Er hatte eine volltönende, fast vornehme Stimme, und Chris und Roz lauschten ihm mit stiller Verwunderung.
Garshak winkte den Ogron an der Tür herbei. »Nun bring unseren Gästen doch Stühle, du Dummkopf. Und dann hol auch ein paar Erfrischungen.«
Die Wache griff nach zwei schweren Sesseln und ließ beide vor dem Schreibtisch auf den Boden krachen. Dann verschwand sie und kam mit einem vollen Tablett zurück, das sie vorsichtig auf dem Schreibtisch abstellte. Zuletzt bezog sie wieder ihren Posten an der Tür.
Auf dem Tablett stand eine hohe, schlanke Teekanne, umgeben von zarten Teetassen. Daneben waren auf Tellern feine Küchlein und Gebäck angerichtet.
Garshak griff mit seiner großen, haarigen Pranke nach der Teekanne.
»Darf ich Ihnen einschenken? Oder wie sagt man das noch gleich auf der Erde?«
Roz hatte noch nie so etwas gesagt und hatte es auch nicht vor. Sie nahm nur stumm eine Tasse Kräutertee und einen Kuchenteller entgegen. Dann unternahm sie einen verzweifelten Versuch, die Kontrolle über die Situation zurückzuerlangen.
»Ich bestehe auf einer Erklärung, warum man uns hierhergebracht hat«, wiederholte sie. »Was wirft man uns überhaupt vor?«
Garshak nippte an seinem Tee und warf einen Blick auf den Bildschirm seines Computers. »Nun, fangen wir damit an, dass Sie sich als Polizeibeamte ausgegeben haben. Der Aussage von Mr Relk zufolge …«
Chris biss in ein Küchlein und sagte mit vollem Mund: »Unschuldig. Wir haben nie behauptet, wir wären Polizeibeamte.«
»Natürlich nicht«, stimmte Garshak zu. »Sie haben sich nur Zugang verschafft, den armen Kerl bedroht und herumgeschubst und ihn über Sachen ausgefragt, die Sie nichts angehen. Er musste ja annehmen, dass Sie Polizisten sind.«
»Können wir doch nichts dafür, was die Leute annehmen«, sagte Roz selbstgerecht.
»Na, hören Sie mal«, erwiderte Garshak. »Das ist aber ein bisschen pedantisch, finden Sie nicht? Wir müssen das Gesetz seinem Sinn entsprechend befolgen und nicht nur wortwörtlich. Sicher können Sie nicht bestreiten, dass Sie sich des Suppressio veri et suggestio falsi schuldig gemacht haben, oder?« Als er Chris’ verwirrten Gesichtsausdruck sah, fügte er hinzu: »Sie haben die Wahrheit unterschlagen und damit …«
»… die Unwahrheit suggeriert«, beendete Roz den Satz, froh darüber, dass ihr dieser Fetzen alten Juristenjargons von der Erde eingefallen war, den sie vor langer Zeit in einer Vorlesung an der Schiedsrichter-Akademie gehört hatte.
»Genau«, sagte Garshak strahlend. »Es ist so erfrischend, es mal mit gebildeten Wesen zu tun zu haben.«
Roz nahm das Kompliment an, indem sie leicht den Kopf neigte. »Das Gesetz ist aber sehr wohl pedantisch. Es meint, was es besagt. Haben wir behauptet, Polizisten zu sein? Nein, haben wir nicht. Klage abgewiesen.«
»Im Allgemeinen wäre Ihr Argument nicht zu widerlegen. In Megacity ist das Gesetz jedoch ein wenig flexibler: Es wird immer so ausgelegt, wie ich sage, dass es ausgelegt werden muss.« Garshak beugte sich vor. »Ich gebe keinen Drashigfurz auf die Anklagepunkte«, dröhnte er. »Ich will nur eines wissen: Warum rennen Sie beide in Megacity herum und stellen Fragen? «
»Was ist denn schon dabei?«, fragte Chris unschuldig.
»Viele wichtige Leute in Megacity haben etwas zu verbergen und einige von ihnen sogar eine ganze Menge. Börsengeschäfte, Aktienmanipulation, unrechtmäßige Einkünfte, Beteiligung am organisierten Verbrechen …«
Roz runzelte die Stirn. »Wenn Sie so viel über diese Leute wissen, warum unternehmen Sie nichts gegen sie?«
»Warum sollte ich? Das ist nicht meine Aufgabe.«
»Und was ist dann die Aufgabe, für die Sie bezahlt werden?«
»Mein Job ist es, die Ordnung auf den Straßen in angemessener Weise aufrechtzuerhalten, ganz zu schweigen davon, das Chaos in den Bars und Kneipen einzudämmen. Wir sperren betrunkene Minenarbeiter ein und sorgen dafür, dass die Touristen nicht öfter ausgeraubt werden, als sich vertreten lässt – oder ermordet, es sei denn, es lässt sich absolut nicht vermeiden. Im Großen und Ganzen verwalte ich die Stadt Megacity so, dass die Reichen, die sie betreiben, in Ruhe noch reicher werden können.« Garshak lächelte und zeigte seine langen, gelben Reißzähne. »Tatsächlich ist das in den meisten großen Städten die Aufgabe der Polizei. Hier gehen wir damit nur etwas offener um. Ach, und ich werde übrigens gar nicht bezahlt. Nicht einen Credit zahlen sie mir.«
Roz lächelte. Sie und Chris wurden auch nicht bezahlt, nicht direkt. Sie erinnerte sich daran, den Doktor einmal nach einem Gehalt gefragt zu haben.
Chris betrachtete den prächtig gekleideten Ogron und sah sich im luxuriös eingerichteten Zimmer um. »Aber wie …«
»Der Job finanziert sich selbst«, erklärte Garshak. »Wie, glauben Sie, haben wir’s so schnell zur Wechselstelle geschafft? Der verstorbene Eigentümer hat regelmäßig eine Gebühr bezahlt, um bei Ärger schnellen Service zu bekommen. Das macht nebenbei bemerkt jede Bar, jeder Klub und jedes Kasino in der Stadt. Und dann haben wir noch unsere kriminellen Kunden – wie die anderen Gefangenen, mit denen Sie hergebracht wurden.«
»Was geschieht mit ihnen?«
»Die beiden Minenarbeiter werden freigelassen, sobald sie wieder nüchtern sind und eine kleine Geldstrafe gezahlt haben. Normalerweise übernimmt das Abbauunternehmen die Strafe und zieht sie ihnen vom Lohn ab.«
»Und was ist mit dem anderen?«
»Dem Alphacentaurianer?« Garshak strahlte. »Der ist richtig was wert. Er wird eine höhere Strafe zahlen müssen.«
»Warum muss er mehr als die anderen bezahlen?«
Garshak blickte ihn überrascht an. »Weil er mehr hat ! Die einen sind arme Minenarbeiter, der andere ist ein wohlhabender Händler. Das ist doch nur gerecht, finden Sie nicht? Außerdem hassen Alphacentaurianer Skandale, also wird er noch mal ein bisschen was drauflegen, um schnell und unbemerkt von der Öffentlichkeit wieder hier rauszukommen.«
Roz musterte ihn mit angewiderter Miene. »Korruption, wohin man schaut. Tolles System haben Sie da.«
»Danke schön«, sagte Garshak. »Ich bin nur ein armer, korrupter Polizeibeamter, aber ich gebe mein Bestes. Doch wir kommen vom Thema ab. Sie haben mir immer noch nicht erklärt, was es mit Ihren Aktivitäten hier auf sich hat.«
»Können wir nicht einfach eine Strafe zahlen und gehen?«, fragte Chris.
Garshak schüttelte den Kopf. »Wenn Sie mir gegenüber nicht etwas offener sind, werden Sie überhaupt nicht gehen.«
»Sie dürfen uns nicht festhalten«, sagte Roz empört. »Was ist mit unseren Rechten?«
»Sie haben keine«, sagte Garshak nur. »Ich kann Sie einfach in eine Zelle im zweiten Untergeschoss stecken und Sie vergessen. Die Leute da unten arbeiten so ineffizient, die vergessen bestimmt, Ihnen was zu essen zu bringen.«
Chris warf Roz einen fragenden Blick zu. »Offenbar haben wir keine andere Wahl.«
Es war Zeit für ihre Coverstory. Roz beugte sich vor und ihr Gesicht nahm diesen Ausdruck absoluter Offenheit und Ehrlichkeit an, den sie immer aufsetzte, wenn sie log. »Nun, um die Wahrheit zu sagen: Wir arbeiten für Pinkerton Intergalactic.« Sie zeigte auf ihre Brusttasche. »Darf ich?«
Garshak nickte.
Roz zog langsam und vorsichtig ein silbernes Abzeichen in einer schwarzen Lederhülle hervor und hielt es dem Polizeichef hin. Das Symbol darauf zeigte ein offenes Auge in einem silbernen Kreis.
Nun wirkte selbst Garshak beeindruckt. »Pinks sind Sie also!«
Die Pinkerton Agency – das Auge, das niemals schläft – war auf der Erde gegründet worden, doch ihre Anfänge lagen irgendwo im Dunkel der Geschichte. Sie war als Spionagedienst in einem längst vergessenen Bürgerkrieg entstanden, hatte ihre Blütezeit im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert erlebt und schon bald, nachdem die Menschen sich zu den Sternen aufgemacht hatten, hatte sich daraus die Agency entwickelt.
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