Roman
aus
Alt-Österreich
Saga
Zu Franz Schuberts Zeiten grünte und blühte neben dem alten Wirtshaus ein Wiesenabhang. Gegenüber klapperte eine Mühle und auf den Ulmen versammelten sich jeden Abend die Krähen, sie krächzten und saßen dort ungestört, bis endlich Taglöhner mit Hacke und Spaten kamen, um auf der Wiesenlehne den Grund für ein Haus zu graben.
Der Fuhrwerkbesitzer Mathias Knöll ließ es für seine Frau Maria, die schöne Bauerntochter aus dem Etschtal, errichten, weil sie sich in der engen Wienerstadt, nach ihren heimatlichen Gebirgsmatten und Lärchenwäldern sehnte.
Hier heraußen „in der Brühl“, wo ein Bächlein durch die Felsenklause rauschte, wo die Hügel mit dunklem Nadelwald bewachsen waren, konnte sich die Frau so halbwegs einbilden, in ihrer Tiroler Heimat zu sein.
Besonders eilig war es dem Mathias Knöll mit dem Bauen zwar nicht, weil das Lohnfuhrwerk gerade während der Schrecken der Revolution von 1848 in Wien viel Nutzen abwarf. Da gab es Fuhren bis St. Pölten, ja sogar bis nach Linz oder Graz, wenn der hohe Adel zuweilen inkognito reiste. Auch flohen viele Wiener Bürger vor der Cholera, die sich allmählich in den niedriger gelegenen Stadtteilen an der Donau ausbreitete.
Maria fürchtete sich ihrer drei Kinder wegen, vor der Seuche, und als das Landhaus im Sommer noch immer nicht ganz vollendet war, beschwor sie ihren Mann, sie mit den Kleinen nach Bozen fahren zu lassen, wo sie bei ihren Eltern eine bessere Zeit abwarten wollte. Das war aber nicht nach seinem Sinn und als sie ihm wieder einmal damit in den Ohren lag, sagte er: „Gut. Fahre weg. Aber du brauchst nicht zurückzukommen.“ Da gab sie diese Hoffnung auf.
Mathias Knöll war ein richtiger Mann: stark und gesund. Und so war ihm auch Maria erschienen, als er sie im Stall und Weingarten ihrer Eltern bei der Arbeit gesehen hatte. Aber reißet einen einfachen Menschen aus dem Heimatboden, den er bearbeitet hat und dessen Früchte ihn genährt haben, versucht es, ihn in einer fremden, fernen Gegend einzupflanzen, wo eine bleichere Sonne scheint und seht zu, ob er nicht langsam verkümmert an Körper, Seele und Geist.
Ja, Mathias Knöll war ein richtiger Mann, ganz ahnungslos, ob Maria litt, und doch gutmütig gegen Mensch und Tier, zwar nicht aus Mitleid, sondern aus Gerechtigkeit. Wenn ihm eine Fuhre gut bezahlt worden war, mochten auch seine müden Rösser eine Extraportion guten Hafer fressen. Und da Maria ihm drei Kinder geboren und auch sonst alle häuslichen Pflichten zur Zufriedenheit erfüllt hatte, mochte sie ein Landhaus bei Mödling haben und dort in ihrem Garten Blumen und Gemüse ziehen. Einen Stall und Wagenschuppen an der seitlichen Gartenmauer hatte er für sein Geschäft schon vorgesehen.
Äußerlich ließ sich Mathias nicht anmerken, daß er von nun an den Bau vorwärts trieb, aber Ende August sagte er plötzlich: „Kannst du dich fertig machen, Mariedl? Morgen früh führ ich dich mit den Kindern und dem ganzen Graffel in die Brühl.“
„Jesus Maria! So schnell?“ rief sie aus. Er hatte sie um die Vorfreude gebracht. Sie verpackte eiligst Bettzeug, Kochgeschirr und anderen Hausrat. Um Mitternacht war sie damit fertig und um fünf Uhr morgens stand der Leiterwagen vor dem Tore. Die zwei starken Eisenschimmel scharrten und stampften, daß es in der Gasse widerhallte. Mathias Knöll und Nazl, sein junger Fuhrknecht, trugen die Kisten aus dem Hause und hoben sie umständlich auf den Wagen. Zuletzt brachten sie die Betten. Maria ging hinterher. Ihre Stirne war wie von einer quälenden Sorge zusammengezogen. „Ich wär’ eigentlich noch gern mit der Mena zum Doktor gegangen“, sagte sie, auf ihr Töchterlein zeigend.
„Komm nur!“ beruhigte sie der Mann. „Draußen, in der guten Luft, wird sie schon wieder rote Wangerln kriegen.“ Die Wagenplache wurde befestigt. Mit einem Zungenschlag ermunterte Mathias seine Pferde, die wacker anzogen. Neben ihm hockte der Knecht Nazl. Maria saß am anderen Ende des Wagens und hielt den acht Monate alten Seppele im Arm. Der dreijährige Hansel hieb mit einer alten Peitschenschnur auf seine Schuhe ein und rief: „Hü!“ Mena hatte den Kopf in den Schoß der Mutter gelegt und schaute mit trüben Augen vor sich hin.
Man mußte mancherlei Umwege machen, weil das Straßenpflaster seit den letzten Barrikadenkämpfen auf einigen Plätzen aufgerissen und noch nicht ausgebessert worden war. Bei der sogenannten Teufelsmühle am Wienerberg wollte Maria anhalten lassen, weil Mena fortwährend nach Wasser verlangte.
„Wasser ist jetzt ungesund“, brummte Mathias und trieb die Pferde zu einem leichten Trab an. Erst in Perchtoldsdorf gestattete er der Frau und den Kindern abzusteigen. Hier kannte er einen Wirt, der einen echten Tropfen ausschenkte und da saßen sie dann unter schattigen Linden. Die Wirtin brachte Backhühner mit Salat, und man trank den säuerlichen, süffigen Weißwein dazu. Als das Mahl beendet war, winkte der Wirt heimlich dem Fuhrwerkbesitzer, in die Stube zu kommen und hier rückte er mit der Frage heraus, ob Mathias ihm heute die Pferde leihen wolle.
Die Rösser? Ja, was glaubte denn der Gevatter? Er mußte doch sehen, daß Mathias heute seine Familie auf das Land fahre. Die paar Weinfasseln, die der Wirt vielleicht auf der Maut liegen hatte, konnten wohl bis morgen oder übermorgen warten ...
Es handle sich nicht um Weinfässer, erklärte der Wirt, sondern um noble Herrschaften, um den Baron und die Baronin Amadé, die sich auf der Reise nach Ungarn befänden. Hier unten an der Brücke sei ihnen gestern abends infolge eines Blitzschlages das Handpferd scheu geworden und gestürzt. Der Baron habe es auf der Stelle erschießen müssen. Und nun suchten sie einen Vorspann für die schwere Kalesche. Im Ort gebe es aber nur magere, abgetriebene Ackergäule und so ein stattliches Gespann, wie es Matthias besaß, käme sehr gelegen.
Knöll schüttelte den Kopf. Heute ging es nicht. Warum hatten es denn die Ungarn so eilig? Am Ende waren es gar politisch Verdächtige?
Ein hochgewachsener Mann in einem dunkelgrünen, verschnürten Rock trat rasch hinzu: „Ich brauche seine Pferde bis nach Neustadt. Was verlangt er?“
Knöll schaute den Sprecher prüfend an. „Nix“, sagte er endlich. „Meine Rösser, mit Verlaub, brauch ich heut selber. Geb sie auch net in fremde Händ. Sie sind keine Hasen, daß man’s etwan abschießen könnt.“
Der Fremde wollte auffahren, doch der Wirt trat dazwischen. „Euer Gnaden verzeihen ... er macht gern G’schpaß, der Knöll.“ Und dem Mathias gab er einen Rippenstoß: „Narrentattel übereinand! Kannst ja selber kutschieren.“
„Der Preis ist nebensächlich“, setzte der Fremde hinzu. „Überleg’ er sich’s rasch.“ Mathias öffnete den Mund, um eine abschlägige Antwort zu geben — da stand plötzlich eine schöne Dame in der Türe. Ihr grauseidenes Reisekleid mit rosenroten Bändern bauschte sich über dem Reifrock, ein Florentinerhut, der mit Blondenspitzen und Rosen verziert war, umrahmte ihr junges Gesicht. Und diese schöne Fremde hielt seinen kleinen Buben, den Seppl in den Armen und wiegte ihn zärtlich. Graf Amadé verwies es ihr, halb unwillig, halb lachend. Jetzt kam Maria hinterdrein. „Addio, carino!“ sagte die anmutige Dame und übergab den Kleinen seiner Mutter. Und dann erzählte sie in einem artigen, welschen Deutsch, daß sie in der Kirche gewesen sei, wo sie Maria mit dem Bübchen getroffen und dieselbe als Tirolerin erkannt habe, denn Trient, woher sie selbst stamme, läge nicht weit von Bozen und so schöne Kinder kämen nur von dort her.
Die Männer schienen über diesen Zwischenfall teils verdrießlich, teils verlegen, aber sie einigten sich darüber, daß Knöll zuerst seine Familie nach Mödling befördern und so schnell als möglich zurückkehren sollte, um die Herrschaften nach Wiener Neustadt zu fahren.
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