„Schade, das wird meinen kleinen Finger sehr kränken.“
So plaudernd waren sie bis in die Nähe des Friedhofs gelangt. Just von Dehnow war allmählich in ein ganz langsames Schlendertempo verfallen — dieses Beisammensein mit der über seine Person so gut unterrichteten Fremden übte einen seltsamen Zauber auf ihn aus. Und ihm war es, als gehöre dieses holde blonde Mädchen hierher in die Heimat, als gehöre sie dazu wie der Rhein und der rote Assmannshäuser und all die sonnige, wonnige Pracht ringsum.
Er, der seit Jahren einen Bogen gemacht um alle hübschen weiblichen Wesen, sass plötzlich wie in einem Netz von Wohlbehagen und Glück und wie in eine Versenkung verschwand jegliches Denken an die falsche Herma von Olfers, die einmal durch seine jungen Tage gegangen wie eine dunkelhaarige Herrscherin. —
Vor der Tür zum Gottesacker blieben beide stehen. Eine schlanke weisse Hand schob sich Just entgegen.
„Leben Sie wohl, Herr von Dehnow, und zerbrechen Sie sich nicht den Kopf darüber, wer ich bin. Meine Mutter meint, ich sei ein übermütiges Ding, das niemand ernst nehmen könne und wenn Sie mögen, können Sie sich ja dieser Ansicht anschliessen.“
Husch, husch, waren die niedlichen Füsse in den Schuhen von stumpfem, weissem Leder schon davongegangen.
Just von Dehnow blickte der weissgekleideten Gestalt nach, er wollte ihr noch etwas sagen, wollte sie noch etwas fragen — aber er brachte nichts hervor. Stumm folgte ihr sein Auge, bis sie da unten in einem grossen alten Bau rechts von der Kirche verschwand.
„Ich will wissen, wie sie heisst, will wissen, wer sie ist,“ nahm er sich vor und folgte ihr.
In dem alten Bau, der eine grosse Ausdehnung zeigte, trat ihm eine kleine magere Frau entgegen.
Er fasste höflich grüssend an den Hut.
„Bitte, können Sie mir nicht sagen, zu wem im Hause die weissgekleidete junge Dame gegangen ist, die vorhin, vor einigen Minuten, hier eingetreten ist?“
Die Frau wachte eine verneinende Bewegung.
„Vor einigen Minuten kann hier keine Dame eingetreten sein, denn seit einer halben Stunde schon halte ich mich hier im Gange an der Türe auf.“ Sie wies auf einen in der Ecke lehnenden Besen. „Ich habe den Flur gekehrt, und wenn hier jemand ins Haus gekommen wäre, hätte ich ihn sicher bemerken müssen.“
Sie griff nach dem Besen, als wollte sie die Beschäftigung, von der sie eben gesprochen, wieder aufnehmen.
Just Dehnows Gesicht war von leichter Ungeduld überschattet. „Aber liebe Frau, ich sah doch die Dame mit meinen eigenen Augen.“
Die Frau zuckte die Achseln.
„Unmöglich, oder es müsste gerade die Nonne gewesen sein, die hier manchmal am hellen lichten Tage umgehen soll, man sagt, sie fände keine Ruhe drüben in ihrem Grabe unten in der Kirche, und weil das Haus früher ein Kloster gewesen ist ...“
„Ein Mönchskloster, wenn ich nicht irre,“ warf er ärgerlich, durch diesen Schnickschnack hingehalten zu werden, ein.
Die Frau liess sich nicht aus der Fassung bringen.
„Möglich! Aber warum soll denn eine tote Nonne nicht in einem alten Mönchskloster spuken?“
Da ging Just Dehnow, er wusste nun, aus der Frau war nichts herauszubekommen.
Als er die Stufen der kleinen Treppen hinunterstieg, war es ihm, als vernehme er deutlich wieder das klingende Lachen des blonden Mädchens. Er drehte sich schnell herum, aber öde lag der weite Gang, der deutlich noch den einstigen klösterlichen Charakter erkennen liess, und die Frau fuhr mit dem Besen über den Steinfussboden in so emsiger Geschäftigkeit, als gäbe es für sie nichts Wichtigeres auf der ganzen Welt. —
Langsam wunderte nun Just Dehnow den Weg zurück, den er eben gekommen. Und er trat vor die Gräber der Eltern hin, die in einen festen Mantel von Efeu eingehüllt lagen und freute sich, wie gut sie gepflegt waren. Seit er von der Schutztruppe zurück, hatte er die Obhut über die Hügel einem St. Goarer Gärtner übergeben, hatte ihm geschrieben und Geld gesandt und konnte sich nun freuen, wie schön die Stätten erhalten, in denen Elternliebe zum letzten Schlummer gebettet war. — —
Als er den Friedhof verlassen, überlegte er flüchtig, was er nun anfing. Es gab hier wohl ein paar Menschen, die sich seiner noch erinnern mochten, wenn er den in St. Goar altbekannten Namen nannte, aber er verspürte keine Lust, jemanden aufzusuchen, er war ihnen und ihrem gleichmässigen friedlichen Leben doch längst fremd geworden. Es lagen weite Wege zwischen seiner Knabenzeit und den Jahren drüben in Afrika, Wege, welche die gemütlichen Kleinstadtmenschen gar nicht in ihrer ganzen Länge abzuschätzen wussten. —
So unternahm er denn noch eine kleine Wanderung zur Burg hinauf und fuhr dann am späten Nachmittag mit dem Düsseldorfer Dampfer, dessen Anlegestelle sich just vor dem Hotel Rheinfels befindet, den Rhein hinauf. Ehe das Schiff sich noch in Bewegung setzte, stieg er die Stufen zum oberen Verdeck hinauf und über das Gitter gelehnt, schaute er zum Hotel hinüber.
Ob sie wohl daheim war, seine Fremde, und in welchem Stock sie wohnen mochte. Wie sie wohl hiess und woher sie war. Viele Fragen, die er sich selbst vorlegte, und von denen er sich auch nicht eine einzige beantworten konnte. Der Klang des silbernen Lachens lag ihm noch immer im Ohre, und er grübelte eifrig über die hübsche kleine Persönlichkeit nach, der sein Namen und Stand nichts Fremdes waren. Starr ruhten seine Augen auf dem Hotel, und da sah er, wie sich im ersten Stock eine Balkontüre öffnete und die blonde liebliche Zierlichkeit auf den gemauerten Hausvorsprung heraustrat.
Sie war’s, wirklich, es gab keinen Zweifel, sie war’s, und während die Schiffsräder jetzt anfingen, in schnellere Bewegungen überzugehen, riss er sein Taschentuch heraus und winkte hinüber. Unaufhörlich und auffällig.
Er konnte einfach nicht anders und da — da kam wahrhaftig von drüben ein Zeichen zurück, ein weisses Tüchlein wehte windgebläht hoch auf und ein Lachen schwang sich herüber, das war wie ein Gruss, ein letzter wunderschöner Gruss.
Just von Dehnow neigte den Kopf, das Lachen tat weh, seltsam weh — weil er es aller Voraussicht nach wohl nie mehr hören würde. — O, es tat so gut, dieses reine junge Lachen, von dessen Vorhandensein er bis heute früh noch gar nichts gewusst, und das ihm fortan doch fehlen würde, immer und immer fehlen. Wie eigen das war, dass man etwas vermissen konnte, von dem man kurz vorher noch nicht das geringste geahnt.
Der Dampfer steuerte auf die Loreley zu und von ein paar kräftigen Männerstimmen schallte es in getragenem Rhythmus auf: „Ich weiss nicht, was soll es bedeuten, dass ich so traurig bin.“
Der alte Sang ergriff Just Dehnow mit starker Gewalt und gedankenvoll schaute er in die Wellen hinunter, die nun schon einen grauschwarzen Glanz aufwiesen. Alles goldene Leuchten, das wie breite Sonnenstrassen über dem Strome gelegen, war untergegangen, aber dem Manne war es, als schaue ihn aus dem Wasser ein süsses Gesichtchen an, als leuchteten braune Schelmenaugen und über die schwerfälligen Wellen schien ihm ein jubelndes Mädchenlachen hinzutanzen, wie das lockende Lachen einer Rheinnixe.
In einem Abteil erster Klasse des von Köln kommenden Zuges sassen Graf Werner Kerrwitz und seine Frau. Er lehnte breit und behaglich in einer Ecke und sein rundes Mopsgesicht drückte deutlich aus, dass er sich sehr wohl fühlte.
Es wurde zwischen dem Ehepaar nicht viel gesprochen, nur ab und zu fielen ein paar Worte, die kurz und wie versprengt in die Stille des Abteils hineinklangen.
Mit müdem, gelangweiltem Gesicht blickte Gräfin Herma durch das Fenster in die Landschaft hinaus. Ihr Auge liess teilnahmlos all die Schönheit da draussen, die wie ein wandelndes Panorama vorbeizog, an sich vorübergleiten. Ihr Sinn war abgestumpft gegen Naturschönheiten. Vielleicht, weil sie schon zu viel in der Welt herumgefahren, weil sie schon kreuz und quer durch Italien und durch Spanien und Portugal gereist, weil sie Aegypten kannte, und ihr Fuss gegangen, wo die Nordlandsonne scheint. Viel, allzuviel, und wie gejagt, hatte die Gräfin die Schönheiten der Welt genossen, nirgends Halt machend, nur weiter, immer weiter, das war ihr Leitmotiv geworden, seit sie den Ehering trug.
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