemsten Sessel, die Knie angezogen, und starrte auf die Mattscheibe, wo gerade der bärtige Peter Wyngard in Department S eines seiner unglaubhaften Abenteuer bestand.
Unter normalen Umständen hätte Arnold, trotz des Fernsehspiels, eine Begrüßung von seinem Jüngsten erwartet. Heute war es ihm nur recht, daß Sven keine Notiz von ihm nahm. Mit raschen Schritten war er beim Schreibtisch, öffnete das obere Schubfach, zog das Kistchen mit den Lottoscheinen heraus und steckte die Quittung über den Gewinn ganz nach unten. Im Hinausgehen strich er Sven über den Kopf.
»’n Abend, Vati«, murmelte der Junge gedankenverloren.
Als Arnold Miller wenige Minuten später in die Küche zurückkehrte, jetzt geduscht und umgezogen, ohne Krawatte, in Hemd, Leinenhosen und Sandalen, tat Sabine ihm die Suppe auf. »Es tut mir leid, daß wir uns wieder mal gestritten haben«, sagte er reuig, »ehrlich, ich wollte das nicht, ich verstehe nämlich durchaus, was dich an der Sache stört.« Sie zog sich einen Stuhl heran und setzte sich neben ihn. »Aber es ist doch besser so, daß sie sich verloben, als daß sie nur so miteinander herumziehen, das mußt du doch zugeben!«
»Du nimmst mal wieder einen Wunschtraum für die Wirklichkeit«, behauptete er, »diese Verlobung ist doch ein bloßes Geschwätz.«
Sie fuhr hoch, allen guten Vorsätzen zum Trotz. »Wie kannst du sowas sagen!«
»Weil es wahr ist. Verloben kann sich jeder, das bedeutet rechtlich gar nichts und weniger als nichts, solange es nicht offiziell ist. Dieser Zinner hat sie ja noch nicht einmal seinen Eltern vorgestellt.«
»Ach, Arnold!« Sie legte ihm die Hand auf den Arm. »Warum mußt du denn so mißtrauisch sein? Laß uns doch einfach das Beste hoffen … bitte? Etwas anderes bleibt uns nicht übrig. Oder weißt du ein Mittel, ein neunzehnjähriges Mädchen von dem Mann zu trennen, in den sie vernarrt ist?«
»Früher haben Kinder ihren Eltern gehorcht«, sagte er verbissen.
»Sei doch nicht so stur, Arnold? Erinnerst du dich denn nicht? Als ich so alt war wie Ilona, da hatte ich schon mein erstes Kind … und wir waren gerade dabei, uns mit deinen Eltern wieder zu versöhnen.«
»Sie waren gegen dich, das stimmt«, gab er zu, »aber ich, das weißt du ganz genau, hatte von Anfang an ernste Absichten.«
»Aber sicher.« Sie zauste leicht sein Haar. »Ich würde mir auch nie einfallen lassen, dich mit Oswald Zinner junior zu vergleichen. Vor allem hast du viel, viel besser ausgesehen … nein, ganz im Ernst, ich finde dich heute noch attraktiver!«
Ihrem Lächeln hielt seine schlechte Laune nicht stand. »Die Suppe schmeckt übrigens ausgezeichnet«, erklärte er statt eines Komplimentes.
»Zum Nachtisch gibt es rote Grütze … echte! Aus selbst eingemachtem Saft. Ich habe dir mit Mühe und Not eine Portion aufbewahren können.«
»Paßt nicht zum Bier.«
»Dann schütten wir den Rest eben weg und gönnen uns eine Flasche Wein, ausnahmsweise, Arnold … zur Feier des Tages, ja?«
»Wenn du so schön bittest.« Er fühlte sich plötzlich entspannt, nahm die Brille ab und strich sich mit der Hand über die Augen. Sie beobachtete ihn und hatte sekundenlang den Eindruck, daß er nicht erwachsen war, nicht erwachsener als ihre Söhne, ein groß gewordenes Kind, das man vor Gefahren schützen mußte. Aber diese Empfindung war so flüchtig, daß sie sie sofort wieder vergaß.
Ilona und Oswald Zinner lagen eng beieinander auf dem riesigen, quadratischen Bett im ersten Stock des ehemaligen Pförtnerhäuschens. Sie hatte den Kopf an seine Brust geschmiegt, und er streichelte ihren kleinen runden Busen mit der leidenschaftslosen Zärtlichkeit eines in diesem Augenblick völlig befriedigten Mannes. Alle Fenster standen offen, der Hauch eines Windes berührte die herabgelassenen Sonnenjalousien und ließ die Blätter der alten Ulmen aufrauschen. Aber noch brachte die Nachtluft kaum Kühlung.
Oswald Zinner hatte sich das romantische kleine Haus noch in seiner wilden Zeit als Junggesellendomizil ausbauen lassen. Er hatte die biedermeierliche Fassade erhalten, die Innenwände jedoch herausbrechen lassen, so daß es jetzt oben und unten nur je einen einzigen großen Raum gab, abgesehen von zwei Toiletten, zwei Bädern und einer Kochnische, in der er fast nur den Eisschrank benutzte. Seine Mahlzeiten nahm er regelmäßig im Gutshaus ein, das einen knappen Kilometer weit entfernt lag, am anderen Ende der Ulmenallee. Das Pförtnerhaus bot ihm den Vorteil, ungestört von elterlicher Neugier Besucherinnen empfangen und Partys feiern zu können, ohne ihn zu zwingen, auf den gewohnten Luxus zu verzichten.
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