»Solltest du nicht lieber aufhören?« fragte Jan in Skrolycka.
»Nein, ich muß durchaus heut fertig werden«, erwiderte Börje, »denn ich bekomm’ ja kein Korn von Erik in Falla, ehe das ausbedungene Stück fertig ist. Und wir haben daheim kein Roggenmehl mehr.«
»Na, gut’ Nacht also!« sagte Jan.
Börje gab keine Antwort. Er war so müde und abgemattet, daß er nicht mehr den gewohnten Abendgruß herausbrachte.
Jan von Skrolycka ging bis zum Rand des Ackers, aber dort hielt er an.
»Was macht’s dem kleinen Mädchen aus, ob du zu ihrem Geburtstag heimkommst«, sagte er zu sich. »Sie hat’s ebenso gut ohne dich; Börje aber hat sieben Kinder daheim und kein Essen für sie. Willst du sie hungern lassen, nur um heimzukommen und mit Klara Gulla zu spielen?«
Er ging zu Börje zurück, stellte sich neben ihn und arbeitete mit ihm weiter; aber da er schon vorher recht müde gewesen war, ging es nicht besonders schnell vorwärts, und es war schon beinahe dunkel, als die beiden endlich fertig waren.
›Jetzt schläft Klara Gulla schon lange‹, dachte Jan, als er endlich den letzten Spatenstich tat.
»Nun gut’ Nacht!« rief er zum zweiten Male Börje zu.
»Gut’ Nacht und Dank für die Hilfe!« erwiderte Börje. »Jetzt geh ich und hol’ mir gleich meinen Roggen. Ich werd’s dir schon ein andermal wettmachen, du kannst dich darauf verlassen.«
»Ich will keine Bezahlung dafür. Gut’ Nacht!«
»Willst du nichts für deine Hilfe haben? Was ist denn los, daß du so großartig bist?«
»Ach, ’s ist ... ’s ist heute der Kleinen ihr Geburtstag.«
»Was, und deshalb hast du mir hier beim Umschoren geholfen?«
»Ja, deshalb und auch noch aus einem anderen Grund. Na also, gute Nacht!«
Jan ging hastig fort, um nicht zu einer Erklärung über das »andere« verlockt zu werden; aber es brannte ihm auf der Zunge zu sagen: Heute ist nicht nur Klara Gullas Geburtstag, sondern es ist auch der meines Herzens.
Aber es war gut, daß er nicht dazu kam, dies zu sagen, denn Börje hätte sicher geglaubt, er sei verrückt geworden.
Als das kleine Mädchen ein Jahr alt war, nahm sie Jan Andersson am Weihnachtsmorgen mit in die Kirche zur Christmette.
Seine Frau meinte freilich, das Kind sei doch noch zu klein, als daß man es schon in die Kirche mitnehmen könnte, auch fürchtete sie, es könnte sich wieder so ungebärdig anstellen wie damals beim Impfen.
Aber Jan setzte seinen Willen durch, weil es ja nicht gegen die Sitte verstieß, wenn kleine Kinder mit zur Weihnachtsmette genommen wurden.
So machten sich die Leute von Skrolycka mit Klara Gulla am Weihnachtsmorgen schon früh um fünf Uhr auf den Weg. Es war bedeckter Himmel und so finster wie in einem Sack, aber die Luft war nicht kalt, sondern fast mild und dazu vollkommen still, so wie es dort in der Gegend Ende Dezember zu sein pflegt. Gleich zu Anfang ging es einen engen Pfad zwischen den Äckern und Gehölzen in Askedalarna entlang. Dann mußten die Wanderer dem steilen verschneiten Weg über den Snipahügel folgen, und erst dann kamen sie auf ordentliche Wege.
Das große zweistöckige Wohnhaus auf Falla hatte in allen Fenstern brennende Kerzen; es winkte den Leuten von Skrolycka zu wie ein Leuchtturm, und so konnten sie sich bis zu Börjes Haus hindurchfinden. Dort trafen sie mit ein paar Nachbarn zusammen, die sich am Abend vorher Fackeln zurecht gemacht hatten, mit denen sie sich nun den Weg erhellten; an diese schlossen sich die Leute von Skrolycka an. Jeder Fackelträger ging an der Spitze einer kleinen Schar. Die meisten schwiegen, aber alle waren frohen Mutes. Sie kamen sich vor wie die Weisen aus dem Morgenlande, die beim Scheine des Wundersterns dahinwanderten, um den neugeborenen König der Juden zu suchen.
Als die ganze Schar die Waldhöhe erreicht hatte, mußte sie an einem großen Steinblock vorbei, den einstmals ein Riese drunten in Frykerud an einem Weihnachtsmorgen nach der Svartsjöer Kirche geschleudert hatte, der aber zum guten Glück über den Kirchturm weggeflogen und hier auf dem Snipahügel liegengeblieben war.
Als die Kirchgänger sich jetzt dem Stein näherten, lag er wie gewöhnlich auf der Erde; aber alle wußten, daß er während der Nacht auf zwölf goldene Pfeiler gehoben worden war und daß der Troll darunter gesessen und getrunken und getanzt hatte.
Es war wirklich kein Vergnügen am Weihnachtsmorgen, an einem solchen Steinblock vorbeigehen zu müssen, und Jan sah eifrig zu Katrine hinüber, ob sie auch das Kind fest an sich gedrückt hielte. Katrine schritt sicher und ruhig fürbaß ganz wie gewöhnlich und unterhielt sich halblaut mit einer Nachbarin. Sie schien gar nicht daran zu denken, was das für ein gefährlicher Platz war.
Hier auf der Höhe standen uralte wetterfeste Tannen. Wenn man diese so im Fackelschein mit den großen Schneeklumpen auf den Zweigen wahrnehmen konnte, drängte sich einem unwillkürlich der Gedanke auf, daß mehrere von ihnen, die man vorher für Bäume gehalten hatte, nichts anderes waren als Trolle mit stechenden Augen unter den weißen Schneemützen und mit langen, scharfen Krallen, die aus den dicken Schneefäustlingen hervorstachen.
Das konnte man ja ertragen, solange sie sich ruhig verhielten, aber wie, wenn einer von ihnen den Arm ausstrecken und eines der Vorübergehenden an sich reißen würde? Für die Erwachsenen und alten Leute war es wohl nicht so gefährlich, aber eines hatte Jan doch immer gehört: die Trolle hatten eine besondere Liebe für winzig kleine Menschenkinder, je kleiner, desto besser!
Es kam ihm vor, als halte Katrine die kleine Klara gar zu sorglos. Ach, für die großen krallenbewaffneten Trollhände war es keine Kunst, ihr das Kind zu entreißen! Hier mitten auf dem gefährlichen Platz wagte es Jan indes nicht, Katrine das Kind aus den Armen zu nehmen. Gerade dadurch hätte sich das Trollpack am Ende zu rühren angefangen.
Schon fing es von dem einen Trollbaum zum andern an zu raunen und zu rauschen. Es knarrte droben in den Zweigen, wie wenn sie versuchen wollten, sich in Bewegung zu setzen.
Jan wagte die andern nicht zu fragen, ob sie das auch sähen und hörten, was er sah und hörte. Denn das hätte ja gerade die Frage sein können, die das Trollpack zum Leben erweckte.
In dieser Erwartung wußte er nur eins, was er tun könnte: er stimmte mitten im Walde ein Lied an.
Jan hatte eine schlechte Singstimme und er hatte auch im Beisein anderer noch nie gesungen. Es fiel ihm sehr schwer, den Ton richtig zu treffen, und er wagte deshalb nicht einmal in der Kirche mitzusingen; aber jetzt mußte er singen, mochte es gehen, wie es wollte. Er sah, daß die Nachbarn sich über ihn wunderten. Die vor ihm gingen, stießen einander an und schauten sich nach ihm um; doch das durfte ihn nicht hindern; er mußte weitersingen.
Gleich darauf flüsterte ihm indes eine der Frauen zu: »Wartet ein wenig, Jan, ich werd’ Euch helfen!«
Und dann stimmte sie mit der richtigen Melodie und dem richtigen Ton in das Weihnachtslied ein.
Es klang schön durch die Nacht zwischen den Bäumen. Die andern konnten nun auch nicht zurückbleiben, sondern stimmten ebenfalls mit ein.
»Gruß dir, du schöne Morgenstund’, durch der Propheten heil’gen Mund ist sie verkündet worden!«
Da ging es wie ein ängstliches Sausen durch die Trollbäume. Sie zogen die Schneemützen so tief herein, daß man nichts mehr von ihren bösen Trollaugen sah, und auch die ausgestreckten Krallen zogen sie unter Tannennadeln und Schnee zurück. Als der erste Liedervers verklungen war, konnte niemand mehr sehen, daß da oben auf der Waldhöhe etwas anderes zu sehen war, als gewöhnliche, ungefährliche alte Tannenbäume.
Die Fackeln, die den Leuten aus Askedalarna durch den Wald geleuchtet hatten, waren abgebrannt, als die Schar die Landstraße erreichte. Aber von da an ging es dank der erleuchteten Bauernhäuser weiter. Wenn ein Haus aus dem Gesichtskreis entschwand, gleich schimmerte ein anderes in geringer Entfernung auf. Die Leute hatten in alle Fenster Lichter gestellt, um den armen Wanderern den rechten Weg nach der Kirche zu zeigen.
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