Als ich aber in Hamburg in der Redaktion saß und meine Geschichte schrieb, flossen mir diese Anekdoten automatisch in den Text. Und ich fand sie gut, als ich am Ende alles las. Mir war klar, dass das mein Chefredakteur toll finden würde. So war es auch. Kurz vor dem Druck klingelte plötzlich mein Telefon. Peter Koch vom „Spiegel“ war dran – es musste also Verräter bei uns gegeben haben – und beschimpfte mich heftig: „Du Sau, du hast die Sachen doch geschrieben. Jetzt bleibt mir gar nichts anderes übrig, als auch alles auszupacken.“ Er bezeichnete mich noch als einen außerordentlich unmoralischen Menschen. Mit Koch sollte sich auch nie wieder ein kollegiales Verhältnis einstellen, was später für mich tragische Folgen hatte. Denn Peter Koch war ausgerechnet zu einem Zeitpunkt Chefredakteur des „stern“ geworden, als ich einen Job suchte. Koch ist dann selbst ein Opfer der gefälschten Hitlertagebücher geworden. Von ihm stammt das berühmte Zitat, dass die Geschichte des Dritten Reiches in großen Teilen neu geschrieben werden müsse. Er starb schon 1989, gerade mal 50 Jahre alt.
Der Tunesienbesuch war die letzte Auslandsreise Lübkes. Im Oktober 1968 kündigte er aus Krankheitsgründen seinen Amtsverzicht zum 30. Juni 1969 an. Das war ein paar Monate vor dem offiziellen Ende der Amtszeit. Uns Journalisten blieb nicht einmal dieses Triumphgefühl, wie es die Kollegen der „BILD“ genießen konnten, als sie Bundespräsident Christian Wulff zur Strecke gebracht hatten. Lübke tauchte einfach unter. Die erste Nachricht, die man wieder von ihm hörte, war die seines Todes. Er wurde auf dem Dorffriedhof von Enkhausen im Sauerland begraben. Heute ist die Erinnerung an ihn vergangen, aber er hat zehn Jahre die Bundesrepublik erheitert.
Randy fehlt auf der Liste –
Wie der BND und der MI6 um
Teilzeitspione werben
Der Job von Journalisten ist es, neugierig zu sein, zu recherchieren, Fragen zu stellen. Schon deswegen sind Menschen, die Derartiges tun, für jegliche Geheimdienste der Welt interessant. Potenziert wird das, wenn sie als Reporter durch die Welt jetten und sich gar mit fremden Präsidenten und Diktatoren treffen. So wurde auch ich eines Tages von einem Kollegen angesprochen. Es war zu Zeiten meiner Tätigkeit beim „Rheinischen Merkur“ in Köln, wo man sehr förmlich miteinander umging: „Herr Braumann, Sie sind doch häufiger in Afrika. Ich habe da gewisse Kontakte zum Bundesnachrichtendienst, die würden gern mit Ihnen zusammenarbeiten. Hätten Sie etwas dagegen, wenn einer der Herren mit Ihnen demnächst Kontakt aufnimmt?“
„Ja, darf er“, meinte ich großzügig. Einen richtigen deutschen Schlapphut wollte ich schon immer einmal kennenlernen.
Es meldete sich tatsächlich ein BND-Mitarbeiter und wir trafen uns in der Redaktion. Das Erste, was mir auffiel, war dessen seltsame Kleidung. Die war überhaupt nicht elegant, sondern eher schäbig. „Die müssen eine Kleiderordnung haben, nach der man besonders durchschnittlich aussehen sollte, um als Agent dieses Dienstes in der Öffentlichkeit zu erscheinen“, dachte ich mir. Überdies schien dieser Agent ein durch und durch spießiger Mensch zu sein. Noch dazu stellte er sich auf eine amateurhafte Weise vor: „Schmidt.“ Einige Minuten später erzählte er, er heiße eigentlich Lehmann. Aber beim Geheimdienst sei es so, dass man bei Kontakten außerhalb unter einem Tarnnamen auftrete.
Irgendwie kam ich mir veralbert vor. Dieser Schmidt-Lehmann entsprach so gar nicht meinen Vorstellungen von einem Geheimdienst. Das waren offenbar Amateure. „Nein, mit denen möchte ich nichts zu tun haben“, beschloss ich innerlich. Trotzdem ließ ich mich auf ein weiteres Treffen eine Woche später ein. Mein Agent wurde diesmal von einem Kollegen begleitet, der zog die gleiche Nummer ab: Er heiße eigentlich Meier, trete aber heute unter dem Namen Fleischer auf. Das reichte mir. Ich sagte den beiden Herren ab.
Ein paar Jahre später, ich war inzwischen Redakteur beim „stern“ in Hamburg, wurde der BND erneut vorstellig. Diesmal in Form eines Mannes, den ich vom „Rheinischen Merkur“ her kannte und von dem ich wusste, dass er ein Resident war, also ein festangesiedelter Agent des Bundesnachrichtendienstes. In Hamburg trat er als freier Journalist auf. „Herr Braumann, vielleicht wird es ja diesmal etwas mit uns. Sie sind jetzt für den „stern“ tätig und kommen viel mehr in der Welt herum und können uns viel mehr liefern, wie sieht es mit einer Zusammenarbeit aus?“, fragte er mich. Ich willigte erneut in ein Gespräch ein. Wir trafen uns in der Wohnung des Residenten.
„Wie sieht das eigentlich finanziell aus, wenn ich Ihnen Informationen verschaffe?“, fragte ich gleich. Schließlich war das eine Sache, die nichts mit Moral zu tun hatte, sondern allein mit Geld. Der Agent eierte rum. Gewiss, sie würden mich natürlich bezahlen, aber eine konkrete Summe könne er nicht nennen. Und wieder war das Auftreten eines BND-Mitarbeiters ausgesprochen amateurhaft. Dazu kam, dass ich inzwischen wusste, dass der westdeutsche Geheimdienst von alten Nazis und SS-Leuten aufgebaut worden war und Hunderte hier noch ihre Arbeit versahen. Der Verein sagte mir überhaupt nicht zu und ich verneinte endgültig.
Wie richtig ich gehandelt hatte, zeigte sich ein paar Jahre später. In der Bundesrepublik hatten sich die politischen Vorzeichen geändert. Willy Brandt und Walter Scheel hatten zum großen Entsetzen von Bundeskanzler Kiesinger eine rot-gelbe Koalition gebildet. 1969 wurde Horst Ehmke Kanzleramtsminister und versprach in der Öffentlichkeit, mit eisernem Besen in den Ministerien und speziell in dem ihm unterstehenden Bundesnachrichtendienst zu kehren. Und das tat er. Der Dienst wurde neu organisiert und zahlreiche Leute wurden entlassen. Es geschah aber auch etwas, was Geheimdienste eigentlich nie machen: Es wurden Geheimnisse preisgegeben. So bekam Ehmke beispielsweise die Liste mit den Namen aller westdeutschen Journalisten, die für den BND arbeiteten. Der SPD-Mann war eng mit Manfred Bissinger befreundet, dem damaligen stellvertretenden Chefredakteur des „stern“. Dem sagte er eines Abends in gemütlicher Runde: „Da sind ja etliche aus deiner Redaktion für den BND tätig.“ Bissinger, der Revolutionär und führende Linke in der Redaktion, wurde sofort hellhörig. Das würde ihn schon sehr interessieren, wer da auf der Liste stünde. Und Minister Ehmke hat den Geheimnisverrat fortgesetzt und erzählt, wer von den „Gruner + Jahr“-Journalisten beim BND unter Vertrag stand. Darunter befand sich unter anderem ein Mann namens Steinmeier, der als Korrespondent für „stern“ und „Die Zeit“ in Moskau saß. Der bekam sage und schreibe 10.000 DM monatlich vom Bundesnachrichtendienst. Steinmeier kannte ich. Das war ein älterer Herr, kriegsversehrt, mit einem Holzbein. Wenn der dem BND so viel wert war, dachte ich mir, musste er ja heftig Informationen geliefert haben. Aber dies aus einem Land, dessen Geheimdienst in einer ganz anderen Liga spielte als der deutsche? Irgendwie bot sich die Vorstellung an, dass da jemand auf zwei Schultern getragen wurde.
Es gab eine herrliche Szene, als Manfred Bissinger zu mir ins Redaktionszimmer kam. Er legte mir die Hand auf die Schulter und sagte: „Gratuliere, das hätte ich nicht gedacht, dass du nicht dabei bist. Du stehst nicht auf der Liste.“ – „Welche Liste?“, fragte ich erstaunt. „Auf der BND-Liste.“ Weil ich diesen Hype um Willy Brandt nicht mitmachte, galt ich als Faschist und ein solcher musste in den Augen Bissingers natürlich auch für den BND arbeiten. Nun räumte er ein, sich getäuscht zu haben.
Ich verzieh Bissinger und arbeitete weiter an meinem Bericht für den MI6, den britischen Auslandsgeheimdienst. Denn natürlich hatte ich den Verlockungen nicht widerstehen können. Das hing mit dem charmanten Geschäftsmann Anthony Divall zusammen. Kennengelernt hatte ich ihn während des Biafra-Kriegs. Als dieser begann, war Biafra noch von keinem unabhängigen afrikanischen Land anerkannt worden. Deswegen war es kompliziert, hinzukommen. Die Hilfsflugzeuge, die von Lissabon aus flogen, mussten entweder auf damals portugiesischem oder spanischem Gebiet zwischenlanden, also entweder auf Sao Tomé oder Fernando Po vor der afrikanischen Westküste. Erst im Laufe des Jahres 1967 verbesserte sich die Situation, weil die Elfenbeinküste diplomatische Beziehungen mit Biafra aufnahm und nun dort Station gemacht werden konnte.
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