Vorne auf der Erde lag Runzelper so lang wie er war und starrte die Reiter an, mit Blut, das über seine Wange lief aus einer Schramme an der Stirn. Den einen Arm hielt er schützend vor sein Gesicht.
Einer der Ritter lehnte sich vom Pferd aus über ihn und zischte: "Wo ist er?"
Per Runzelfratze zeigte auf die Scheune, ohne ein Wort zu sprechen.
Sie richteten sich in den Satteln auf, zogen an den Zügeln und ließen die Pferde zum Tor schreiten.
Balder hängte sich den Rucksack um und zog sich langsam zurück in die Dunkelheit zwischen die Stapel der Kornsäcke.
Sie zogen am Tor. Erst ganz vorsichtig, dann gewaltsamer. Sie rüttelten und rißen, während sie mit rauhen Stimmen miteinander flüsterten.
Balder betete, daß das Brett hielte und machte sich daran, nach einem Ausweg zu suchen.
Er tastete sich an der Rückwand entlang, legte die Schulter gegen die Bretter und stemmte sich dagegen. Er drückte so gut er konnte an mehreren Stellen, bis ein Brett plötzlich nachgab und nach draußen fiel, wo es mit einem Platsch in der Dunkelheit verschwand. Er rüttelte die Bretter daneben ab, bekam auch die los und ließ sie nach draußen fallen.
Die Nachtwanderer hämmerten ihre harten Fäuste gegen die Planken des Tores, sodaß Staub und Splitter durch die Luft fegten. Balder trat das nächste Brett los in der sicheren Überzeugung, daß der Lärm, den sie selbst machten, sie außerstande machte, ihn zu hören.
Von draußen drang das Spritzwasser vom Fluß und vom Schaufelrad auf ihn ein.
Er nahm den Rucksack wieder ab, steckte den Kopf durch das Loch, das er in die Wand geschlagen hatte und starrte hinaus.
Es war stockdunkel.
Der Mond warf einen schwachen, kalten Schein über die Landschaft. Er sah seinen eigenen Atem wie Dampf über dem Wasser stehen, bis der Wind ihn davontrieb.
Vom Tor wurden die Verankerungen aus den Wänden gerissen und es fiel mit einem schmetternden Geräusch auf den Boden.
Sie kamen hineingeritten, während sie triumphierend brüllten und mit Ketten um sich schlugen.
Balder fasste Mut, holte tief Luft und warf sich durch die Öffnung, den Rucksack an seine Brust gepresst.
Der Wind war kalt, aber das Wasser war eisig. Es brauste über ihm zusammen, umschloß ihn, erstickte alle anderen Geräusche außer dem Dröhnen des Schaufelrades, das sich irgendwo in der Nähe herumdrehte.
Er sank im Wasser hinunter, beschwert vom Rucksack und seiner Kleidung. Als er den Grund berührte, stieß er sich ab und zog sich mit dem einen Arm durch die Wirbel, bis sein Kopf den Wasserspiegel durchbrach. Er paddelte mit den Beinen und versuchte, sich an der Oberfläche zu halten.
Das Gebrüll aus der Mühle drang über das Wasser zu ihm. Sie schlugen alles kurz und klein: Die Kornsäcke, die Wände und die kleinen Sprossenfenster - sodaß die Glasscherben wie schimmernde Wolken in die Luft flogen.
Und als Begleitung zu dieser chaotischen Verwüstung hing das teuflische Gebrüll der Nachtwanderer in der Luft.
Die Pferde wieherten, und die Hufe donnerten auf den Boden und die Pflastersteine draußen.
Balder trieb fort, während er sich an eines der Bretter aus der Wand klammerte. Er hielt den Rucksack unter den einen Arm geklemmt, während er sich, zähneklappernd vor Kälte, an das gegenüberliegende Ufer kämpfte.
Als er die schlammige Böschung hinaufkletterte, den Rucksack hinter sich herschleppend, ging ein Rauschen durch die Luft.
Er drehte sich um und sah Flammen aus den Fenstern im Dach der Mühle in die Luft schießen.
Das Feuer griff schnell auf das Heu auf dem Dachboden über und toste bald mit einem Krachen und Brechen aus allen Rißen und Spalten.
"Heilige Kuh," dachte Balder.
Er meinte Yldas Stimme irgendwo in dem Flammenmeer zu hören. Aber es war nur kurz, und er hörte sie nicht noch einmal. Sie ritten draußen herum, wie Schatten am Rande des Feuerscheins, während sie triumphierend brüllten.
Balder kroch durch das hohe Gras fort von dem Flammenmeer auf das gegenüberliegende Ufer. Das Dach brach zusammen und Glut schoß durch die Luft wie tausende von Feuervögeln, die über den Fluß forttrieben und auf das taufeuchte Gras niederregneten.
Dann erhob er sich und lief vornübergebeugt mit dem Rucksack über den Schultern durch die Glut.
Er stürzte besinnungslos davon, sicher, daß sie ihn von da drüben gesehen haben mußten. Das Feuer warf einen hellen Lichtschein über die Hügel, viele Kilometer weit.
Lange danach blieb er fröstelnd stehen, als er keinen Schritt weiter zu gehen vermochte. Er ließ sich ins Gras fallen und keuchte nach Luft.
Er lag lange und lauschte nach dem Geräusch von Hufen auf der Erde. Jedes Mal, wenn der Wind durch das Gras flüsterte, drückte er sich hinunter und machte sich so klein wie möglich, sicher, daß sie es waren, die sich im Schutz der Dunkelheit an ihn schlichen.
Aber sie kamen nicht.
Als er sich eine Weile erholt hatte, beschloß er, weiter zu gehen.
Er war naß und er fror. So war er gezwungen, die Zähne zusammen zu beißen, damit sein Zähneklappern nicht verriet, wo er war.
Er wanderte im Mondlicht fort in die Richtung, wo er Braunhöhe vermutete.
Während er lief, massierte er seine Arme, abwechselnd den einen und den anderen, damit das Blut wieder zirkulierte.
Voraus tauchte ein unebener Umriß eines Waldes auf.
Balder schlich sich vorsichtig näher, blieb stehen, horchte und schlich sich noch näher.
Er lernte die Vorsicht, lernte zu lauschen und Gefahr zu wittern, noch bevor sie ihn entdeckte. Nur so konnte er hier überleben, wo er bis jetzt nur Feinden begegnet war - Leuten, die ihm Böses wollten.
Er glitt wie ein Schatten zwischen die Nadelbäume, mit allen Sinnen bis zum Äußersten gespannt. Er war die Beute, und es gab viele Jäger.
Die Zweige streckten sich zu ihm hinunter, streiften über seinen nackten Hals und ließen Nadeln in seinem naßen Haar stecken.
Dann hatte er eine Idee, zog das Messer und studierte die Klinge. Sie war kalt und blank, und er steckte es zurück in die Scheide mit einem zufriedenen Seufzer. Hier war Frieden und keine Gefahr, bis auf weiteres...
Lange später, nach einer mühsamen Wanderung durch den nachtschwarzen Wald, erreichte er die andere Seite.
Er stand kurz am Waldrand und blinzelte mit den Augen, lauschend nach einem Zeichen der Gefahr.
Es rauschte hoch oben in der Luft den Waldrand entlang. Er kniff die Augen zusammen und starrte.
Es war eine Eule. Sie flog weiter über seinen Kopf und verschwand in der Dunkelheit.
Vor ihm erhob sich ein großer Hügel aus dem Gelände. Auf ihm verstreut wuchsen Büsche und Sträucher in dichten Formationen. Er folgte einem Pfad mit den Augen. Er schlängelte sich zwischen den Büschen bis nach oben. Oben waren schwach die Konturen von Häusern zu erkennen - von dunklen, verschlossenen Häusern.
Aber in einem von ihnen war Licht im Fenster.
Er stand frierend und allein im Versteck zwischen den Bäumen und beobachtete das Licht, das aus den Fenstern strahlte und einen warmen Schein über das Gras oben in Braunhöhe warf.
Noch einmal ließ er sich viel Zeit, obwohl er sich am liebsten nur so auf das Licht und die Wärme und die Sicherheit, nicht mehr länger allein zu sein, gestürzt hätte.
Er horchte, aber es war niemand in der Nähe. Er zog das Messer hervor und sah die Klinge an, sie reflektierte das bleiche Licht des Mondes auf ihrer kalten Oberfläche.
Dann schlich er aus seinem Versteck, eilte über ein offenes mit Gras bewachsenes Stück Land und lief weiter nach Braunhöhe, in Richtung auf das Haus mit den erleuchteten Fenstern.
Zehn Minuten später wanderte er auf das Gebäude zu, das sich gegen den Himmel auftürmte. Es lag im Verhältnis zu den anderen Häusern etwas abseits.
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