Dieser Ansatz unterscheidet sich ein wenig von dem Bild des Wellen-Effekts. Er anerkennt, dass derselbe Gott, der sich in Christus offenbarte, auf vielfache Art und Weise Schalom stiftet. Manchmal wirkt er im Herzen eines Kornelius, des feindlichen Hauptmanns, noch eher er selbst Gott kennt. Manchmal gebraucht Gott den Ökologen, der Schalom für die Schöpfung sucht. Manchmal schenkt Gott Menschen Vergebung und Frieden, die ihm fern stehen. Nach diesem Verständnis beginnt das friedenschaffende Wirken Gottes nicht immer damit, einem Einzelnen zu vergeben. Doch Gott wünscht sich, dass sein Handeln dies immer mit einschließt. Gottes Absicht ist es, die Geschichte auf einen umfassenden Friedens zuzubewegen (Jesaja 11,1–9). Paulus drückte es so aus (2. Thessalonicher 3,16): Unser Herr, von dem aller Friede kommt, schenke euch seinen Frieden immer und überall .
Gottes Friede ist groß. Er ist allumfassend. Er ist sowohl persönlich wie zwischenmenschlich. Er stellt Beziehungen zwischen uns und Gott wieder her, zwischen uns und unseren Feinden, zwischen uns und Gottes Schöpfung. Der Friede ist schon jetzt erfahrbar in Vorahnung dessen, was Gott allen Menschen wünscht. In Christus lernten bereits Petrus und Kornelius, so zu leben, wie alle irgendwann leben werden. Auch wir erfahren bereits heute die Realität des persönlichen und zwischenmenschlichen Friedensstiftens Gottes in der länderübergreifenden Gemeinschaft des Friedens, die sich Kirche nennt. Gott ruft die Kirche dazu auf, sich einer großen Friedensvision anzuschließen, in der jedes Mitglied als Friedensstifter wirkt.
Friede muss geschaffen werden
Friede entsteht unter Schmerzen. Was Gott mit Petrus und Kornelius ins Rollen brachte, musste noch in die Tat umgesetzt werden. In Cäsarea konnte der Friede mit Gott verkündet, der Friede zwischen Juden und Heiden gefeiert werden. Doch danach entstanden Probleme und ein Konflikt brach vom Zaun. Seine Beziehungen zu den römischen Heiden brachten Petrus in Schwierigkeiten mit den Kirchenleitern in Jerusalem: Du hast das Haus von Nichtjuden betreten und sogar mit ihnen gegessen! (Apostelgeschichte 11,3).
Der Friede muss geschaffen werden, weil die Welt voll ist von zerbrochenen Beziehungen und Ungerechtigkeit. Gott lädt uns ein, uns an seinem friedenschaffenden Werk und Weg zu beteiligen. Glücklich sind, die Frieden stiften, denn Gott wird sie seine Kinder nennen (Matthäus 5,9). Bis Gottes Reich in voller Macht anbricht, wird der Friede niemals vollkommen sein. Er muss immer noch geschaffen werden. In Lukas 1,78–79 beendet Zacharias, der Onkel von Jesus, sein Lied damit, dass er die Barmherzigkeit Gottes feiert. Dieser Gott verpflichtet sich, denen Licht zu geben, die in Nacht und Todesfurcht leben; es wird uns auf den Weg des Friedens führen . In einer konfliktreichen Welt gibt es keinen Weg zum Frieden – der Friede selbst ist der Weg. Ein Volk des Friedens zu werden, setzt ein Ringen mit unserer von Gott geschenkter Freiheit und unseren menschlichen Begrenzungen voraus.
Jesus verkündete die gute Nachricht des Friedens. Er segnete die Friedensstifter, er schaffte Frieden. Und er erkannte, dass dies Konflikte mit sich brachte. Diesbezüglich war Jesus sehr deutlich; er kam nicht, um Frieden zu bringen, sondern den Kampf (Matthäus 10,34). Ohne Konflikte bleibt Ungerechtigkeit bestehen und wird nicht herausgefordert, und dann gibt es keine Hoffnung. Also ließ sich Jesus auf den Konflikt ein, der Frieden schafft: er wandte sein Gesicht Jerusalem zu; er verursachte einen Aufruhr im Tempel, im Herzen des religiösen Establishments seines Volkes. Er übertrumpfte mit seinen Argumenten die religiösen Führer. Und dafür zahlte er einen hohen Preis: Das Kreuz steht im Mittelpunkt des friedenstiftenden Wirkens Christi. Es ist eine Folge seines Friedensstiftens und es ist zugleich, so betonen die neutestamentlichen Schreiber immer wieder, das Mittel seines Friedensstiftens. Alles hat Frieden gefunden, als er am Kreuz sein Blut vergoss (Kolosser 1,20, im Hinblick auf Jesaja 53,5). Eine Gemeinde, die dabei ist, eine Kultur des Friedens zu werden, denkt über das aufs Kreuz ausgerichtete Leben Christi und sein rettendes Werk am Kreuz nach und öffnet sich dafür, ihr eigenes Kreuz auf sich zu nehmen. Indem sie das tut, führt Gott sie in das Abenteuer: Risiko und Konflikte um des Friedens willen.
Friede führt zu Überraschungen
In der antiken Welt hätten nur wenige Dinge mehr überrascht als das, was sich in Apostelgeschichte 10 abspielte. Es war einfach nicht zu erwarten, dass Galiläer wie Petrus, die mit einem von den Römern Gekreuzigten befreundet waren, das Haus eines Hauptmanns in Cäsarea aufsuchen. Den meisten Beobachtern war die Vorstellung einer „neuen Menschlichkeit“, die Römer wie Juden gemeinsam eine neue weltweite, messianische Familie bilden lässt, zutiefst überraschend. Ihnen kam das wie eine merkwürdige Kreuzung zweier völlig unverträglicher Gruppen vor. Sie kamen nicht auf die Idee, dass dies die kreative Lösung eines tief sitzenden Problems sein könnte. Wie merkwürdig, wie unkonventionell waren doch diese messianischen Nonkonformisten, die meinten, dass durch Christus der Feind zum Bruder geworden sei! Wer behauptete, dass dies durch das Kreuz geschehen sei, wo sich Fluch und Grausamkeit begegnet waren, stand in der Gefahr, als unrealistischer und ungehobelter Narr abgeschrieben zu werden.
Doch anstatt sich der Überraschung zu stellen, bereiteten sich viele Juden auf etwas viel Naheliegenderes vor: den revolutionären Krieg gegen die Römer. Er vollzog sich zwischen 66 und 70 unserer Zeitrechnung und hatte traumatische Folgen für das jüdische Volk: die Zerstreuung der Bewohner Jerusalems und die Zerstörung des Tempels. Dabei hatte Gott einen anderen Weg im Sinn gehabt: die Schaffung einer weltweiten Familie in Christus, die aus ehemaligen Feinden besteht. Gott blieb sich treu. Er denkt nach wie vor über unsere Stereotypen hinaus und schafft tatsächlich eine Kirche, eine „heilige Nation“, die wahrlich global ist. Gott ist ein Gott der Überraschungen. Er überraschte Petrus, der darauf hin beschloss, nicht länger wie ein typischer Jude des ersten Jahrhunderts zu denken und zu handeln. Und der friedenstiftende Gott überrascht weiterhin.
Friede kommt durch die Macht Gottes zustande
Petrus schildert Kornelius (Apostelgeschichte 10,39–40): Diesen Jesus haben sie an das Kreuz genagelt und getötet. Aber schon drei Tage später hat Gott ihn wieder zum Leben erweckt . Das friedenstiftende Werk Gottes zeigt sich in der Auferstehung. Die Auferstehung Jesu belegt Gottes Entschlossenheit, den Weg des Friedens zu untermauern. Ein frühchristlicher Segen lautete: Er ist es ja, der uns seinen Frieden schenkt. Er hat unseren Herrn Jesus Christus von den Toten auferweckt (Hebräer 13,20). Der Tod kann den friedenstiftenden Gott nicht aufhalten. Das scheinbar Unmögliche kann den friedenstiftenden Gott nicht aufhalten. Paulus schrieb den Römern von einem Gott, der die Toten lebendig macht und der aus dem Nichts ins Leben ruft (Römer 4,17). Menschen, die auf ihre eigene Kraft angewiesen sind, ist das Friedenstiften unmöglich; Gott schenkt Frieden. Dank der göttlichen Barmherzigkeit blieb im Südafrika der 1990er Jahre ein Rassenkrieg aus. Statt dessen bildete sich wie durch ein Wunder eine „Wahrheits- und Versöhnungskommission“. Gottes Macht, im Verbund mit den Gebeten und dem Mut von Menschen, führt Veränderungen herbei. Im 21. Jahrhundert wie in der Stadt Cäsarea im ersten Jahrhundert leistet der Heilige Geist Geburtshilfe bei der Entstehung neuer Optionen. Der Geist kommt gleichermaßen auf Römer, Unterdrücker, Feinde und Schwache herab. Er begegnet denen, denen Menschenunmögliches abverlangt wird. Allein aufgrund der Auferstehung und des Heiligen Geistes können Gottes Menschen Friedensstifter werden.
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