Dicht vor dem Kaffeetisch stand die Hebamme mit einem Bündel auf dem Arm.
Jan Andersson drängte sich unwillkürlich der Gedanke auf, daß es aussehe, als sei er hier bei dieser Sache einmal die Hauptperson. Katrine sah ihn mit einem freundlichen Blick an, wie wenn sie fragen wollte, ob er zufrieden mit ihr sei. Und alle die andern hielten auch ihre Augen auf ihn gerichtet, gleichsam Lob erheischend für alle die Mühe, die sie sich seinetwegen gemacht hatten.
Aber es ist nicht so leicht, frohen Herzens zu werden, wenn man einen ganzen Tag draußen gesessen und gefroren hat und schlechter Laune geworden ist. Jan konnte Erik in Fallas Miene nicht aus seinem Gesicht verbannen und blieb, ohne ein Wort zu sagen, mitten im Zimmer stehen.
Da machte die Hebamme einen Schritt auf ihn zu. Und die Stube war nur so groß, daß sie mit diesem einzigen Schritt ganz dicht zu ihm hinkam und ihm das Kind in die Arme legen konnte.
»Da kann Er ein kleines Mädchen sehen das überdies ein Prachtkind ist«, sagte sie.
Da stand nun der arme Jan und hielt zwischen seinen Händen etwas, das sich warm und weich anfühlte und in ein großes Tuch eingewickelt war. Das Tuch war so weit zurückgeschlagen, daß Jan das winzige, runzlige Gesichtchen und die verschrumpelten Händchen sehen konnte.
Er stand unsicher da und fragte sich, was denn die Frauenzimmer erwarteten, daß er mit diesem Ding, das ihm die Hebamme in die Arme gelegt hatte, anfangen werde, als er plötzlich einen Stoß erhielt, bei dem er und das Kind zusammenzuckten. Keines von den Anwesenden hatte ihm diesen Stoß versetzt, aber ob er von dem kleinen Mädchen zu ihm kam oder von ihm zu dem kleinen Mädchen, das konnte Jan nicht herausbringen.
Unmittelbar darauf fing das Herz in seiner Brust so heftig an zu klopfen, wie es noch nie geklopft hatte, und im selben Augenblick fror Jan nicht mehr und er fühlte sich nicht mehr verdrießlich noch bekümmert noch ärgerlich, sondern alles war wieder gut. Nur eines beunruhigte ihn noch: er konnte nicht begreifen, warum es dermaßen in seiner Brust hämmerte und klopfte, da er doch den ganzen Tag nicht getanzt hatte und auch nicht schnell gelaufen oder einen steilen Berg hinaufgeklettert war.
»Legt einmal Eure Hand hierher und fühlt!« sagte er zu der Hebamme. »Mir ist, als schlüge mein Herz so sonderbar.«
»Ja, Ihr habt tüchtig Herzklopfen«, sagte die Hebamme. »Habt Ihr das öfters?«
»Nein, ich hab’s noch nie gehabt«, versicherte Jan. »Noch niemals auf diese Weise.«
»Ist es Euch schlecht? Habt Ihr irgendwo Schmerzen?« fragte die Hebamme besorgt.
Nein, nein, es sei sonst alles in Ordnung.
Da konnte die Hebamme nicht verstehen, was ihm fehlen könnte, und sie sagte:
»Ich will Euch jedenfalls das Kind abnehmen.«
Aber da überkam Jan ein neues Gefühl. Das Kind, nein, das wollte er nicht hergeben.
»Nein, laßt mir das Kind!« sagte er.
Und in diesem Augenblick mußten die Frauen in seinen Augen etwas gelesen und aus seiner Stimme etwas herausgehört haben, das sie froh machte, denn die Hebamme verzog den Mund, und die andern brachen in lautes Lachen aus.
»Ei Jan, habt Ihr noch nie jemand so liebgehabt, daß Ihr seinetwegen Herzklopfen bekommen habt?« sagte die Hebamme.
»Nei—n«, antwortete Jan.
Und nun begriff er plötzlich, was ihm das Herz jetzt eben in Gang gesetzt hatte und warum es so stark klopfte. Und damit nicht genug, begann er auch zu ahnen, wo es bei ihm zeit seines Lebens gehapert hatte: denn einen Menschen, der sein Herz weder in Leid noch in Freude schlagen fühlt, kann man gewiß nicht für einen richtigen Menschen halten.
Am nächsten Tag stand Jan in Skrolycka mehrere Stunden lang unter seiner Haustür mit dem kleinen Mädchen auf dem Arm.
Auch das war eine lange Wartezeit; aber jetzt war alles ganz anders als gestern. Jetzt stand er hier in guter Gesellschaft und so wurde er weder müde noch verdrießlich.
Er konnte gar nicht beschreiben, welch ein wohliges Gefühl ihn überkam, während er unter der Tür stand und den warmen kleinen Körper an sich gedrückt hielt. Es kam ihm vor, als sei er bisher auch gegen sich selbst immer recht widerwärtig und bitter gewesen, denn jetzt auf einmal empfand er nur Glück und Wonne in seinem Herzen. Noch nie hatte er gefühlt, wie geradezu beseligt man sein kann, einzig und allein dadurch, daß man jemand so recht herzlich liebhat.
Jan hatte sich natürlich nicht ohne Absicht unter die Tür gestellt. Während er dastand, mußte eine gar wichtige Sache entschieden werden.
Schon seit dem frühen Morgen hatten die Eheleute versucht, für das Kind einen Namen zu finden. Sie hatten es aufs reiflichste hin und her überlegt, sich aber noch immer nicht für einen von all den vielen Namen entscheiden können.
Schließlich hatte Katrine gesagt:
»Jetzt weiß ich mir keinen andern Rat, als daß du dich mit dem Kinde auf die Türschwelle stellst und dann das erste Frauenzimmer, das vorüberkommt, nach ihrem Namen fragst. Den Namen, den sie dir angibt, müssen wir dann dem Mädchen geben, einerlei, ob er grob oder fein ist.«
Aber das Häuschen lag etwas abseits vom Wege, und es pflegte nicht oft jemand vorbeizukommen. Jan stand schon sehr lange unter der Tür, und noch immer war niemand vorübergegangen.
Auch an diesem Tag herrschte trübes Wetter; aber es regnete nicht, auch war es weder windig noch kalt, eher etwas schwül.
Wäre Jan nicht mit der Kleinen im Arm dagestanden, so hätte er sicherlich die Hoffnung auf einen Vorübergehenden schon längst aufgegeben und er hätte zu sich selbst gesagt:
»Mein guter Jan Andersson, vergißt du denn, daß du ganz entlegen am Duvsee in Askedalarna wohnst, wo es nur einen einzigen richtigen Bauernhof gibt und sonst nur noch einige kleine Kätnerhäuschen und Fischerhütten liegen? Wen gäbe es da wohl mit einem so vornehmen Namen, der dir für dein kleines Mädchen recht wäre?«
Da es sich aber jetzt um sein Töchterchen handelte, zweifelte Jan gar nicht an einem endlichen günstigen Ausgang. Er schaute nach dem Duvsee hinüber und wollte gar nicht sehen, wie verlassen und einsam dieser in seinem Bergkessel dalag. Es könnte doch sein, daß eine vornehme Dame mit einem schönen Namen von dem Duvnäser Hüttenwerk auf diese Seite des Sees herüberruderte. Jan war beinahe sicher, daß es nur um des kleinen Mädchens willen so gehen werde.
Das Kind schlief die ganze Zeit, er konnte also ganz ruhig unter der Tür stehenbleiben und warten, solange er Lust hatte. Schlimmer war es bei Katrine. Sie fragte ein ums andere Mal, ob denn niemand komme. Denn jetzt könne er wohl nicht länger mit der Kleinen draußen stehen.
Jan richtete seinen Blick auf den Storsnipa, der aus den Birkenwäldchen und Äckerchen in Askedalarna steil aufragte und wie ein Festungsturm Wache hielt, um alle Fremden fernzuhalten. Es hätte doch sein können, daß irgendeine vornehme Dame, die auf dem Berge gewesen war, um die schöne Aussicht zu betrachten, auf dem Rückwege die Richtung verfehlen und sich bis nach Skrolycka verirren würde.
Er beruhigte Katrine, so gut er konnte. Es fehle ihnen nichts, weder ihm noch dem Kinde. Da er nun so lange dagestanden habe, wolle er auch noch ein wenig länger warten.
Nirgends war ein Mensch zu sehen; aber Jan war fest überzeugt, daß ihm Hilfe zuteil werde, wenn er nur noch ein wenig wartete. Es konnte ja nicht anders sein. Er hätte sich auch gar nicht verwundert, wenn eine Königin in einer goldenen Kutsche durch Gebirge und Waldesdickicht dahergefahren gekommen wäre, um dem kleinen Mädchen in seinen Armen ihren Namen zu geben.
Wieder verging eine Weile; aber nun fühlte Jan den Abend herannahen, und da konnte er nicht länger draußen stehenbleiben.
Katrine konnte auf der Uhr im Zimmer sehen, wie spät es war, und sagte wieder, er solle jetzt hereinkommen.
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