„Warte nur, bis die Richtigen dort sind!“
„Willst du damit sagen, daß du einrückst? Du bist doch in der Militärakademie unabkömmlich.“ Lambrecht legte einen Finger auf den Mund. Antonietta hatte aber die Bewegung gesehen und fuhr auf: „Franz! Du hast um Versetzung angesucht!“
„Na ja. Soll ich’s leugnen? Jetzt weißt du’s. Schon längst habe ich es getan. Du bist doch mit keinem Zivilisten verheiratet. Aber sei ruhig. Ich habe kein Glück und bevor ich einrücken darf, wird der Krieg aus sein.“
„Du hast mir nichts gesagt, Franz ...“ stammelte Antonietta fassungslos.
„Willst du dir den Garten ansehen. Falco? fragte Lambrecht. Der Junge begriff. Sie hatten etwas zu reden und er störte. Er stand auf, behielt aber seinen Teller mit Fruchteis in der Hand.
Er schlenderte zum Vorgarten hinab, wollte sich dort in die Laube setzen, aber plötzlich interessierte ihn das Haus. Komisch, wie es mit der Schmalseite gegen die Straße stand. Zwei Fenster oben, zwei unten im Erdgeschoß. Die beiden unteren waren vergittert und hinter dem einen saß Fiorenza mit verweinten Augen. Er wußte, daß sie durch seine Schuld hier wie eine Gefangene sitzen mußte. Er pfiff leise. Das Kind hatte ihn längst erblickt, zeichnete aber mit verbissener Geduld Buchstaben auf eine Schiefertafel.
„Heda! Fiore!“ rief er.
Fiore legte den Griffel weg, kam zum Fenster und faßte das Gitter mit beiden Händen: „Oh, du hast Eis?“
„Willst du kosten?“
„Onkel Franz hats verboten.“
„Backwerk hat er verboten. Eis ist kein Backwerk.“
Das war, im Ton gewichtiger Autorität gesprochen, für Fiorenza allerdings eine Entscheidung. Aber das enge Fenstergitter trennte sie von dem Teller mit den himbeerroten und aprikosenfarbenen Eisschnitten.
Falco wußte Rat: „Ich werde dich mit dem Löffel durchs Gitter füttern“, und das tat er, aber bald sagte sie: „Ich kann allein essen, gib mir den Löffel.“ Er mußte bloß den Teller halten, damit er nicht vom Gesimse abglitt.
„Hast du aber selbst genug gekriegt?“ fragte sie plötzlich.
„Ich kann nicht weiter“, gestand er. „Ich habe eine halbe Punschtorte aufgegessen und zwei Schlagobersrollen und noch so Verschiedenes. Im Konvikt essen wir kein so süßes Zeug. Das ist nichts für Männer.“
„Magst du keinen Lebkuchen? Morgen ist hier Kirchweihfest. Die Lebzeltenstandeln sind schon aufgestellt. Und ein Kasperltheater wird es geben und einen Baumkraxler. Der steigt auf eine hohe Stange, ganz hinauf bis zu den bunten Tücherln und Bändern und holt sich die Silbergulden, die dort eingebunden sind.“
„Das ist nicht schwer. Uns solltest du turnen sehen, im Konvikt! Da würdest du Augen machen!“
„Ich bitt’ gehorsamst, der junge Herr Baron möcht‘ sich bereit machen. Die Herrschaften wollen spazieren fahren“, meldete der Bursch des Rittmeisters.
Sofort lief Falco ins Haus, um Kappe und Degen zu holen. Vor dem Gartentor stand der Kutschierwagen. Lambrecht hielt die Zügel. Falco durfte an seiner Seite Platz nehmen. Rückwärts saß Claudio mit Antonietta.
Fiore, die auf das Fensterbrett geklettert war, sah den Wagen davonfahren. Niemand hatte ihr einen Blick geschenkt. Wenn Onkel Franz sie strafte, war sonst immer die schöne, liebevolle Tante Antonietta zu ihr gekommen und hatte sie gestreichelt und geküßt. Oder Onkel Sepp hatte ein Spielzeug für sie geschnitzt. Auch Agnes, die so rauhe Hände hatte, und einen so sanften Mund, wäre von Trost für das einsame Kind gewesen. Ihre Stimme klang jetzt aus dem Hofe herauf, sie sprach mit der Köchin, während sie am Brunnen Wasser schöpften.
„Wenn der Baron nach Bosnien einrückt ...“ sagte Agnes. Die übrigen Worte verhallten im Garten. Das Brunnenwasser rieselte und tropfte immer leiser. Die Sonne sank und die Rosen verströmten ihren Duft in den Abend. Tiefe Einsamkeit war um das kleine Mädchen und es erschrak fast, als die Türe knarrte. Wie froh war es, als Agnes eintrat! Sie stellte Milchbrei und Butterbrot auf den Tisch, ermahnte die Kleine, brav zu essen, brachte sie dann schnell zu Bett und machte das Zeichen des Kreuzes über sie.
Fiorenza bewegte sich unruhig in den Kissen. Etwas Fremdes, Aufwühlendes war heute in diesem Hause. Noch zwischen Wachen und Traum hörte sie das unterdrückte Heulen des Hundes. So lag sie lange. Ein Lichtschein störte ihren Schlummer. Hatte nicht Agnes vorhin die Kerze ausgelöscht? Die Kerze brannte bestimmt nicht mehr, doch ein bläulicher Schimmer ging von der Frau mit dem weiten, blauen Kleide aus. Ja, das war die Frau aus dem Bilde in Onkel Sepp’s Stube. Und die beiden Kinder, die sie an der Hand führte, erkannte Fiorenza als dieselben, die sie heute im Gemüsegarten gesehen hatte. Freudig streckte sie ihnen die Hände entgegen und folgte ihnen ins Freie. Da stand auch schon der Klettermast für den Baumkraxler, aber er war viel, viel höher als bei Tage und reichte bis an die Sterne. Die zwei Kinder hatten plötzlich bunte Flügel und krochen den Mast empor, wie Schmetterlinge, so leicht und mühelos, und zogen Fiorenza mit hinauf. Je höher sie gelangten, umso strahlender glänzten die Lichter des Himmels, umso klarer wurde die Seele des Kindes und es sah den lieben Gott. Da sang eine Geige wie eine Menschenstimme und hatte Klänge von Purpur, prächtig wie ein Königsmantel. Und andere von tiefem Blau, wie Frühlingsenzian. Und himmlisch reine, wie Sonnengold. Fiorenza war es selbst, die Geige spielte, vor dem Throne Gottes ... doch da wurde ihre Hand von einer anderen gefaßt und — „Eine kleine Alteration, nichts weiter“, sagte Doktor Schwarz, als er Fiorenza’s Puls fühlte und dann seine Uhr zuklappte. „Geben sie dem Kindel alle zwei Stunden einen Eßlöffel voll von dem Saft.“
Zwei Tage später durfte sie aufstehen. Alle Leute waren freundlich zu ihr und man erlaubte ihr, am Brunnen zu sitzen und ihre Puppe in einem kleinen Holzschaff zu baden.
Fiore liebte diese ganz unscheinbare, gewöhnliche Porzellanpuppe, weil sie ein Geschenk ihres Bruders Bernhard war.
„Was machst du da?“ fragte Falco. „Das ist gar nichts. Die Puppe muß schwimmen lernen!“ Er steckte dieselbe in das Auslaufrohr und pumpte kräftig. Da fiel die Puppe, von der Gewalt des hervorstürzenden Wassers mitgerissen, in den steinernen Brunnentrog und zerschellte.
Fiore’s Gesicht verzog sich zum Weinen. Da geschah aber etwas Unerwartetes: Ein junger Mann, der einen Geigenkasten und eine Notenrolle trug, kam die Gartentreppe herauf und winkte dem Kinde freudig zu.
„Bernhard!“ schrie Fiore und flog ihm an den Hals und lag dort wie eine verirrte Schwalbe, die sich im Unwetter unter ein schützendes Dach schmiegt.
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