„Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei, finden Sie?“ sagte sie achselzuckend. „Je nun, oft wäre es wohl recht viel besser, die Menschen blieben allein und für sich, anstatt sich freiwillig Fesseln anzulegen, welche nur später drücken!“
„Rosenketten drücken nicht!“
„Wenn Menschen, welche nicht zusammen passen, sie gemeinschaftlich tragen müssen, drücken selbst solche Rosenketten!“
„Was verstehen Sie unter ‚nicht zusammen passen‘?“
Sie lachte und zuckte die Achseln. „Nun, Starrköpfe, die sich nicht ineinander fügen können!“
„Eine Frau soll immer das weiche Wachs in den Händen des Gatten sein!“
Sie faltete die feinen Augenbrauen schier zornig zusammen. „Natürlich, die Frau soll sich fügen, dulden — ertragen! Die Frau soll Sklavin sein und die Launen ihres Tyrannen gutheissen! Welch eine himmelschreiende Ungerechtigkeit! Die brutale Gewalt des Stärkeren dürfte an dem neunzehnten Jahrhundert scheitern, in welchem hoffentlich Geist und Verstand des Weibes jenes Männervorrecht, uns unter die Füsse treten zu dürfen, aufheben wird!“
„Unter die Füsse treten? Ich glaube, es gibt keine grössere Machtstellung auf der Welt als die eines liebenden und geliebten Weibes! Der Mann beugt seine Knie vor der Königin seines Herzens!“
„Einmal im Leben! Vielleicht bei seiner Werbung, und solche Sentimentalität und zeitraubende Förmlichkeit haben die modernen Männer auch schon längst gestrichen! Aber dennoch wird solch ein imaginärer Kniefall zeitlebens als eine schreckliche Sklavenarbeit ins Treffen geführt!“
„Wenn unsere nüchterne Zeit wohl auch zumeist von einem Beugen des Knies absieht, so ist doch die ganze Werbung eines Mannes ein demütiges Sichneigen vor der Geliebten!“
Ihre Wangen flammten heisser, ihre Stimme klang immer erregter und die dunklen Augen sprühten ihm entgegen wie in Spott und Kampfeslust. „Ist es denn wahrlich eine solche Überwindung, eine solche Erniedrigung für einen Mann, dem Mädchen, von dem er so viel — alles verlangt — zu sagen, dass er sie liebt?“
Auch Alfred schoss das Blut in den Kopf.
„Ich möchte wohl sehen, ob sich je eine der demütigen, engelsmilden, entsagungsvollen Frauen dazu verstehen würde, solch ein ‚Bettelwort‘ auszusprechen!“ antwortete er gereizt.
Cilly blieb stehen und ward schon allein bei solch einem Gedanken leichenblass. „Wir ... wir Mädchen auch noch die Liebeserklärungen machen? — eher sterben! — Tausendmal lieber sterben!“
„Aha!“
„Nicht aus Hochmut, nicht aus Trotz — wie Sie eben anzunehmen scheinen! Aber aus Stolz — dem edlen weiblichen Stolz und Schamgefühl, welches sich vor einem Manne nichts vergeben darf!“
„Wenn das neunzehnte Jahrhundert mit der abhängigen Stellung des Weibes aufräumen soll, so muss es auch mit allem, was daraus hervorgeht, brechen! Eine Frau, welche den Mann als völlig gleichartiges Wesen ansieht, braucht sich nicht mehr zu schämen, noch zu erröten; die Frau der Zukunft vergibt sich nichts mehr, wenn sie um einen Gatten wirbt, den sie anständig ernähren kann. Sie sprechen so wegwerfend von einer Liebeserklärung — gut, heiraten Sie doch mal einen Mann, zu welchem Sie das entscheidende Wort sagen!“
Sie knäulte das Spitzentuch zwischen den bebenden Händen. „Nie, Nie! Ich verlange von meinem Zukünftigen den Kniefall, welcher ihn zu meinem Vasallen macht!“
„Gut! Und ich verlange von meiner Zukünftigen, dass sie mich so glühend, so über alles liebt — dass sie mir ihre Liebe gesteht!“
Cilly starrte ihn an, als habe sie nicht recht gehört.
„Ich schwöre es Ihnen — ich verlange eine Liebeserklärung und einen Kniefall.“
„Und ich schwöre es Ihnen ebenfalls — ich heirate nur eine Frau, welche mir selbst ins Ohr flüstert, dass sie mich liebt! Den Kniefall erlasse ich ihr vielleicht, obwohl mir derselbe auch recht angenehm wäre!“
„Empörend! Ich hoffe, darauf warten Sie bis an Ihr Lebensende!“
„Wer weiss!“
Sie wandte ihm schroff den Rücken und stürmte den moosigen Abhang hinab, mit bebenden Lippen, den Arm ihrer Freundin Alice zu nehmen.
Der schöne, goldensonnige Herbsttag aber endete mit Sturm und Regen.
Sie sahen sich oft und viel danach, sie verkehrten in alter Weise, nur dass sich manch ironischer Blick, manch spitzes Wort in das Geplauder schlich, und dabei drückten sie sich beide den giftigen Pfeil Amors immer tiefer und rettungsloser in die Herzen.
Sie liebten sich beide — doch keines wollt’ es dem andern gestehn, sie sahen sich an so feindlich, und wollten vor Liebe vergehn! — Welch eine qualvolle bittere Zeit sehnenden, glühenden Hangens und Bangens!
Cillys flehender Blick warb um Liebe, — ihre Eitelkeit brannte darauf, einen süssen, grossen Triumph über den Geliebten zu feiern.
Mit allen erlaubten Mitteln reizender Koketterie versuchte sie, den starrköpfigen Verehrer vor ihre Füsse niederzuzwingen, und Freddy wiederum bot alles auf, was in seinen Kräften stand, den Funken der Liebe in ihrem Herzen zur Flamme zu schüren.
Welch ein glühendes, leidenschaftliches Werben auf beiden Seiten, und welch ein spröder Stolz, welch ein Eigensinn und Trotz bei jedem, den begonnenen Kampf zu Sieg und Ehren durchzuführen!
Umsonst, kein Nachgeben, kein Weichwerden hier oder dort! Das anfängliche Spiel war ernst geworden; die Brücke hinter jedem war abgebrochen, und doch standen sie einander gegenüber und breiteten voll qualvoller Sehnsucht die Arme aus: „Komm!“ — Wer aber sollte nachgeben?
Cillys spröder Stolz bäumte sich auf gegen das Ungewöhnliche und Herausfordernde einer Annäherung von ihrer Seite. — Jetzt, der entscheidenden Tatsache gegenübergestellt, sah sie es erst ein, wie weit entfernt sie davon war, eine „moderne Fortschrittlerin“ der Frauenbewegung zu sein, und wie tief und unlöslich die alten Grundsätze und Ansichten der Mutter und Grossmutter auch in ihrem Herzen wurzelten.
Sie wäre gestorben vor Scham und Verlegenheit, hätte sie dem Geliebten auch nur mit einer Silbe gestehen sollen, wie verzweifelt und trostlos es in ihrem Herzen aussah, wie die Liebe sie zu der Sklavin des erwählten Mannes gemacht, ohne dass er ihr die Händchen mit Rosenketten gefesselt! Oft schon deuchte es ihr wie ein Verbrechen, wenn ihr Blick — ihr Händedruck ihm mehr verrieten, als es die strenge Sitte erlaubt, und doch war sie ihrem Empfinden gegenüber oft so willenlos!
Ach, wie bereute sie ihren törichten Trotz, ihre unüberlegten Worte so bitter, welche sie an jenem unglückseligen Herbsttag so ewig weit von allem Glück geschieden hatten! Sie sah, dass Alfred sie liebte, — sie standen einander so nah, — ach so nah, dass sie nur einander in die Arme zu sinken brauchten, um für ewige, glückselige Zeiten vereint zu sein, und doch lag ein selbst aufgerissener Abgrund zwischen ihnen — —: „der liess sie zusammen nicht kommen, das Wasser war gar zu tief!“ —
O der bitteren Pein! —
Alfred sah und empfand genau, welch ein holder Wandel in dem Herzen der Geliebten vor sich gegangen war, wie das Leid der Sehnsucht allen Trotz und Eigensinn ausgerottet hatte; er fühlte und empfand es ihr auch nach, dass sie es voll holden Schamgefühls nie zuwege bringen würde, ihm die verlangte Liebeserklärung zu machen, — ja, jetzt, bei ruhiger, kühler Überlegung wäre es ihm sogar höchst unangenehm und der Geliebten unwürdig erschienen, hätte sie sich zu einer Liebeserklärung emanzipieren wollen!
Aber was beginnen?
Er, als Mann konnte und durfte in diesem Streit nicht nachgeben. Er würde damit für alle Zeit bei ihr verspielt haben, die alten Teufelchen des Trotzes und der Eitelkeit hätten schnell neuen Lebensodem aus dieser seiner Schwäche gesogen, und seine Ehe wäre auf dem morschesten aller Fundamente erbaut.
Читать дальше