Welche Grundhaltung sollten wir angesichts dieser Freiheit einnehmen?
Die Apostel berichten, dass sie die Freiheit besitzen zu tun, was ihnen nach bestem Wissen und Gewissen gut erscheint, und sind doch andererseits der Überzeugung, dass Gott jederzeit das Recht hat, den Lauf der Dinge kurzfristig zu ändern. Sie vertreten in den Wahlmöglichkeiten ihres Alltags immer die ehrfürchtige Haltung, dass Gott ihre besten Entscheidungen durch seine noch besseren unwirksam machen kann. Sein Wissen um das Beste kann ihre Einsicht in das Gute überstimmen, sein Wille steht über ihren Wünschen. Gott besitzt die volle Souveränität. Diese Haltung drückt sich in der Sprache aus, mit der sie ihre Texte verfassen.
„Wenn Gott es will, werde ich später wiederkommen.“ (Apostelgeschichte 18,21)
„Aber ich werde bald bei euch sein, wenn der Herr es zulässt!“ (1. Korinther 4,19)
„Wenn der Herr es zulässt, hoffe ich, einige Zeit bei euch verbringen zu können.“ (1. Korinther 16,7)
„Wenn Gott es will, dann wollen wir lieber Schritte nach vorn tun.“ (Hebräer 6,3)
Der allwissende Gott hat den Überblick, was am klügsten ist, und es kann sein, dass er unseren Schlussfolgerungen widerspricht. Seine Gedanken können unsere übertreffen, ebenso wie seine Interessen unsere aushebeln können. Danach sollten wir uns sogar sehnen und stets offen dafür sein.
Wir sollten immer die Ermahnungen im Gedächtnis haben, die Jakobus uns mit auf den Weg gibt:
„Nun zu euch, die mit großen Worten ankündigen: ,Heute oder morgen wollen wir in diese oder jene Stadt reisen. Wir wollen dort ein Jahr bleiben, gute Geschäfte machen und viel Geld verdienen.‘ Ihr wisst ja noch nicht einmal, was morgen sein wird! Was ist denn schon euer Leben? Nichts als ein flüchtiger Hauch, der – kaum ist er da – auch schon wieder verschwindet. Darum sollt ihr lieber sagen: ,Wenn der Herr will, werden wir dann noch leben und wollen dieses oder jenes tun‘“ (Jakobus 4,13–15).
Dass wir in dem Wissen, Gottes vierfachen Willen zu erfüllen, eine entspannte Haltung zu unseren Entscheidungen einnehmen können, bedeutet nicht, dass wir alle Vorsicht fahren lassen dürfen. Wir sollten nicht so tun, als habe Gott sein Recht aufgegeben, unsere festgezurrten Pläne doch noch einmal über den Haufen zu werfen. Deshalb sollten wir immer wieder die Worte benutzen: „Wenn der Herr will, …“. Es wäre zu naiv anzunehmen, wir besäßen uneingeschränkte Freiheit, die eigenen Schritte zu lenken. Uns wurde eine relative Freiheit zugesprochen, die auf Gottes liebevoller Erlaubnis beruht. Doch Gott bleibt unser Herr. Er gibt diese Position weder auf noch hat er sein Recht darauf verwirkt.
Es ist wichtig, dass wir dieses Geheimnis zwischen unserer Autonomie und Gottes Autorität, zwischen Vorrecht und Vorherbestimmung, erkennen. Beide sind real. Gottes lenkende Gegenwart ist mit unserem Handeln unauflöslich verbunden. Dieses Konzept spiegelt sich im Buch der Sprüche wider: „Der Mensch plant seinen Weg, aber der Herr lenkt seine Schritte“ (Sprüche 16,9). In diesem Sinne warnt uns auch der Prophet Jeremia: „Herr, ich habe erkannt: Das Leben eines Menschen liegt nicht in seiner Hand. Niemand kann seine Schritte nach eigenem Plan lenken“ (Jeremia 10,23).
Reicht es, wenn Sie den universalen Willen Gottes tun?
Was geschieht, wenn wir – aus den unterschiedlichsten Gründen – menschlich gesehen nur wenige gute Optionen haben? Zum Beispiel, wenn wir seit dreißig Jahren in einem Beruf arbeiten, der uns nicht gefällt, wir aber keinen gangbaren Ausweg finden, weil wir auf die Rentenversicherungsleistungen angewiesen sind, die er uns einbringt. Außerdem sind wir zu alt, um etwas anderes zu beginnen; niemand würde uns nehmen, selbst wenn wir bereit wären, noch einmal von vorn zu beginnen.
Auch hier wirkt die „Kraft“ des vierfachen Willens. Wenn wir uns nämlich daran halten, können wir eine tiefe und bleibende Freude darin finden, dass wir durch unseren Gehorsam Gott Freude bereiten. Das ist das größte Geheimnis: das Wissen, dass wir unser Glück finden, weil wir Gott im Herzen berühren, indem wir seinen Willen tun. Jesus hat dies mit einem Ausruf ausgedrückt: „Meine Speise ist die, dass ich tue den Willen dessen, der mich gesandt hat, und vollende sein Werk“ (Johannes 4,34). Wir können Zufriedenheit und Kraft empfangen, wenn wir uns von Gottes vierfachem Willen „nähren“. Wie das geht, werde ich im weiteren Verlauf dieses Buches aufzeigen. Wenn uns die Gesellschaft oder unser Gesundheitszustand aller Optionen beraubt, bleiben uns immer noch vier Optionen übrig.
Ein wunderbares Beispiel dafür, welche einzigartigen Pläne Gott für eine Frau mit begrenzten Möglichkeiten hatte, war die Tochter von William Booth, dem Gründer der Heilsarmee. Booth und seine Frau hatten mehrere Kinder, die alle schließlich wichtige Posten in der Führung der Heilsarmee besetzten. Nur ihre Tochter Marian nicht, die als Kind an Pocken erkrankt war und davon eine Teilbehinderung davongetragen hatte. Marian war eine introvertierte Frau, die in der Zentrale der Organisation ihre Arbeit verrichtete und niemals heiratete. Als eine Freundin einmal zu ihr sagte: „Marian, es ist eine Tragödie, dass eine Frau mit so vielen Fähigkeiten wie du durch eine Krankheit davon abgehalten wird, das Werk des Herrn zu verrichten“, erwiderte Marian: „Es mag wunderbar sein, das Werk des Herrn zu tun, aber noch großartiger ist es, seinen Willen zu tun!“2
Marian hatte verstanden, was viele Menschen nie begreifen: Es freut Gott, wenn wir seinen Willen tun. Ich finde es faszinierend, dass es Gott tatsächlich Freude bereitet, wenn wir uns nach seinem Willen richten. So wird es in der Bibel berichtet.
Unabhängig von dem Willen, den Gott für Marian Booth ganz persönlich hatte, fand sie ihre Genugtuung darin, Gott Freude zu bereiten, obwohl sich ihr Leben nicht so entfaltete, wie sie es sich unter normalen Umständen sicherlich gewünscht hätte. Doch angesichts ihrer körperlichen Einschränkungen war es für sie wunderbar, dass sie den Willen Gottes erfüllen konnte.
Was ist, wenn der spezifische Wille Gottes für unser Leben schwere Zeiten mit sich bringt?
An diesem Punkt stellt sich eine Frage: Würden wir Gottes Willen auch dann noch tun wollen, wenn Gott uns zu etwas auffordern würde, was uns gar nicht behagt? Nehmen wir an, wir führen ein wunderschönes Leben und dann offenbart Gott uns, welchen spezifischen Willen er für uns hat und dass dazu auch ziemlich harte Zeiten gehören werden – was dann?
Die Herausforderung, darüber nachzudenken, kam durch eine Frage, die mir jemand stellte: „Emerson, willst du Gottes Willen in deinem Leben erfahren? Möchtest du, dass Gott in deinem Leben Großes tut? Möchtest du, dass Gott dein Leben segnet?“ Ich sagte: „Ja, natürlich.“
Daraufhin sagte diese Person zu mir: „Lass mich dir eine andere Frage stellen: Wenn Jesus dir erscheinen und dir auftragen würde, etwas zu tun, was du absolut nicht tun willst, würdest du es trotzdem tun?“ Bevor ich antwortete, ergänzte er: „Du kannst auf diese Frage nicht mit: ‚Ich weiß es nicht‘ antworten. Denn wenn Gottes Sohn, der Retter der Welt, der Herr aller Herren und König aller Könige von dir etwas fordert, was du nicht tun möchtest, und du würdest antworten: ‚Ich weiß nicht‘, wäre das wie ein Nein. Es gibt also nur zwei mögliche Antworten auf diese Frage: Ja oder Nein.“
Ich wollte „Ja“ antworten, und ich vermute, Ihnen ginge es ebenso.
Über die Jahre habe ich viele Menschen seelsorgerlich begleitet. Häufig stellte ich ihnen diese Frage: „Wenn Jesus erschiene und Sie bäte, etwas zu tun, was Sie nicht wollen, würden Sie es trotzdem tun?“ Obwohl diese Menschen ausdrücklich um Rat gefragt hatten, wie sie Gottes Willen erkennen könnten, antworteten zu meiner Überraschung trotzdem einige mit „Nein!“.
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