Die Geheimrätin kleidete sich immer sehr elegant, sie liebte Luxus und trug ihn gern zur Schau. Mit ihrer einzigen Tochter Gertraud, von allen, die sie kannten, Traute genannt, verstand sie sich darin schlecht. Traute hatte eine Vorliebe für Einfachheit und kleidete sich am liebsten in weisse Stoffe.
Die Jungfer Claire Pichon folgte den vorangehenden Herrschaften in respektvoller, fast zu respektvoller Entfernung, und man hätte meinen können, sie gehöre gar nicht dazu. Jedenfalls nahm das auch der entgegendienernde Oberkellner an, denn er fragte die mit dem Reisetäschchen etwas später als die anderen in den Hotel-Vorraum Eintretende, ob sie ein Zimmer im ersten Stock wünsche, und ob die gnädige Frau längere Zeit hier zu bleiben beabsichtige.
Die Gräfin, die sich bereits an der Treppe befand, lachte ein wenig ärgerlich auf.
„Frau Geheimrat war doch so liebenswürdig, auch für meine Jungfer ein Zimmer voraus zu bestellen, kommen Sie, bitte, Claire, und halten Sie sich nicht gar so weit zurück.“
Der Oberkellner murmelte eine Entschuldigung. Sonderbar, wie vornehm die Kammerjungfer aussah. Auch Gisela Stein machte dieselbe Bemerkung, nur äusserte sie sich darüber zu ihrer Schwägerin.
Herma Kerrwitz wiegte den Kopf.
„Nun ja, sie ist kein Durchschnittstyp ihres Standes, aber sie zieht sich doch riesig schlicht an, es muss wohl an ihrer Figur, ihrer Haltung liegen, dass sie etwas Besonders vorstellt. Trotzdem versteht sie ihr Fach, und bin ich äusserst zufrieden mit ihr.“ — —
Nachdem sich Gräfin Herma mit Hilfe ihrer Zofe ein wenig zurechtgemacht, liess man sich unten auf der Terrasse zum Abendessen nieder. Die Zofe ass oben in ihrem Zimmer. Man hatte sich viel zu erzählen, und die Hauptsache in der Unterhaltung spielte das Ultimatum, das Oesterreich wegen der Ermordung des Thronfolgers und seiner Gemahlin den Serben gestellt hatte.
„Die Sache balanziert auf des Messers Schneide,“ meinte der Geheimrat, „und der Krieg zwischen den beiden Mächten ist sicher. Russland deckt ja Serbien den Rücken.“
„Nun, dann zieht auch Deutschland sein Schwert, es weiss das Wort Brüderlichkeit richtig zu verwenden.“
„Ach, das sind Möglichkeiten,“ warf die Gräfin ein, „es wird ja nichts daraus werden, vor einem grossen folgenschweren Krieg scheut sich jeder.“
Der Graf hob die Schultern.
„Weisst du, Herma, um Politik kümmertest du dich bisher viel zu wenig, um derartiges, wie es sich jetzt allem Anschein nach vorbereitet, richtig einzuschätzen und zu beurteilen. Aber ich muss dir ganz ehrlich sagen, ich drängte in Belgien so sehr zur Abreise, weil es immer besser ist, man befindet sich in solchen Tagen, wie wir sie jetzt vielleicht erwarten müssen, daheim im Vaterland.“
Herma Kerrwitz machte eine unmutige Bewegung.
„Unsinn, Phantasiegebilde. — Nun und wenn Deutschland für einen Krieg wirklich in Frage käme, in Belgien wären wir doch sicher aufgehoben gewesen.“
„Wie kann man das wissen?“ Der Graf begann mit gutem Appetit das Pastetchen zu verspeisen, das er vor sich auf dem Teller hatte.
„Nein, erlaube mal,“ seine Frau gab sich mit dieser Antwort nicht zufrieden, „wenn du auch meine politische Kenntnisse anzweifelst, so kann es sich doch für Deutschland nur um einen Krieg mit Russland handeln.“
„So ganz verbürgt ist das nicht,“ gab er zurück, „denn man munkelt, auch Frankreich warte nur auf den Moment, um loszuschlagen, und man kann noch nicht wissen, wer sich vielleicht noch anschliesst — aber, Kindchen, reden wir doch von anderen Dingen, denn: Politisch Lied, ein garstig Lied.“
„Meinetwegen,“ die Gräfin wandte sich Traute zu.
Nach dem Mahl zog Traute die schöne junge Tante mit sich.
„Komm mit hinauf, Herma, wir wollen uns auf den Balkon meines Zimmers setzen, der Blick auf den abendlichen Rhein ist wundervoll.“
Herma erhob sich sogleich, das Gespräch war auf medizinisches Gebiet geraten und das langweilte sie wie fast alles, was nicht mit dem Kultus ihrer eigenen schönen Person zusammenhing. Trautes an Anbetung streifende Schwärmerei für sie aber gefiel ihr. Es übte einen eigenen Reiz auf sie aus, sich von diesem selbst wunderhübschen Mädchen immer und immer wieder erzählen zu lassen, welche herrlichen Augen sie besass und welchen prachtvollen Schimmer ihr Haar habe. Herma sog gern und begierig den Duft des Weihrauchs ein, den man zu Ehren ihrer Schönheit verbrannte.
Herma von Kerrwitz war mit ihren achtundzwanzig vierzehn Jahre jünger als ihr Gatte, der in seiner trägen Behäbigkeit einen bedeutend älteren Eindruck machte als er war. Namentlich die letzten Jahre waren nicht spurlos an ihm vorübergegangen. Diese immerwährende Untätigkeit während der Reisen hatte seine phlegmatische Veranlagung ausserordentlich begünstigt.
Früher, als er das riesige Rittergut Kerrwitzhof noch selbst bewirtschaftete, war immer noch etwas Forsches in seinen Bewegungen gewesen, weite Ritte über die Felder hatten allzugrosse Fettmassen ferngehalten, aber nun hielt da auf Hermas Wunsch ein Oberinspektor die Leitung des Gutes ganz selbständig in Händen, und man liess sich dort nur noch flüchtig sehen. Meist verbrachte das Ehepaar die Reisepausen in irgend einer Grossstadt, meistens Berlin.
Für diesen Winter stand das Programm noch nicht fest.
Herma sprach zu Traute davon. Die meinte: „Kommt doch nach Wiesbaden. Es ist im Winter zwar ziemlich still, aber wir haben sehr liebe Bekannte, die euch alle in unserem Kreise willkommen heissen würden.“
Herma erwiderte: „Wollen sehen, Traute.“
Ein kleines Spottlächeln bog ihren Mund bei dem Gedanken an den netten Wiesbadener Kreis. Sie konnte sich den lebhaft vorstellen! Bestand jedenfalls aus ähnlichen Menschen wie der spiessige Geheimrat Stein. Nein, dafür dankte sie. Menschen, die mit würdigen Mienen nicht einmal wagten, ein keckes hübsches Scherzchen gegen sie hinzusprühen, denen ihre Frauenwürde etwas so ehrfurchtgebietendes schien, dass sie sich nicht die kleinste Kurmacherei gestatteten, langweilten sie bodenlos.
Sie kannte den prickelnden Ton, der in der grossen internationalen Welt herrschte, sie war auf ihren Reisen und in Berlin mit Menschen aller Nationen und der verschiedensten Stellungen zusammengetroffen, sie war grosse Dame im kosmopolitischen Sinne, sie hatte keine Sehnsucht, sich in der behaglichen Spiessbürgerlichkeit solchen Umganges zu verlieren, wie ihn sicher Trautes Eltern pflegten, und ein paar Kostproben bei gelegentlichen Besuchen in Wiesbaden liessen keinen Zweifel daran auftauchen.
Auf dem kleinen Balkon von Trautes Zimmer stand ein Tisch und zwei Stühle, da nahmen die Damen Platz.
Traute hatte recht, es war von hier aus ein wundervoller Blick auf den Rhein. Namentlich jetzt zu dieser Zeit. Es war keine volle Tagesbeleuchtung mehr, aber auch noch keine abendliche. Ein graues Dämmern lag über allem, hing über dem Rhein und umspann die Berge, und geisterhaft drang von drüben irgendwoher ein Glockenläuten. Die Glocke eines alten Kirchleins, denn blechern und heiser war das Stimmchen.
Auf den Dampfern, die den Strom hinauf- und hinunterfuhren, brannten schon die Lichter und spiegelten sich in kleinen, runden, leuchtenden Schemen im Wasser, und es sah aus, als schwammen güldene Kugeln neben den Schiffen her.
Und nun flammten auch an dieser Seite und drüben in St. Goarshausen die Uferlaternen auf. Gleich einer Schnur entzündeter Lampions zogen sie sich an den Ufern hin. Traute blickte, den einen Arm leicht auf die niedrige Brüstung gelehnt, verträumt hinaus.
„Weisst du, Herma, du wunderschöne junge Tante, wen ich gestern gesehen habe? Jemanden, den du kennst. Nun denke mal ein bischen nach, verlege dich aufs Raten.“
Herma Kerrwitz spielte mit ihren Ringen, versuchte den Brillanten darin hier in dem Halbdunkel ein Funkeln zu entlocken.
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