»Wir nähern uns Kal/ray«, gab der Pilot bekannt. Frank sah sich unter den Passagieren des Beiboots um. Dushku studierte mehrere Dokumente – auf Papier, nicht digital –, der Mann war im Grunde ein Dinosaurier und bevorzugte es, Dokumente in der Hand zu halten. Der Admiral blickte lediglich nur kurz auf, grunzte etwas Unverständliches und widmete sich anschließend wieder seiner Lektüre. Es handelte sich vermutlich um irgendein Dossier, das er für die anstehende Zusammenkunft als wichtig erachtete, aber gemäß Franks Erfahrung wohl im Endeffekt keine große Rolle spielen würde.
Die beiden MAD-Agenten Bates und Roberts unterhielten sich gedämpft. Franks Blick fiel auf Ihara – Roberts’ Wasserträger. Der Mann saß eine Reihe hinter den beiden anderen MAD-Offizieren und strahlte eine schon fast düstere Präsenz aus. Seit ihrem Aufbruch hatte sich der Offizier nicht bewegt. Frank kam nicht umhin, den Vergleich mit der Statue irgendeines dunklen Gottes zu ziehen, so wie der Offizier dort auf seinem Sitz thronte. In diesem Moment zuckte Iharas Kopf in Franks Richtung.
Dieser erschrak und wandte den Blick ab. Er fühlte sich ertappt und das war ihm sichtlich peinlich. Frank konnte nicht anders, er fühlte sich in Iharas Nähe unwohl. Der Mann war auf eine geheimnisvolle Weise unheimlich. Er war froh, dass er mit dem Kerl nicht allzu viel zu tun haben würde. Die MAD-Heinis machten ihren Job, er seinen. Das genügte ihm vollauf.
»Wir sind in Sichtweite«, verkündete der Pilot über die Gegensprechanlage. »Setzen zur Landung an. ETA in drei Minuten.«
Nun kam doch Leben in die Passagiere. Jeder wandte sich dem nächsten Bullauge zu, sogar Dushku. Diesen Anblick wollte niemand verpassen. Kein Mensch, noch nicht einmal ein hochrangiges Regierungsmitglied, geschweige denn ein Händler hatte den Anblick, der sich ihnen bieten würde, je zuvor genießen dürfen. Sie waren die Allerersten. Noch niemals hatten die Königinnen es gestattet, dass man sie in ihrem ureigensten Refugium besuchte.
Frank spähte nach draußen. Zwischen all den Stöcken auf der Oberfläche hätte er erwartet, Kal/ray im ersten Augenblick gar nicht zielsicher identifizieren zu können. Er irrte sich.
Rund um Kal/ray existierte in einem Umkreis von dreihundert Klicks kein anderer Stock. Und wenn dies schon nicht gereicht hätte, so genügte das schiere Ausmaß des zentralen Stocks, um jedem Neuankömmling zu zeigen, womit er es zu tun hatte.
Kal/ray war gigantisch. Ein normaler Stock schob seinen pyramidenförmigen Auswuchs etwa fünfzig Meter in die Höhe. Kal/rays Pyramide erwies sich als mindestens viermal so hoch und war auch von wesentlich breiterem Umfang. Oberhalb der Spitze thronten drei Schlachtkreuzer der Insektoiden und hielten innerhalb der Atmosphäre stille Wacht über ihre Königinnen. Jeder der Schlachtkreuzer gehörte einem der Reiche an, aus dem die Hegemonie bestand. Ein nicht sehr subtiler Hinweis auf die fragilen Machtverhältnisse, die die Hegemonie im Gleichgewicht hielten.
Frank hatte immer geglaubt, die Schlachtkreuzer der Til-Nara sähen alle gleich aus. Nun, da er sich ihnen zum ersten Mal intensiv widmete, erkannte er geringfügige Unterschiede. Diese mussten wohl auf die Zugehörigkeit der einzelnen Til-Nara-Reiche zurückzuführen sein. Das bedeutete, jeder der drei Clans stellte einen Schlachtkreuzer, um den zentralen Stock zu beschützen. Das ergab durchaus Sinn.
Der Stock war auf eine – für menschliche Augen – barbarische Weise faszinierend. Frank war versucht, ihn sogar atemberaubend schön zu nennen. Zumindest aber war es ein Beispiel für insektoide Baukunst.
Ihre Eskorte drehte ab, sobald sie sich dem Stock auf fünfzig Klicks näherten. Sie wurden von anderen Dragonfly-Jägern ersetzt, die allerdings irgendwie anders aussahen. Im Gegensatz zu regulären Standardjägern wirkte ihre Färbung heller und strahlender. Vermutlich handelte es sich um irgendeine Gardeeinheit, die speziell für den Schutz des Triumvirats zuständig war.
Frank speicherte diese Beobachtung in einem Teil seines Gehirns ab. Das hier Gesehene war in höchstem Maße interessant. Von diesen essenziellen Unterschieden in Rang und Status verschiedener insektoider Militäreinheiten hatte außerhalb des Beiboots noch niemand gehört. Die Anthropologen des Konglomerats würden Jahrzehnte benötigen, um alle Daten zu sichten, die man hier während dieser Operation sammelte. So tief war noch niemand in die Gesellschaft der Til-Nara vorgedrungen.
Das Beiboot kam über der Spitze der Pyramide zum Stehen, immer noch umringt von ihrer Dragonfly-Eskorte. Frank musste seinen Hals verdrehen und die Wange ganz eng an das Bullauge pressen, um zu erkennen, was vor sich ging.
Unter ihnen öffnete sich ein Zugang zur Pyramide. Sobald er groß genug war, verloren Beiboot und Eskorte an Höhe und tauchten ab. Schlagartig wurde es dunkel. Frank kniff die Augen zusammen, konnte aber dennoch so gut wie nichts erkennen. Lediglich die Positionslichter der Til-Nara-Jäger sowie regelmäßig an den Wänden angebrachte Lampen blitzten auf. Das Gefühl überkam ihn, in einem rasend schnell sinkenden Fahrstuhl gefangen zu sein. Es war eine beklemmende Emotion, auf die er gut und gerne hätte verzichten können.
Der Flug in die Tiefe dauerte eine gefühlte Ewigkeit. Frank sah sich abermals unter seinen Mitgefangenen um. Auch sie wirkten mit einem Mal nicht wirklich glücklich. Sie litten unter ähnlichen Sorgen und Bedenken wie er selbst. Er warf einen Blick auf die Uhr. Gemessen an der vergangenen Zeit und ihrer Sinkgeschwindigkeit hatten sie die Pyramide längst hinter sich gelassen. Sie befanden sich inzwischen tief unter der Erde. Diese Erkenntnis half nicht unbedingt dabei, das beklemmende Gefühl loszuwerden. Frank lehnte sich in seinem Sessel zurück und zwang seinen Körper, sich zu entspannen. Etwas anderes blieb ihm ohnehin nicht übrig.
Der Flug dauerte noch weitere zwanzig Minuten. Je tiefer sie kamen, desto heißer schien es zu werden. Das war natürlich Unsinn. Die Lebenserhaltungssysteme arbeiteten ohne Probleme. Selbst wenn es draußen tatsächlich heißer geworden wäre, im Inneren des Beiboots hätten sie davon nichts gespürt. Es sei denn, sie wären bereits in der Nähe des Erdkerns gewesen. Doch auch dieser Gedanke war natürlich blanker Unsinn. Dafür waren sie längst noch nicht tief genug. Franks Gefühl war rein psychosomatisch. Als Flottenoffizier zog er den Weltraum jeder anderen Umgebung vor – vor allem dem Inneren eines Planeten.
Der Flug endete überraschend plötzlich. Das Beiboot setzte auf und die Luke wurde ausgefahren. »Wir sind da«, informierte der Pilot mit tonloser, fast schon eingeschüchterter Stimme.
Frank runzelte die Stirn, schnallte sich los und stand auf. Gemäß der Tradition verließ das ranghöchste Mitglied der Delegation das Schiff als Letzter. Aus diesem Grund, waren die MAD-Agenten die Ersten, die ausstiegen, anschließend folgte Frank und Dushku bildete das Schlusslicht.
Franks Füße hatten kaum den Boden berührt, da blieb er schlagartig stehen. Er sah sich mit offenem Mund um. Sie befanden sich in einer großen, von riesigen steinernen Säulen gesäumten Halle. Diese war verblüffend hell erleuchtet. Die Decke ragte so hoch über ihnen auf, dass sie nicht zu sehen war.
Zwischen den Säulen standen Til-Nara-Wachen auf Posten. Aber solche Drohnen hatte Frank noch nie zuvor gesehen. Sie waren dreimal so groß wie normale Soldaten und von Kopf bis Fuß – einschließlich der membranartigen Flügel – von auffallend weißer Farbe. Sie verharrten regungslos beim Eintreffen der Menschen und beachteten diese mit keinem Muskelzucken. Ihre charakteristischen zangenförmigen Lanzen hielten sie fest in zweien ihrer Glieder, bereit, sie jederzeit todbringend einzusetzen.
Erst jetzt bemerkte Frank die drei Throne am Ende der Halle. Auf jedem saß ein Wesen, das fast wirkte wie eine große Raupe mit einem gedrungenen, unbehaarten Kopf. Zwei der Wesen waren größer als das dritte. Man konnte keine Augen erkennen und doch fühlte sich Frank von ihnen beobachtet und einer genauen Begutachtung unterzogen. Er schluckte. Waren das die drei Königinnen? Er sah sich erneut in der Halle um. Unter dieser frischen Erkenntnis beurteilte er ihre Lage erneut. Die ganze Umgebung strahlte mit einem Mal etwas Spirituelles aus. Fast wie eine Kathedrale. Frank schluckte und konnte kaum glauben, was sich seinen Augen hier bot. Die Til-Nara hatten sie direkt in den Thronsaal ihres Triumvirats gebracht.
Читать дальше