Unser Bewusstsein ist normalerweise schwerfällig. Es ist auf uns selbst zentriert, auf unsere körperlichen und vitalen Bedürfnisse und Gelüste, darüber hinaus aber nur an Wenigem interessiert. Sich mit etwas Neuem auseinanderzusetzen, das sich außerhalb der ureigenen Sphäre befindet, bedeutet, unsere innere Ruhemasse in Bewegung zu setzen. Das ist ein Vorgang, der dem Start eines Zuges ähnelt. In die Bemühung anzufahren, wird eine Unmenge Energie gesteckt, und es dauert vergleichsweise lange, bis sich der Zug auch nur ein paar Zentimeter bewegt. Aber hat er sich erst einmal in Bewegung gesetzt, benötigt er für die nächsten Zentimeter bereits weniger Energie und Zeit bis man dann schließlich Reisegeschwindigkeit erreicht hat. Diese Beschleunigung geschieht also nicht von selbst, sondern ist mit dem Einsatz von harter Arbeit und Energie verbunden.
Aber was bedeutet Beschleunigung eigentlich? Ein ganz gewöhnliches, durchschnittliches Bewusstsein hat kaum Geschwindigkeit, man könnte fast sagen, dass es ruht; es bewegt sich kaum. Aber Bewegung bedeutet Geschwindigkeit, und eine Beschleunigung bedeutet eine Erhöhung der Geschwindigkeit, eine Erhöhung der Bewegung und Aktivität. Bei einem Kind, das heranwächst, ist das Bewusstsein idealerweise immer in Bewegung. Es nimmt die Umgebung wahr, die Geschehnisse, die Interaktionen – es lernt und passt sich an und wandelt sich und wächst. Bei den meisten Menschen hört dieser Prozess sehr bald auf, meist wenn man die Vorgänge des Daseins durchschaut und sich angepasst und eingerichtet hat. Dann fängt das Bewusstsein an zu stagnieren, was mit einem inneren Tod gleichzusetzen ist. Die rein mentalen Tätigkeiten und mechanischen Lernvorgänge und Denkprozesse bleiben erhalten, aber die Fähigkeit, das Erlebte immer wieder neu zu betrachten und zu verarbeiten und daran zu wachsen und die Welt immer wieder neu zu betrachten und zu erleben, verringert sich zunehmend. Man wird unbeweglich, zuerst im Bewusstsein, und dann im geistigen Wesen, das ja Ausdruck des Bewusstseins ist. Der Vorgang wird Altern genannt, aber das stimmt nicht wirklich. Vielmehr läuft dieser Vorgang meist parallel zum Altern ab, ist aber keine zwangsläufige Alterserscheinung. Oft fängt er schon in sehr jungen Jahren an, aber manchmal setzt er auch bei sehr alten Menschen noch nicht ein, obwohl die kognitiven Fähigkeiten vielleicht durch physische Alterungsprozesse beeinträchtigt werden.
Eine Beschleunigung des Bewusstseins bedeutet also, die allgemeine Paralyse hinter uns zu lassen und schließlich einen Zustand zu erreichen, in dem wir der Entwicklung nicht mehr hinterherhinken, sondern uns immer auf der Höhe der Zeit befinden. Ein beschleunigtes Bewusstsein ist in seiner Basis weit und umfassend und darauf aufbauend ausgesprochen beweglich, offen, unmittelbar und lern- und anpassungsfähig. Es nimmt die Dinge wahr, nicht in Bezug auf etwaige etablierte Schubladensysteme und Formationen oder Mindsets, lebt also nicht in der Vergangenheit, auch wenn diese ein Teilaspekt des Bewusstseins ist, sondern in der Gegenwart. Wenn beispielsweise das alte Stagnationsbewusstsein mit etwas Neuen, etwa einer Idee oder einer Entwicklung konfrontiert wird, dann laufen erst einmal die üblichen Vorgänge ab, also verlachen und nicht ernst nehmen, ehe es dann in Opposition geht. Und erst nach langer Zeit, und bei manchen Menschen auch nie, und auch oft erst, nachdem dieser Impuls kleingemacht und verwässert wurde, öffnet sich das Bewusstsein dann ein wenig dieser Neuerung.
Ein beschleunigtes Bewusstsein dagegen ist immer bereit, über das bereits Bekannte hinauszugehen und einen neuen Standpunkt einzunehmen. Es wird die Idee unvoreingenommen prüfen in Hinblick auf das Wissen und die Erfahrung der Vergangenheit, die Möglichkeiten der Gegenwart und das Potenzial für die zukünftige Entwicklung. Es sieht die Möglichkeiten, den Gesamtkontext, die Gefahren und die Auswüchse und wird entsprechend reagieren. Ein beschleunigtes Bewusstsein reagiert unmittelbar, weil es nicht in der Vergangenheit lebt und aus dieser heraus handelt, sondern in der Gegenwart verankert und zukunftsorientiert ist. Es ist frei beweglich und kann auf jede Entwicklung unmittelbar, spontan und angemessen reagieren. Und darum befindet es sich immer auf der Höhe seiner Zeit.
Wenn immer mehr Menschen zu diesem neuen Bewusstsein, zu dieser Beschleunigung und diesem konstanten Fortschritt übergehen, dann wird das politisch, sozial, kulturell und wissenschaftlich zu einer Blüte führen, die etwa das Erblühen der hellenischen Kultur dagegen verblassen lässt. Mit diesem Bewusstsein, das für eine globale Wahrnehmung und Identifikation offen ist, würden Kriege, Dominanzstreben, Macht- und Verteilungskämpfe und das übliche politische Hickhack, die Revierkämpfe und das prinzipielle und obligatorische Gegeneinander der Vergangenheit angehören und unbedingter Zusammenarbeit und unbegrenztem globalem Fortschritt Platz machen.
Um zu dem Bild des Gleichgewichts zentrifugaler und zentripetaler Kräfte zurückzukehren, bedeutet Bewusstseinsbeschleunigung zuerst einmal die Überwindung des Beharrungswillens, des Konservierungsfaktors, der dafür sorgt, dass man ein erreichtes Gleichgewicht unter allen Umständen beibehalten möchte und uns zu der Annahme verleitet, wir hätten mit der Etablierung im Erwachsenenleben unsere Entwicklung abgeschlossen und bräuchten den Rest unseres Lebens nur noch ernten. Solche Bewusstseinssysteme sind in der Regel klein, inhaltsarm, verschlossen und unbeweglich. Aber jede Ernte ist irgendwann eingebracht, und für eine neue Ernte muss man neu säen. Jedes Mal, wenn man nach innen wächst oder sich nach außen öffnet, legt man einen Samen und erntet dessen Früchte, wenn man ein neues Kräftegleichgewicht etabliert hat, das eine größere Sphäre umfasst. Das ist erst einmal ein Step-and-Go-Ablauf, der zu kleinen oder großen Entwicklungssprüngen führt, und eine gute Voraussetzung für das Einsetzen der Beschleunigungsphase. Diese bedeutet das permanente Ausbringen neuer Samenkörner, so dass immer wieder neue Körner keimen, während gleichzeitig andere wachsen, zur Blüte gelangen und Früchte tragen. Das Bewusstseinswachstum geschieht dann immer weniger sprunghaft, sondern in zunehmend kleineren aber auch einfacheren und schnelleren Schritten. Wenn man so mehr Übung bekommt, die Wachstumsprozesse besser versteht und damit auch effizienter fördern kann, wird aus der Abfolge von Sprüngen eine geschmeidige, kontinuierliche Bewegung, die in ihrer Geschwindigkeit wächst und sich als Bewusstseinsbeschleunigung manifestiert, als ein Bewusstsein, das die Dinge wahrnimmt wie sie sind, und immer bereit ist, ohne weitere Verzögerung die folgerichtigen Schlüsse zu ziehen und entsprechend zu handeln.
Es gibt sogar noch eine Steigerung, wenn die Geschwindigkeit so hoch ist, dass das Bewusstsein überall gleichzeitig ist, wenn es eins ist mit der Welt, dem Universum und seinen Bewegungen. Dann ist es in der Gegenwart angekommen, überblickt diese und kann wie ein Künstler schöpferisch werden. Es hat dann die Möglichkeit, nicht nur zu reagieren, sondern zu agieren, zu gestalten. Wenn man vorher von der Zukunft geträumt und mühsam versucht hat, die nötigen Weichen zu stellen, so kann man mit einem globalen, simultanen Bewusstsein der Gegenwart die Zukunft bewusst gestalten und statt in die Zukunft hineinzustolpern, in diese hineinwachsen.
Dieses Bewusstseinswachstum ist selbst in seinen grundlegendsten Formen in der Politik kaum zu finden. Und vermutlich werden die vielversprechendsten Talente und Ideen und Entwicklungen vom politischen Leben und dem politischen Alltag mit seinen faulen und machtdominierten Kompromissen bereits im Keimlingsstadium gefressen, um die politische Mittelmäßigkeit und das politische Bewusstseinsgleichgewicht – denn es gibt nicht nur ein persönliches Bewusstseinsgleichgewicht, sondern auch ein politisches – auf niedrigem Niveau stagnieren zu lassen. Das politische Bewusstsein, das im Sein und Wirken der Politiker Ausdruck findet und das auch in den übrigen Menschen existiert, seien sie nun politisch interessiert oder nicht, hat wie ein Mensch auch einen Entitätscharakter und ist darum auch der Dynamik der zentrifugalen und zentripetalen Kräfte unterworfen. Und so wie der einzelne Mensch die Möglichkeit hat, sich zu entwickeln und im Bewusstsein zu wachsen, so steht auch der Wesenheit der Politik diese Möglichkeit offen.
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