1 ...7 8 9 11 12 13 ...28 Die Frage des ursprünglichen Schlusses von Proto-Ester und der Abschnitte von Kapitel 7,15–52 am Ende des A.-T. wird im Kommentarteil ausführlich diskutiert. Ein wichtiger Teil dieser Passage des A.-T. scheint direkt von der LXX abhängig zu sein und wurde entsprechend spät eingeführt.
4.1.2. Die Darstellung des Redaktionsprozesses des protomasoretischen hebräischen Texts im vorliegenden Kommentar
Der Kommentar zu den einzelnen Kapiteln des MT schließt jeweils mit einem Abschnitt, der mit „Diachrone Analyse“ überschrieben ist.
Proto-EsterDie Analyse beginnt jeweils mit einem Absatz über Proto-Ester . Er enthält eine kurze Darstellung der generellen Bedeutung dieser ersten Textstufe sowie ihrer hauptsächlichen Unterschiede zum MT. Dem folgt eine Übersetzung des entsprechenden Abschnitts von Proto-Ester , basierend auf dem A.-T. 81Die textlichen Details werden sodann im Vergleich mit dem MT kurz analysiert. Abschließend werden wichtige Fragen hinsichtlich der Proto-Ester -Fassung des Kapitels diskutiert. 82
Die protomasoretische RedaktionDie Abschnitte unter der Überschrift „Die protomasoretische Redaktion und die Entstehung des MT“ sind besonders bedeutsam für das Verständnis des MT. Sie beginnen jeweils mit der Liste der wichtigsten „Extras“ und Varianten des MT gegenüber Proto-Ester . Diese Unterschiede ermöglichen ein tieferes Verständnis der literarischen Techniken der Redaktoren und der sie tragenden Leitmotive. Wir betrachten die intertextuellen Spiele der Redaktoren, das Gewicht und die Bedeutung, die sie dem Hof und der königlichen Herrschaft Persiens beimessen, die Darstellung der Probleme, die sich aus der Enthüllung der Identität der jüdischen Protagonisten ergeben, den Umgang mit dem Fehlen jeglicher Erwähnung von Gott und die Art der Thematisierung von Hamans Status. Die angewandten literarischen Techniken und die verschiedenen Themen, die die protomasoretischen Redaktoren in den Vordergrund rücken, kommen in den Abschnitten zum redaktionellen Vorgehen im Rahmen der Kommentierung der Kapitel 1–7 sowie des Schlusses in den Kapiteln 8–10 zur Sprache. So zeigen diese Beobachtungen, dass es ein ganz besonderer redaktioneller Prozess war, in dem alle Kapitel von Proto-Ester umgearbeitet und die Kapitel 8–10 als Schluss hinzugefügt wurden.
Der MTDer protomasoretische Text (Proto-MT) ist vermutlich die wichtigste hebräische Quelle, die die Übersetzer der LXX verwendet haben. Der Vergleich zwischen der LXX* und dem MT zeigt jedoch, dass die LXX nicht genau dem masoretischen Konsonantentext der großen hebräischen Codices des Mittelalters entspricht. 83Die Hauptunterschiede zwischen dem vom Übersetzer der LXX verwendeten Proto-MT und dem MT werden in den Anmerkungen zum Text, die sich an die Übersetzung des MT anschließen, sowie am Ende der diachronen Analyse jedes Kapitels erörtert.
4.2. Die Entstehung der beiden wichtigsten griechischen Zeugen (A.-T. und LXX) und die anderen Textzeugen von Ester
4.2.1. A.-T. und LXX
Die zwei wichtigsten griechischen Versionen von Ester – A.-T. und LXX – haben ihre je eigene komplexe Textgeschichte. Sie sind voneinander unabhängige Übersetzungen, die auf teilweise unterschiedlichen hebräischen Texten basieren.
Proto-A.-T.Wir haben gesehen, dass diejenigen Passagen des A.-T., die zur „gemeinsamen Erzählung“ gehören (1,1–21; 2,1–18; 3,1–13.15; 4,1–4.6–12; 5,1–2*.13–24; 6,1–23; 7,1–16.21bβ.33b.34a), recht wortgetreue Übersetzungen von Proto-Ester sind.
Proto-LXXDie Übersetzer der Proto-LXX, d. h. der LXX vor der Hinzufügung der sechs Zusätze, hatten anscheinend keine direkte Kenntnis des Proto-A.-T. Sie gingen recht frei mit dem protomasoretischen hebräischen Text um, der eine Überarbeitung von Proto-Ester war.
Der Vergleich von Ester 2,18 A.-T.mit 2,18 LXXzeigt, dass diese beiden Übersetzungen nicht unmittelbar voneinander abhängen und dass sie unterschiedliche hebräische Vorlagen voraussetzen.
Ester 2,18 A.-T./LXXWie oben gezeigt, ist der griechische A.-T. καὶ ἤγαγεν ὁ βασιλεὺς τὸν γάμον τῆς Εσθηρ ἐπιφανῶς καὶ ἐποίησεν ἀφέσεις πάσαις ταῖς χώραις (= Und der König feierte Esters Hochzeit auf prachtvolle Weise, und er gewährte allen Provinzen eine Amnestie) eine Übersetzung des hebräischen Texts von Proto-Ester ohne die protomasoretischen redaktionellen Ergänzungen: ויעשׂ המלך משׁתה גדול לאסתר והנחה למדינות עשׂה (= Der König hielt ein großes Festmahl für Ester, und er gewährte den Provinzen eine Amnestie).
Die LXX-Fassung dieses Verses, καὶ ἐποίησεν ὁ βασιλεὺς πότον πᾶσιν τοῖς φίλοις αὐτοῦ καὶ ταῖς δυνάμεσιν ἐπὶ ἡμέρας ἑπτὰ καὶ ὕψωσεν τοὺς γάμους Εσθηρ καὶ ἄφεσιν ἐποίησεν τοῖς ὑπὸ τὴν βασιλείαν αὐτοῦ (= Und der König gab sieben Tage lang ein Fest für alle seine Freunde und die Streitkräfte, und er feierte Esters Hochzeit, und er schenkte denen, die in seinem Reich waren, eine Amnestie), ist eine Übersetzung aus dem Hebräischen, die sehr nah am masoretischen Konsonantentext ist: ויתן משׂאת כיד המלך אסתר והנחה למדינות עשׂה כל־שׂריו ועבדיו את משׁתה ויעשׂ המלך משׁתה גדול ל (= Der König hielt ein großes Festmahl für alle seine Fürsten und Diener, Esters Festmahl. Er gewährte den Provinzen eine Amnestie und er bewilligte eine Schenkung, wie es sich für den König geziemt). Die LXX setzt die unterstrichenen protomasoretischen redaktionellen Ergänzungen voraus (πᾶσιν τοῖς φίλοις αὐτοῦ καὶ ταῖς δυνάμεσιν entspricht כל־שׂריו ועבדיו, und καὶ ἄφεσιν ἐποίησεν τοῖς ὑπὸ τὴν βασιλείαν αὐτοῦ entspricht והנחה למדינות עשׂה ויתן משׂאת כיד המלך).
Außerdem sind in den parallelen Passagen von LXX und A.-T. das Vokabular und die griechische Syntax nicht identisch. Auch wenn die Übersetzer von A.-T. und LXX verstehen, dass es sich um Esters Hochzeitsmahl handelt, wenn ihre Quelle von Esters Festmahl spricht, verwenden sie dennoch nicht dieselben Ausdrücke. Man vergleiche nur A.-T. ἤγαγεν … τὸν γάμον τῆς Εσθηρ ἐπιφανῶς mit LXX ὕψωσεν τοὺς γάμους Εσθηρ. Ähnlich erwähnt der A.-T. am Schluss die Amnestie mit dem Satz καὶ ἐποίησεν ἀφέσεις …, während es in der LXX καὶ ἄφεσιν ἐποίησεν … heißt.
Die beiden unterschiedlichen und nicht direkt voneinander abhängigen griechischen Texte existierten von Anfang an nebeneinander. Der Proto-A.-T. verbreitete sich wahrscheinlich schon früh in den griechischsprachigen jüdischen Gemeinden der ägyptischen Diaspora. Die Proto-LXX geht wahrscheinlich auf die Hasmonäerzeit zurück.
Zusätze in A.-T. und LXXUrsprünglich waren Proto-A.-T. und Proto-LXX unabhängige Übersetzungen, doch die Einfügung der sechs Zusätze in beide Texte zeigt eine direkte literarische Abhängigkeit, denn die griechischen Formen der Zusätze A–F im A.-T. und in der LXX sind recht nahe beieinander. Die Zusätze B und E wurden wahrscheinlich zuerst in die LXX eingefügt. Demgegenüber wurden die Gebete von Ester und Mordechai (Zus. C), Esters Begegnung mit dem König (Zus. D), Mordechais Traum und seine Interpretation (Zus. A und F) zuerst in den Proto-A.-T. eingefügt. 84Kopisten oder Redaktoren nahmen dann die Ergänzungen in die andere Textfamilie auf, vermutlich in der Absicht, einen Text zu erstellen, der alle mit Ester und Mordechai verbundenen Traditionen vereint.
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