Das Hauptproblem dieses Fragenkomplexes ist der allgemeine Egoismus. Babys brauchen diesen absoluten Egoismus, um überleben und sich gesund entwickeln zu können, aber sobald die Babyphase hinter ihnen liegt, müssen sie lernen, diesen Egoismus abzulegen und zu einem verantwortungsbewussten Teil der Gemeinschaft zu werden. Die Fragen und Probleme der Globalisierung sind Ausdruck der gleichen Entwicklungsphase bei der menschlichen Spezies, und unsere Aufgabe ist es nicht, die Globalisierung abzuschaffen oder rückgängig zu machen, sondern zu lernen, sie richtig und verträglich durchzuführen.
Und dazu wiederum müssen wir im Bewusstsein wachsen. Dieses Wachstum hat drei ineinander verwobene Aspekte, den Aspekt des Volumens, den des Verständnisses und den der Geschwindigkeit.
Wachstum im Volumen bedeutet, das Bewusstsein auszuweiten und fortschreitend immer mehr Dinge zu erfassen und sie miteinander und mit sich selbst in Beziehung zu setzen und zu vernetzen und in der Folge die Welt und ihre Abläufe und Interaktionen untereinander und mit sich selbst besser zu verstehen. Und das ist bei der zunehmenden Komplexität der Welt und der Politik auch bitter nötig – einerseits. Andererseits ist die Komplexität, nicht nur in der Politik, nicht nur eine Folge der uralten Methode zur Machtausübung „Teile und herrsche“, sondern auch die Folge von Abgrenzung und Egoismus. Jeder Mensch, jede Körperschaft, jede Kommune, jeder Staat hat Wünsche und Bedürfnisse, die sich in der Regel ausschließlich auf sich selbst beziehen. In der Folge versucht ein jeder, diese Wünsche und Bedürfnisse durchzusetzen, ohne Rücksicht auf andere und die Gesamtsituation. Der Staat und sonstige übergeordnete Entitäten versuchen zum einen möglichst viel zu regeln und möglichst wenig Freiheiten zu gewähren und von ihrer Macht abzugeben, der Staat ist aber auch gezwungen, sowohl von seiner Aufgabe her, alle Bürger gleich zu behandeln, aber auch durch die Einklagbarkeit verweigerter oder übersehener Rechte, es jedem recht zu machen. Das führt dann zu Paragrafen, die zehnmal oder hundertmal ergänzt oder abgeändert werden und zu einem unnötigen Anschwellen der Gesetzestexte. Ein gutes Beispiel dafür ist die sogenannte Homo-Ehe, deren Einführung überall auf der Welt für Aufruhr in konservativen bis fundamentalistischen und religiösen Kreisen sorgt. Alle möglichen Gruppierungen versuchen hier aus ideologischen Gründen Einfluss zu nehmen, was Kräfte bindet und von dringlicheren Problematiken ablenkt. Und während etwa Spanien einen minimalen Aufwand betrieben hat, indem es die gleichgeschlechtliche Ehe der bisherigen Eheform einfach gleichgestellt hat, hat Deutschland mit der Eingetragenen Partnerschaft ein neues Beziehungsinstitut für eine ausgegrenzte Minorität geschaffen, das die Ausgrenzung weiter festigt und zudem eine große Vielzahl an neuen Gesetzen nötig machte – also keine Spur von Vereinfachung.
Leider hat es sich im Bewusstsein der Menschen festgesetzt, dass jeder gegen den anderen für sich und seine eigenen Interessen arbeiten muss. Dieses Gegeneinander, verbunden mit dem allgegenwärtigen Anspruchsdenken sorgt dafür, dass das Leben, auch auf politischer Ebene, immer komplexer und antisozialer wird. Es gibt keinen wirklichen Zusammenhalt und kein Einheitsgefühl. Das mag etwa in der Gründungsphase der Gewerkschaften anders gewesen sein, aber mittlerweile sind auch diese nur noch ein Machtinstrument.
Bewusstseinswachstum bedeutet hier einmal, die Zusammenhänge des Staatsapparates und der ganzen Machtspiele zu durchschauen, aber auch vor allem, über diesen kleinlichen Ego-Kram hinauszuwachsen und ein größeres Bild vor Augen zu haben, wie die Welt sein könnte und was dafür notwendig ist.
Notwendig ist zuallererst der Abbau des Egos in allen seinen Formen und die Erkenntnis der Notwendigkeit und die daraus folgende Bereitschaft für umfassende Zusammenarbeit. Man kann nicht damit rechnen, dass ein Einzelner oder eine Großmacht die Welt aus dem Sumpf ziehen kann, in dem sie immer schneller versinkt. Die USA, Russland, China, Indien sind alle zu sehr in ihren internen Querelen und ihrem Streben nach Dominanz gefangen, und alle diese und alle übrigen Staaten haben keine Eltern, die ihnen ein wünschenswertes und zukunftsfähiges Sozialverhalten beibringen könnten. Und schon bei Kindern ist es so, dass sie bereitwilliger von Gleichgestellten lernen. Auch unsere Staaten lernen voneinander – wie man den Egoismus auf die Spitze treibt. Wichtig ist es jetzt, einen neuen Wachstumsschritt zu tun und Zusammenarbeit zu lernen und das Wohl der großen Gemeinschaft als Handlungsmaxime in den Vordergrund zu stellen. Als etwa Gorbatschow Glasnost und Perestroika verkündete, hat er ein Beispiel gegeben, einen Impuls an die Welt, dass Wandel möglich ist, und im Moment ist es das Zusammenwachsen der Europäischen Union, das einen kraftvollen neuen Impuls geben könnte, wenn es gelingt, die unterschwelligen Ängste und das Dominanzstreben in den Griff zu bekommen, das die EU nach außen zieht. Ein wachsendes Gefühl des europäischen Gedankens, der europäischen Identität und Einheit, das Wachstum der Seele Europas könnte das notwendige Gegengewicht zu diesen zentrifugalen Kräften bilden und sie in Zaum halten. Das wäre dann die Grundlage für ein weiteres und gesundes Wachstum der EU und gleichzeitig ein enormer Impuls für ein globales Zusammenwachsen und eine gemeinsame Bemühung um Problemlösung.
Wenn der nationale Egoismus nicht ganz so blind wäre, könnte er sich sogar zu der Erkenntnis öffnen, dass Zusammenarbeit eigentlich in seinem eigenen Interesse liegt. Denn es sollte mittlerweile eigentlich klar sein, dass uns die Probleme über den Kopf wachsen, dass durch die unaufhaltsame Globalisierung die Grenzen zunehmend nur noch in unserem Kopf existieren und keinen Schutzwall gegen Finanz-, Klima- und Umweltprobleme bilden, dass schwindende Ressourcen und ungerechte Verteilung immer mehr Kriege entfesseln werden... Diese Probleme kann man alleine nicht lösen oder indem man egoistisch den Kopf in den Sand steckt und die Lösung der Probleme der übernächsten Regierung überlässt, in der Hoffnung, dass man durch die Verweigerung noch eine Legislaturperiode länger regieren kann. Die Welt braucht die richtigen Antworten jetzt und nicht irgendwann in ferner Zukunft. Die Aufgabe eines Politikers ist es nicht, Sympathien zu sammeln, sondern den Menschen die großen Zusammenhänge zu vermitteln und zügig und überlegt im Geiste der Zusammenarbeit und des großen gemeinsamen Nutzens die Aufgaben anzupacken, die für ihn bereit stehen – und das kann, wenn es gut gemacht wird, automatisch Sympathien wecken, denn die Menschen sind nicht dumm und verstehen durchaus die Notwendigkeit für einen Wandel. Nur wenn wir die globalen Krisen, das globale Elend, die globalen Ressourcen in den Griff bekommen und für eine gerechte Verteilung und für die Entwicklung unterentwickelter Strukturen sorgen, können wir das Ganze stabilisieren und zur Blüte kommen lassen, und erst dann sind wir selbst nicht mehr in Gefahr, bei der nächsten Krise unterzugehen. Dann werden auch die gegenwärtigen Völkerwanderungen, die so viele Ängste um die nationale Identität auslösen, nachlassen, denn die Menschen werden keinen Grund mehr haben, sich auf den beschwerlichen und ungeliebten Weg in ein anderes Land zu machen, das ein wenig mehr Sicherheit verspricht. Man kann also ganz egoistisch sagen, dass das Wohlergehen Anderer unser eigenes Wohlergehen fördert, und dass es darum in unserem ureigensten Interesse ist, global und offen zusammenzuarbeiten.
Der andere Aspekt des Bewusstseinswachstums (nach dem Volumen und der Komplexität) ist die Beschleunigung des Bewusstseins. Wenn man Dinge nicht mehr als isoliert und einen nicht betreffend betrachtet und statt dessen beginnt, sich als Teil und Teilhaber von Allem zu sehen und sich entsprechend neuen Welten und neuen Erfahrungen öffnet, hat man die erste Grundlage gelegt. Der nächste Schritt ist die Verknüpfung dieser neuen Elemente untereinander, mit unserem Bild der Welt und mit uns selbst. Das macht unser Bewusstsein weiter, reichhaltiger und verständnisbereiter und öffnet uns für den Aspekt der Beschleunigung.
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