Sharon Garlough Brown - Dein Licht durchbricht die Dunkelheit

Aber an diesem letzten Thanksgiving hatten Dylan und Patrick Micha von sich aus gebeten mitzuspielen. Er hatte nicht gewollt, das hatte Kit gesehen. Er hätte viel lieber mit einem Buch in irgendeiner Ecke gehockt, wo ihn niemand störte. Aber Robert und seine Neffen hatten ihn bedrängt – sie brauchten noch einen Mitspieler, damit die Teams gleich stark waren –, und Kit hatte ihn überredet, sein Buch für ein Weilchen wegzulegen und mitzuspielen. Ein bisschen Spaß zu haben.

Aber es war kein Spaß gewesen. Ein harter Angriff von einem der Nachbarsjungen, ein schreckliches Splittergeräusch, ein schriller Aufschrei, dann eine Fahrt ins Krankenhaus, um einen offenen Bruch zu behandeln, ein Bein in Gips, eine Dosis Schmerzmittel. Eins hatte zum anderen, das wieder zum nächsten geführt. Und als das leichtere Schmerzmittel nicht mehr wirkte, tat es das Morphium. Es war am Ende nicht Michas Experimentieren mit illegalen Drogen gewesen, das ihn umgebracht hatte. Es waren die legalen Drogen.

Und sie war es gewesen, die ihm den Kelch gereicht hatte.

14. Januar

Meine liebe Wren,

heute Abend denke ich über Kelche nach – über Kelche, die ich von mir gewiesen habe, und solche, aus denen ich getrunken habe. Als ich sah, wie Du vorhin aus dem Abendmahlskelch getrunken hast, hat das viele Gedanken und Gefühle in mir aufgewühlt. Ich glaube, es war dieser Ausdruck von Vertrauen und Sehnsucht in Deinem Blick, als Du den Schluck nahmst, so als wolltest Du wirklich glauben, dass die Worte, die Hannah sprach, wahr sind und dass Christus wirklich gegenwärtig ist. Ich sah Trauer. Ich sah Müdigkeit. Aber ich sah auch Hoffnung. Ich war so dankbar, dass ich auch diesen Schimmer in Deinen Augen sah.

Als Du wieder zu Bett gegangen warst, habe ich alte Fotos durchgesehen. Ich habe nach einem Bild von Micha gesucht, das ein paar Monate vor seinem Tod gemacht wurde. Ich weiß nicht, wie viel Deine Eltern Dir über seinen Tod erzählt haben. Dass er an einer Überdosis Drogen starb, die er versehentlich genommen hatte, scheint ja allgemein bekannt gewesen zu sein. Die Einzelheiten hebe ich mir für ein andermal auf. Jetzt möchte ich Dir nur erzählen, dass mein Sohn traurig war. Und einsam. Sein Therapeut hat getan, was er konnte, um ihm in seiner Depression zu helfen. Aber Micha hatte angefangen, sich in Alkohol und Marihuana zu flüchten. Ich war so besorgt, dass ich versucht habe, ihn in einen stationären Entzug zu bekommen. Aber sein Vater war anderer Meinung und ich habe mich nicht durchsetzen können.

Ein paar Monate später wurde Micha bei einem Footballspiel mit Robert, Deinem Vater und ein paar Cousins und Nachbarsjungen verletzt. In der Klinik gaben sie ihm Schmerzmittel und verschrieben die auch für zu Hause. Ich habe dafür gesorgt, dass er sie regelmäßig nahm. Was ich nicht merkte, war, dass er davon abhängig wurde und irgendwann anfing, sie nicht nur gegen körperliche Schmerzen zu nehmen, sondern auch, um seine seelischen und emotionalen Schmerzen zu lindern.

Wenn die Leute etwas von „Überdosis“ und „Drogenmissbrauch“ hören, vor allem im Blick auf Teenager, sind sie schnell bei der Hand mit Schuldzuweisungen, wie Eltern so etwas nur „geschehen lassen“ können. Glaub mir, ich habe mir sehr heftige Vorwürfe gemacht wegen Michas Zustand. Und auch Gott habe ich angeklagt, weil er ihn nicht davon geheilt hat.

Heute Abend hatte ich den Eindruck, dass Gott mich dazu einlädt, auf eine Weise an Micha zu denken, wie ich es sehr lange nicht mehr getan habe. Den Kelch der Erinnerung zu trinken, kann sehr schmerzhaft sein, aber wenn der Heilige Geist uns dazu drängt, müssen wir ihm folgen und hören, was er uns damit sagen möchte. Ich trank also diesen Kelch, und dabei tauchte noch ein weiterer Kelch auf: der Kelch der Schuldgefühle und des Bedauerns. Auch das ist ein bitterer Kelch, Wren, er ist bis oben hin voll Gift. Nichts Gutes erwächst daraus, wenn wir ihn trinken. Darum ist es Gottes sehnlichster Wunsch, diesen Kelch von uns zu nehmen.

Während eines unserer Gespräche hast Du einmal gesagt, es sei Deine Schuld, dass Casey gestorben ist, dass Du nicht genug getan oder ihn nicht genug geliebt hättest. Ich habe das auch so empfunden, als ich Micha verloren habe. Vielleicht sind wir in unserem Schmerz so benommen und so verzweifelt darauf aus, wieder etwas zu fühlen, dass wir uns eher mit Selbstvorwürfen quälen, als uns von Gott trösten zu lassen. Oder die Freiheit seiner Gnade anzunehmen.

Heute Abend habe ich diesen bitteren Kelch nicht leer getrunken. Ich habe mir stattdessen vor Augen gehalten, dass Jesus ihn für mich getrunken hat. Meine Scham, meine Schuld, mein ganzes Versagen – es war alles in dem Kelch des Leidens, den er bereitwillig trank. Er hat ihn getrunken, damit ich es nicht tun muss. Und damit Du es nicht tun musst.

Ich glaube, mir war gar nicht klar gewesen, dass ich diesen Kelch noch hatte. Und ich bin sehr dankbar, dass Gott ihn in sein Licht gestellt hat. Ich bitte ihn, dass er diesen Kelch auch von Dir nimmt, so wie er es für mich getan hat. Wieder einmal.

Herzlich

Kit

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