Die Ereignisse zu Beginn des Jahres 1932 deuten darauf hin, dass Hitler zielstrebig und rücksichtslos auf dem Weg zur Macht ist. Stroop wird Mitglied nicht etwa der Partei, sondern des Beamtenbundes bei der NSDAP und erhält in dieser »Berufsorganisation« die Mitgliedsnummer 2418.
In Detmold arbeiten bereits starke nationalsozialistische Zellen, die leider mit »Ziegenhütern« und »Zieglern« durchsetzt sind, aber diese Personalstruktur in den Reihen der lippischen NSDAP sollte sich schon bald grundlegend ändern, wie Stroop meinte.
Endlich trifft er eine Entscheidung, gegen den Willen der Mutter und ohne Unterstützung seitens seiner Frau. Er entscheidet sich jetzt, weil er für die nahe Zukunft eine allgemein günstige Entwicklung voraussieht. Eine geniale Weitsicht hinsichtlich seiner eigenen Laufbahn sollte man ihm noch nicht abverlangen ...
Alle Zweifel sind überwunden, der »richtige Weg« entdeckt. Stroop betritt den modernen Weg der Cherusker und wird am 1. Juli 1932 Mitglied der SS, später – erst am 1. September 1932 – der NSDAP. Sein SS-Ausweis trägt die Nummer 44611, der Parteiausweis dagegen eine wesentlich höhere: 1292297.
Jahre später, in Warschau, wird er vor Gericht nach Entlastungs- und Rechtfertigungsgründen suchen und erklären, er wäre niemals Politiker, sondern immer nur Soldat, sogar »Berufssoldat« gewesen, und dass er dem Einfluss der vaterländisch-patriotischen Elemente unter seinen ehemaligen Kriegskameraden erlegen sei, die ihn, den »Militärfachmann«, gebeten hätten, in die SS, eine paramilitärische Organisation, einzutreten.
Ich kann mir denken, wie froh und hoffnungsvoll er im Juli 1932 gewesen ist, als die Partei Hitlers 230 von 608 Sitzen im Reichstag errungen hatte. Die Deutschnationalen erhielten nur 37 Sitze, die großkapitalistischen Liberalen (Deutsche Volkspartei) 7, das katholische Zentrum 97 (leichter Anstieg), die von Stroop verachteten Sozialdemokraten 133 und die Kommunisten 89 Mandate.
»Damals, in den Jahren 1932 und 1933, habe ich wahnsinnig viel gearbeitet«, erzählte Stroop. »Ich hatte mich völlig in den Dienst der Partei und des Führers gestellt. Ständig Appelle, Versammlungen, Agitationsfahrten, Exerzieren, Übungen, Kurse, Schulungen.«
Der NSDAP war ein so systematischer, pedantischer Mann nützlich; ergeben, treu und dabei jeder von oben weitergegebenen Wahrheit blind glaubend – zum Beispiel der, dass nach dem Kampf die fette Ernte in die Scheuer eingefahren wird. Stroop war einer der ersten SS-Männer im Land Lippe: Er wurde SS-Anwärter und führte, trotz seines Aspiranten-Status, eine SS-Einheit in Detmold.
»Gehorchten euch die Mitglieder der SA? Hattet ihr Unterstützung in der Bevölkerung?«
» Einige SA-Leute mussten wir ruhigstellen. Die, welche für Hitler waren, aber wie Sozialisten redeten. Mit der Bevölkerung war es verschieden.«
Er hatte offensichtlich wenig Lust, darüber zu reden, aber eines Tages kehrte er zu den Erlebnissen der Jahre 1932–1933 zurück:
»Wissen Sie, das Ziel der Weimarer Republik, das inspiriert war durch die Engländer, die Franzosen, die USA, von der Sozialdemokratie, den Freimaurern, der jüdischen Internationale und sowjetischen Agenten, war, das Reich und damit Europa in die Anarchie zu treiben. Diesen Bestrebungen setzten wir entschiedenen Widerstand entgegen. Auch in Detmold musste man die Bevölkerung beruhigen und sie auf den Weg von Zucht und Ordnung führen. Am einfachsten ging es mit den ehemaligen Soldaten, den wohlhabenderen Bürgern und den Industriellen. Mit den Juden sind wir sehr schnell auf legale Weise fertig geworden.«
Ich stellte ihm eine Fangfrage: »Legal? Und was war mit dem Demolieren einiger Geschäfte und mit dem Juden, dem man in einem Waldstück die Knochen gebrochen hatte?«
Stroop wurde blass, sah mich verlegen und argwöhnisch an und flüsterte Schielke zu: »Vorsicht!« Mein Gehör war damals nicht besonders gut (ich hatte große Schmerzen im linken Ohr), aber das von Stroop geflüsterte Wort hatte ich mitbekommen und reagierte sofort:
»Zum Teufel, denken Sie etwa, ich wäre ein Zinker?« Stroop begann sich eifrig zu entschuldigen und erläuterte, wie er das Wörtchen »Vorsicht« im gegenwärtigen Zusammenhang gemeint habe. Ich glaubte ihm, denn damals kannten wir uns schon eine Weile, und meinte: »Herr Stroop, bei Ihrem Prozess werde ich nicht als Zeuge auftreten. Das wissen Sie genau. Aber ich erinnere mich an Zeitungsberichte, aus denen hervorging, dass eure Sturmtruppen mit dem Gegner kurzen Prozess zu machen pflegten. Oder wollen Sie das leugnen?«
Ich fand Unterstützung bei Schielke, der berichtete, zu welch drastischen Handlungen und Unterlassungen man sie, die Kriminalpolizei, in den Jahren ab 1933 »gezwungen« hatte. Er sprach vom Terror gegenüber Juden, auch solchen, die zu den größten deutschen Patrioten zählten. Er erzählte von Gewalthandlungen in den Straßen, die zum Teil vor der Bevölkerung verheimlicht wurden, von der Zerstörung und Plünderung von Geschäften, vom Prügeln und vom Anzünden jüdischer Wohnungen.
»Und wir, die Hüter von Recht und Ordnung«, schloss Schielke, »waren gezwungen, diesem Unrecht tatenlos zuzusehen und blind über die Sicherheit dieser Rotzjungen von der SA zu wachen.«
Angesichts dieser Offenheit gab Stroop nach. Er wollte sich nicht gegen die gemeinsame Haltung von Schielke und mir auflehnen und gab uns Recht; dabei erzählte er ein wenig von den Aktionen der SS in Detmold, die von den Nationalsozialisten »befohlen« worden waren. Und dann wiederholte er wohl zum hundertsten Mal: »Befehl ist Befehl!«
Eines Tages, schon gegen Ende unseres gemeinsamen Aufenthaltes in der Zelle, schnitt ich noch einmal das Thema des Umbruchs von 1932/33 an und meinte beiläufig, wobei ich mich der Ausdrucksweise Stroops bediente:
»Sie fühlten sich als Schwert Hermann des Cheruskers. Mit Hilfe dieses Schwertes haben Hitler, Goebbels, Göring und Himmler in eurem Fürstentum für Ordnung gesorgt.«
»Das ist wohl ein allzu ehrenvoller Vergleich«, antwortete er ernst und fügte nach kurzem Nachdenken hinzu: »Herr Moczarski, Sie müssen begreifen, dass auf uns, den Berufs- und Reserve-Soldaten der deutschen Armee die Verantwortung für das Schicksal unseres Volkes ruhte. Wir repräsentierten die germanische Ehre und danach beurteilten uns die wertvollsten, patriotischen Bevölkerungsschichten.«
Während er von der politischen Arbeit um die Wende des Jahres 1932/33 sprach, unterstrich Stroop einen wesentlichen Punkt des nationalsozialistischen Programms, und zwar die Notwendigkeit, das »furchtbare Unrecht des Versailler Diktats« zu tilgen; das hieß: Wiederaufbau einer starken Armee und Rückgewinnung der von den Franzosen, Belgiern, Dänen, Italienern, Tschechen und Polen widerrechtlich besetzten Gebiete. Und es bedeutete das fraglose Gebot »historischer Gerechtigkeit«, das Gebot, neuen »Lebensraum« für das große, kultivierteste, zivilisierteste und fleißigste Volk zu gewinnen, das in den damaligen Reichsgrenzen »zu ersticken« drohte.
Im Jahre 1932 war Stroop zu einem in jeder Beziehung vollkommenen Nationalsozialisten geworden. Er trank das Elixier des nationalsozialistischen Evangeliums und verschluckte sich vor Begeisterung wie ein Foxterrier, der an einem Hühnerknochen würgt.
Er beherrschte bereits fließend die Sprache der Partei, trug nur noch Stiefel, besaß eine Peitsche und zwei Schäferhunde. Auf das Monokel verzichtete er. Nicht etwa deshalb, weil seine Augen sich gebessert hätten (damit hatte er niemals Probleme), sondern weil ein Monokel in der Partei nicht gern gesehen war. Erst in den 40er Jahren, nachdem er zum SS-General ernannt worden war, kehrte er zum Monokel zurück. Auch in der Zelle trug er es manchmal.
Zu den Versammlungen, Übungen, Parteikontrollen und bei Spaziergängen in Detmold pflegte er zu reiten.
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