Der Hoteldiener hat schwere Arbeit, in das feine Leder dann wieder Grund zu bringen.
Die Wetterberichte am Schwarzen Brett des Kurvereins und der Poststation werden studiert. Man telephoniert mit Montreux, mit Lugano, mit dem Oberengadin. Eine Dame aus dem Grand Hôtel hat mit ihrem Sohn gesprochen, der im Erziehungsinstitut in Zuoz untergebracht ist. Dort oben haben sie noch immer den köstlichsten Wintersport: viel Schnee auf den Abhängen, bei Tag Sonne, bei Nacht Frost, seit Wochen schon, ohne jede Störung.
Aber Marion hat keine Freude mehr am Winter. Sie hat sich die warmen Sportanzüge übergetragen. Es lockt sie, ihre hübschen, duftigen, hellen Frühjahrskostüme auszupacken. Auf dem Quai von Montreux, heisst es, gehen die Damen jetzt mittags schon ganz sommerlich.
Also auf zum Genfer See!
Marion hat es leichter als Bernt, ihre Adresse zu verändern. Ihre Post ist nie umfangreich. Nur mit der Züricher Firma, Dubois & Hasse, steht sie in regelmässigem Briefverkehr. Aber Bernt muss Berlin benachrichtigen, Heinersbach, Stettin. Und die Berichte von Zuhause müssen umgeleitet werden. Ein halber Tag vergeht damit, auf dem Postbüro die telephonischen Anschlüsse abzuwarten.
Die Hausdame ist am Fernsprecher im Grunewald so voller Eifer, alle ihre Beschwerden auf einmal vorzubringen, dass sie sich kaum verständlich machen kann. Ihre ganze Art ist ihm längst unausstehlich. Dann kommen die Kinder an den Apparat. Sibyllens helle Stimme trägt sehr gut, der Kinderbass von Klaus gelangt nur als matt kitzelndes Geräusch hierher. Sie sind beide gesund, gottlob, und freuen sich darüber, dass Tante Adi in ihrem Auto wieder abgefahren ist. Über die Hausdame schweigen sie, denn sie steht neben ihnen.
„Das ist nun die fünfte Hausdame, seitdem ich Witwer bin“, sagt er hernach zu Marion. „Ich hatte eine ehemalige Lehrerin, eine verwitwete Exzellenz, eine Bürgermeisterstochter, eine Pfarrerswitwe und jetzt eine frühere Pensionsinhaberin. Ob sie zwanzig sind oder fünfzig, hübsch oder garstig, temperamentvoll oder abgeklärt: heiraten wollen sie mich alle. Rettungslos. Es ist zum Verzweifeln.“
„Es wird Ihnen letzten Endes auch nichts anderes übrigbleiben, lieber Freund. Wenn wir erst wieder in Berlin sind, dann helfe ich Ihnen mitsuchen und auswählen.“
„Unterstehen Sie sich.“
„Sie werden’s gar nicht merken.“
„Glauben Sie, ich bin so leicht zu verführen? Ich denke, ich habe mich die vier Jahre hindurch tapfer genug gewehrt.“
„Kunststück, wo Paula Ihnen so liebereich über alle Anfechtungen hinweggeholfen hat. Oder wollte auch die gute Paula letzten Endes von Ihnen geheiratet sein?“
„Wer kann in diese schwarzen Frauenherzen hineinsehen.“
„Ich traue allen Frauen das Schwärzeste zu.“
Er spricht mit ihr über viele Dinge, die er bisher nur immer ganz allein hat durchdenken müssen. Es sind darunter auch richtige Hausfrauensorgen. Gegen die Hausdame, die jetzt in der Herbertstrasse das Heft in der Hand hat, muss er einen steten Kampf führen, weil sie in ihren Ansichten über Ernährung, Kleidung und sportliche Betätigung der Kinder ganz unglaublich rückständig ist: für dick einmummeln, in Wolle verpacken, viel Fleischnahrung und so weiter — und die Kinder bleiben dabei überzart, ewig anfällig. Er ist ja leider nur so wenig in Berlin. Wenn er ein paar Tage mit den Kindern zusammen sein kann und er sie schon frühmorgens in den Dachgarten heraufpfeift, um mit ihnen zu turnen, auch ein bisschen zu toben, dann kommen sie immer fröhlich angerannt und sind gleich wie ausgewechselt.
Marion kann zuweilen auch ganz bürgerlich sein und herzlich teilnehmen an solchen häuslichen Sorgen. Ihr Element ist das freilich nicht. Sie spottet lieber, reizt Widerspruch heraus. So ist’s auch im Fall der Zwillingsfamilie. Bernt hat einen glückstrahlenden Brief von der kleinen Mie bekommen. Die Firma Droeseke & Co. hat ihr noch für ein halbes Jahr das Gehalt ihres verstorbenen Bruders ausbezahlt. Nun kann sie also ihre beiden Nichten in Büsum unterbringen. Bernt möchte das junge Ding am liebsten ins Haus nehmen. Als junge Tante für die Kinder, gleichviel; wenn irgend jemand, so ist die kleine Mie in so einer Vertrauensstellung denkbar. Marion lächelt natürlich wieder ihr spöttischstes Lächeln. „Sie wird Sie genau so rettungslos heiraten wollen wie die andern, lieber Freund.“
Das streitet er ihr energisch ab. „Sie ist ja noch ein halbes Kind, trotz ihrer einundzwanzig Jahre.“
„Wetten wir?“
Er muss herzlich lachen. „Der Versuch ist nicht weiter gefährlich.“
Am Nachmittag, mitten im Packen, fällt ihm der kleine Disput wieder ein. Er stellt sich die kleine Mir als Hausmütterchen in der Herbertstrasse vor. Sie wird schon aus Heller Dankbarkeit seinen Anordnungen folgen. Repräsentieren kann sie nicht, braucht sie auch nicht. Ist die jetzige Hausdame etwa eine würdige Repräsentantin? Er wird die Hausdame entlassen und zum Ersten die kleine Mie engagieren.
„Da macht wieder einmal einer einen dummen Streich!“ zitiert Marion, als er ihr berichtet, dass er den Brief abgeschickt hat.
„Was haben Sie nur gegen das arme kleine Ding?“
„Das will ich Ihnen sagen: Sie sind immer so gerührt, wenn Sie von der schrecklichen Zwillingsfamilie erzählen. Und ich hasse Sentimentalitäten fast ebensosehr wie jeden Armeleutgeruch.“
„Von beiden werden Sie wohl nichts merken, Frau Marion, wenn Sie meinem Haus die Ehre Ihres Besuchs geben.“
„Hab’ ich Ihnen das etwa schon versprochen?“
„Ich will doch meine Wette gewinnen. Sie müssen sich davon überzeugen, dass die kleine Mie die erste ist, die keine schwarzen Heiratsabsichten hat.“
„Um was wetten wir eigentlich?“
„Überlegen Sie. Ich halte jeden Einsatz.“
Dann sitzen sie wieder im Postauto und fahren durch Regen und Schneematsch nach Frutigen hinunter. Die Reise nach Montreux ist umständlich, aber in ihrem letzten Teil sehr lohnend. Der Himmel wird von Stunde zu Stunde lichter. Hinter Gstaad bricht die Sonne durch. Als sie von Caux aus zum See hinunterfahren, liegt das Rundbild im Zauber eines unvergleichlich schönen Sonnenuntergangs vor ihnen. Die Schneegruppe der Dent du Midi jenseits des Sees hält die Glut, nachdem die Sonne im westlichen Seezipfel hinter Genf hinabgesunken ist, noch lange fest. Von Gold geht das Farbenspiel der vielgezackten Wand in Purpur und Violett über.
Sie sitzen am Fenster, schweigend, vertieft in den Anblick. Unwillkürlich haben sie einander die Hand gegeben. „Oh, Hochzeitsreisende!“ sagt ein älterer Herr, der in Les Avants die Wagentür öffnet, und zuckt diskret zurück.
Nun fahren sie beide auseinander. „So halten Sie Ihr feierliches Gelübde?“ sagt Marion in gespielter Entrüstung. „Sie kompromittieren mich ja.“
„Hab’ ich etwa gelobt, das zu vermeiden? Ich habe mich bloss verpflichtet, mich nicht in Sie zu verlieben.“
„Es scheint Ihnen bei malerischen Sonnenuntergängen schwer zu werden. Ich werde ein andermal Vorsorge treffen müssen. Wo steckt auch nur wieder Hansi? Ist sie etwa schon im Komplott mit Ihnen?“
*
Im Kurhotel bekommen sie Zimmer auf demselben Flügel, aber in verschiedenen Etagen. Marion hat sich ein ganzes Etablissement genommen: Schlafzimmer mit Bad, Kammer für die Jungfer und Salon mit einer grossen Veranda, auf der man in der Sonne schmoren kann, wenn nicht gerade die „Bise“ weht.
Bernt kompromittiert sie nun tatsächlich in ganz unverantwortlicher Weise. Die Winterpensionäre, die jeden Kurgast genau kennen und alle Ankömmlinge haarscharf abtaxieren, sind sehr bald darüber unterrichtet, dass der Herr von Nr. 377 die meiste Zeit des Tages und des Abends der Dame von Nummer 173—175 widmet. Sie machen zusammen Ausflüge im Privatauto des Hotels oder zu Fuss, sie nehmen zusammen den Nachtischmokka auf der Veranda der Dame, sie besuchen die Tanztees in den verschiedenen Hotels, sie soupieren nicht im grossen Speisesaal, sondern im Wintergarten, kurz, sie sind unzertrennlich und kümmern sich um keinen fremden Menschen, der Herr ist abends zu Besuch im Salon von Nr. 173—175, wie lang, wie spät, das kann man ja nicht wissen, kurz, sie scheinen sehr glücklich miteinander zu sein, es ist ein Skandal ...
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