Er machte einen Schritt hinein und blieb schlagartig stehen. Der Marine schloss die Tür hinter ihm fast geräuschlos. In der aufkeimenden Stille klang aber bereits dieser kleine Laut, als würde eine Kirchturmglocke durch den ganzen Raum hallen. Alle Augen richteten sich auf ihn. Er war offenbar der Letzte, der erwartet wurde. Frank bemühte sich, den Kloß in seinem Hals hinunterzuschlucken. Er war während der Schulzeit nie zu spät zum Unterricht gekommen, allerdings konnte er sich vorstellen, dass genau dieses Gefühl in einer solchen Situation zu erwarten sei.
Dushku saß am Kopfende des Tisches und sah demonstrativ auf die Uhr. Frank verkniff sich eine ungeduldige Reaktion. Er war schließlich so schnell gekommen, wie es ihm möglich gewesen war. Da sein Geschwader das Schlusslicht der Formation bildete, hatte er den weitesten Weg gehabt. Dushku schien dies aber keineswegs zu kümmern.
Frank erwog, sich wegen seines Zuspätkommens zu entschuldigen, obwohl er logisch betrachtet nichts dafür konnte. Er entschied sich dagegen. Es hätte die Situation nicht verbessert und Dushku hätte es darüber hinaus vermutlich sogar als Zeichen der Schwäche gewertet. Aus diesem Grund begab sich Frank an den letzten freien Platz in der Runde und setzte sich. Sobald sein Hintern den Stuhl berührte, nahm er sich Zeit, jeden Einzelnen mit kurzem Nicken zu begrüßen. Er war sich selbst nicht sicher, ob er es aus Höflichkeit tat oder einfach, um Dushku zu ärgern, da es den Beginn der Besprechung zusätzlich verzögerte. Die Mehrzahl der anwesenden Offiziere brachten wohl Verständnis für ihn auf. Sie erwiderten sein Nicken zumeist neutral, einige freundlich. Ein paar der Anwesenden lächelten sogar.
Bei fünf der anwesenden Offiziere handelte es sich um die Divisionskommandeure der Flotte – genau wie Frank einer war. Bei zwei weiteren handelte es sich um Marines. Einen kannte Frank bereits vom Sehen: Lieutenant General Boris Kusnezow, den Befehlshaber der Bodentruppen ihrer kleinen Exkursion. Bei dem schlanken Lieutenant Colonel mit den breiten Schultern und dem charakteristischen Kurzhaarschnitt musste es sich um dessen ranghöchsten Offizier und damit um dessen Stellvertreter handeln.
Des Weiteren waren die drei MAD-Offiziere Captain Harriman Bates sowie die Lieutenants Lory Roberts und Haruto Ihara anwesend.
Dushku räusperte sich übertrieben. »Da wir nun endlich vollzählig sind, können wir ja anfangen.«
Frank ließ den unausgesprochenen Tadel ohne jede Gefühlsregung über sich ergehen. Es hatte nicht den geringsten Sinn, dagegen aufzubegehren. Er konnte eine solche Auseinandersetzung nicht gewinnen. Nicht hier, nicht jetzt und nicht gegen einen Mann wie Dushku.
Der Admiral nickte dem ranghöchsten MAD-Offizier im Raum zu. Captain Harriman Bates erhob sich und warf einen Blick in die Runde, bevor er mit seiner tiefen Baritonstimme zu sprechen begann.
»Obwohl wir seit Beginn des Krieges eng mit den Til-Nara zusammenarbeiten, wissen die meisten so gut wie nichts über unsere insektoiden Verbündeten. Aus diesem Grund werde ich mit ein paar einleitenden Worten zur Gesellschaft der Til-Nara meinen Bericht beginnen. Es ist wichtig, dass allen Anwesenden klar ist, mit was für Wesen wir es zu tun haben, um die zu erwartenden kulturellen Probleme und Missverständnisse auf ein Minimum zu reduzieren.«
Bates betätigte einen Knopf und über dem Tisch wurde eine Karte des Til-Nara-Territoriums sowie der Nerai-Sphäre projiziert. Die von den Insektoiden gehaltenen Systeme wurden in Grün dargestellt, die von den Ruul okkupierten Welten in Gelb.
»Was wir als Til-Nara-Hegemonie kennen und als einheitliches Reich verstehen, sind in Wirklichkeit drei separate Reiche, die sich vor langer Zeit zusammengeschlossen haben.«
Bates betätigte erneut einen Knopf und das Til-Nara-Reich wurde in drei fast gleich große Teile gespalten. »Die drei Til-Nara-Territorien nennen sich Asken-dor, Asken-tal und Asken-van. Daraus resultieren auch verschiedene Begriffe: Die Königin des Asken-dor-Reiches nennt sich zum Beispiel Dor-Vaniri. Dabei handelt es sich um den Titel, nicht um den Namen. Das darf nie verwechselt werden! Des Weiteren ist der Titel des Oberbefehlshabers der Asken-dor-Streitkräfte Dor-shri. Die Titel der Königinnen sowie der Oberbefehlshaber der anderen zwei Reiche muss ich wohl nicht extra benennen. Das Prinzip der Titelgebung dürfte klar sein. Als die Til-Nara sich zusammenschlossen, gab es noch Unterschiede in diesen Rassen, sowohl gesellschaftlicher als auch anatomischer Art. Inzwischen sind diese nicht länger existent. Die Til-Nara sind eine einheitliche Spezies geworden. Es gab vor Tausenden von Jahren ein viertes Reich. Dieses spaltete sich ab und wurde zur Nerai-Sphäre. Zwischen den Til-Nara und den Nerai gab es im Lauf der Zeit mehrere größere Kriege und unzählige Grenzscharmützel sowie kleinere Auseinandersetzungen. Obwohl hin und wieder ein System den Besitzer wechselte, blieb die Demarkationslinie relativ konstant. Keine der beiden Seiten konnte nennenswerte Gebietsgewinne verbuchen, aus denen man folgern könnte, dass jemand gewonnen hätte.«
Frank beugte sich interessiert vor und betrachtete den Frontverlauf zwischen Til-Nara und Nerai auf der einen Seite sowie den Insektoiden und den Ruul auf der anderen. Währenddessen fuhr Bates fort. »Die Nerai haben seit Beginn des Krieges mehr als ein Drittel ihres Territoriums an die Ruul verloren. Bei den Til-Nara sieht es ähnlich katastrophal aus. Anfänglich umfasste die Hegemonie mehr als dreihundert Systeme. Sie ist inzwischen auf annähernd zweihundert zusammengeschrumpft, wobei die meisten Gebietsverluste auf die erste ruulanische Angriffswelle zurückzuführen sind. Die Ruul gingen dabei äußerst raffiniert zu Werke. Sie konzentrierten sich anfangs auf die Brutplaneten der Til-Nara und eroberten fünf von ihnen. Gleichzeitig überrollten sie die Verteidigung Dutzender Welten.
Die Til-Nara sind in der Lage, unter so gut wie allen Umweltbedingungen zu siedeln. Aber zur Fortpflanzung sind sie von ganz bestimmten umweltbedingten Faktoren abhängig. Ein insektoides Volk wie die Til-Nara ist auf ihre Brutplaneten angewiesen. Ohne diese ist es für sie schwierig, ihr Militär wieder aufzustocken und zum Gegenangriff überzugehen. Die Til-Nara haben sich von diesem schweren Schlag bis heute nicht gänzlich erholt. Die Ruul wussten ganz genau, wie und wo sie die Til-Nara treffen mussten. Seit der ursprünglichen ersten Welle haben die Slugs in weiteren Wellen noch zwei Brutplaneten erobert und damit die prekäre Situation der Til-Nara zusätzlich verschärft.«
Frank hob den Kopf und zeigte damit, dass er das Wort ergreifen wollte. Bates nickte ihm zu. »Ja, Commodore?«
»Welches der drei Reiche hat die meisten Systeme verloren?«, wollte er wissen.
»Asken-dor«, erwiderte Bates. »Sogar mit großem Abstand. Ungefähr fünfzig Prozent der gefallenen Systeme gehören diesem Til-Nara-Clan an.«
Dushku rümpfte die Nase. »Ich weiß nicht, was das für uns für eine Rolle spielt.«
Bevor Frank den Sinn hinter seiner Frage erläutern konnte, kam ihm der MAD-Agent zu Hilfe. »Die Frage ist sogar äußerst clever«, fuhr er dem Admiral in die Parade. »Darauf wäre ich ohnehin noch zu sprechen gekommen. Die Politik innerhalb der Til-Nara ist ein fragiles Gleichgewicht, das von Intrigen und dem Schmieden von Allianzen geprägt ist. Der Verlust derart vieler Systeme hat den Status der Königin Dor-Vaniri geschwächt. Wäre kein Krieg, wäre sie bereits abgesetzt, getötet und an die Larven der beiden anderen Reiche verfüttert worden. An ihrer statt wäre eine andere Königin eingesetzt worden. Sie kann von Glück reden, dass sie noch benötigt wird, um das Reich in Kriegszeiten zu regieren und zusammenzuhalten. Die beiden anderen Königinnen wollen die Lage durch einen Machtwechsel nicht zusätzlich destabilisieren.« Bates warf Dushku einen eindringlichen Blick zu. »Wir sollten äußerst vorsichtig im Umgang mit dem Triumvirat sein. Für die Til-Nara sind wir Außenstehende. Gut möglich, dass sie uns lediglich als bloße Schachfiguren in diesem Spiel um die Macht ansehen. Ich möchte dringend raten, dass wir uns nicht in ihre Machtspielchen hineinziehen lassen.«
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