Während Gerald redete, dachte Paul über Pias Schwangerschaft nach, sah sie nicht nur als ein Problem und ein Desaster. Er fand es verblüffend, dass Pia, die einst aus einem winzigen gefalteten Gebilde unsichtbar im Bauch ihrer Mutter entstanden war, nun in ihrem entfalteten, entwickelten Ich denselben Prozess vollzog; gefaltete Gebilde innerhalb von Gebilden. Wie anders war es doch beim Mann, dessen Entfaltung in seinem biologischen Ich endete, das sich nicht teilen ließ. Die Rolle des Mannes in dieser endlosen Abfolge war ein Akt des Glaubens, ganz gleich, wie festgelegt die Wissenschaft war. Ein Franzose hatte mal zu ihm gesagt, die Rolle des Mannes bei der Zeugung eines Kindes sei in etwa »diese« – und hatte auf den Gehsteig gespuckt.
Vielleicht war dieser Gedankengang nur eine Folge des Joints gewesen.
»Deine Augen sehen komisch aus«, sagte Elise zu ihm, als er nach Hause kam. »Das Zeug, das Gerald jetzt raucht, ist zu stark für dich, du bist das nicht gewöhnt.«
Eines Nachmittags kam James Willis bei Paul vorbei, als Elise mit Ruth bei einem Ausverkauf war und die Mädchen in der Schule waren. Paul hatte sich in der Küche etwas zu essen gemacht – nachdem er im Kühlschrank einen Rest Pastete gefunden und beiläufig den Guardian gelesen hatte, alles, nur um nicht vor dem Computer zu sitzen –, als der Junge plötzlich gebückt in der Tür stand, leicht verunsichert wegen seiner schmutzigen Stiefel auf der Fußmatte. Neulich in der Scheune war es zu dunkel gewesen, Paul hatte ihn nicht richtig sehen können: die gebeugte linkische Größe, den hormonellen Schock des Heranwachsenden, der ihm noch immer im Gesicht stand, die davon geschwollenen Lippen, verschlafenen Augen, schwer herabhängenden Hände. Er war lang und blass; beim Sprechen senkte er den Blick. In seiner Lippe war ein Stecker wie der, den Pia herausgenommen hatte.
James kam mit einer Nachricht von seinem Vater, der wollte, dass Paul die Zitterpappeln an der Grenze zwischen den beiden Grundstücken stutzte. Willis hatte in diesem Jahr auf dem benachbarten Feld Elefantengras für Biokraftstoff gepflanzt. Offenbar dachte Willis, der Mähdrescher könne wegen der Bäume am Ende des Feldes nicht richtig wenden.
»Wenn ihr keine Kettensäge habt, leiht Dad euch seine.«
»Du machst Witze«, sagte Paul. »Dein Vater ist verrückt, total verrückt. Die Bäume stehen niemandem im Weg. Hast du sie dir mal angesehen?«
James zuckte die Schultern. »Ich richte bloß aus, was er sagt.«
»Sag ihm, er ist verrückt. Und sag ihm auch, er soll sich nicht unterstehen, diese Scheißbäume anzurühren. Sie stehen auf meinem Grundstück.«
»Er streitet das ab.«
Dass Willis den Jungen mit dieser Nachricht vorbeischickte, war an sich schon grausam; wahrscheinlich ärgerte es ihn, dass sich sein Sohn, wie locker auch immer, einer verhassten Familie verbunden fühlte. Paul bat ihn herein, holte Bier aus dem Kühlschrank. James stand misstrauisch am Tisch und trank.
»Dein Vater liegt wirklich falsch, was diese Bäume angeht. Du weißt schon, ob sie auf seinem oder meinem Land stehen. Für den Mähdrescher ist jede Menge Platz zum Wenden.«
»Das Ding ist riesig.«
Paul erklärte weiter, warum Biokraftstoff sowieso eine schlechte Idee war. Er bemerkte ein Flackern in den Augen des Jungen, ein zweifellos spöttisches über Pauls verstädterte Ansicht, über die Vorstellung, dass sein Vater sich auf die eine oder andere Weise um die Ethik einer Nutzpflanze scheren würde. Paul erzählte ihm, dass er Pia gesehen hatte. James wusste es schon, offenbar hatten er und Pia miteinander telefoniert.
»Weißt du etwas über diesen Mann: Marek?«, fragte Paul, um die Chance zu nutzen. »Was hältst du von ihm? Wer ist er?«
James trank einen Schluck, wischte sich mit dem Ärmel über den Mund. »Sie hat mir von ihm erzählt, mehr nicht.«
»Glaubst du, sie ist sicher bei ihm? Können wir ihm trauen?«
»Das geht mich nichts an.«
»Nein? Seid ihr zwei nicht befreundet?«
»Das ist ihre Sache.«
»Und die andere Geschichte? Weißt du darüber auch Bescheid?«
James war sichtlich erschrocken. »Ich dachte, sie wollte es dir noch nicht sagen.«
»Das musste man gar nicht. War ja nicht zu übersehen.«
»Oh. Daran hatte ich nicht gedacht.«
Kein Wunder, dass Pia einen Mann diesem Jungen vorgezogen hatte, dem die Bürde des leidenden Jugendlichen anzusehen war, der rot wurde, der auf dem Weg nach draußen über die eigenen Füße stolperte, die Fäuste tief in den Taschen, und sogar vergaß, Paul für das Bier zu danken. Wahrscheinlich dachte Pia, dass man ihr die eigene Jugend abgenommen und sie sich in die Hände eines Mannes begeben hatte, der es verstand, alles zu regeln. Die Willis-Söhne waren immer linkisch gewesen, hatten nicht zu den anderen Kindern im Dorf gepasst. Beim Sprechen ahmten sie einen näselnden amerikanischen Tonfall nach, sie hingen immer zusammen und alberten auf ihren teuren Quads herum, die ihr Vater ihnen gekauft hatte. Der Älteste hatte sein erstes Auto zu Schrott gefahren, bevor er wegging, war betrunken damit gegen einen Baum gefahren. Aber im Gegensatz zu seinen Brüdern war James wenigstens kein Angeber, der sich nach außen hin kultiviert gab.
Paul erzählte Ruths Bruder von den Willis’ und der Kettensäge; als er und Gerald eines Abends auf ein Bier in den Dorfpub gingen, stand Alun an der Bar. Er lachte und sagte, Willis sei ein Spinner, aber wenn die Bäume auf seinem Land stünden, könne Paul nicht viel machen, und ein bisschen Stutzen würde ihnen nicht schaden. Er war freundlich, aber Paul merkte, dass Alun ihn stets bewusst auf Abstand hielt, vielleicht wegen der Dinge, die Ruth ihm erzählte, vielleicht aber auch nur aufgrund seiner Einschätzung von Paul: englisch, eigensinnig, arrogant. Er wollte nicht mit Paul gegen Willis Partei ergreifen.
Alun war klein und breitbrüstig, sah gut aus. Er hielt lakritzschwarze Schafe auf den Hügeln und eine kleine Rinderherde auf dem roten Boden der besseren Felder; sie betrieben einen Hofladen, in dem seine Frau Obst aus eigenem Anbau verkaufte. Obwohl Paul und Ruth sich nicht verstanden, mochte Paul die Anständigkeit und Schüchternheit ihres Bruders; er hatte Alun von dem Moment an, seit sie hierhergezogen waren, mit der Landschaft und der Umgebung identifiziert, was vermutlich romantisch war. Gerald fand, er verkläre das Ganze. Auch Gerald war auf einem Bauernhof groß geworden, inmitten der Moorlandschaft von North Yorkshire. Er war dankbar gewesen, als er das Landleben hinter sich lassen konnte, und hatte nicht viel übrig für Bauern, auch wenn sich – zu Pauls Überraschung – zeigte, dass er, im Gegensatz zu ihm, auf eine unbeschwerte Art mit Alun plaudern konnte, meistens über Geld, Geld und Maschinen, über die endlosen Rückschläge, die den Lebensrhythmus der Bergbauern zu bestimmen schienen und ihnen die Existenz erschwerten. Im Augenblick machte ihnen die Dürre zu schaffen.
In der folgenden Woche musste Paul tatsächlich nach London, um ein Pausengespräch aufzunehmen, das er für Radio 3 geschrieben hatte. Am späten Nachmittag, als er fertig war, machte er sich auf den Weg zu Pia; er hatte angerufen, um sie an seinen Besuch zu erinnern, aber sie war nicht rangegangen. Er drückte den Knopf an der Sprechanlage auf dem furchteinflößenden Außentor und war erleichtert, als ihre knisternde Stimme misstrauisch und unsicher antwortete.
»Pia, ich bin’s, Dad.«
»Mist, Dad. Ich bin nicht fertig. Jetzt ist kein guter Zeitpunkt.«
Hinter seinem ungeschützten Rücken toste der Verkehr um den Inselblock. Genauso stellte er sich die Hölle vor: Der unerbittliche, pausenlose Druck von Fahrzeugen, unterwegs zu Zielen, die insgesamt absurd waren, jedes unter seinem atomisierten eigenen Zwang, zusammengeführt in diesem schmutzigen Strom, der die Luft mit Abgasen und Lärm verpestete.
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