Rune Pär Olofsson - Der Dynamitkönig Alfred Nobel

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Spannender biographischer Roman über das Leben, Schaffen und Werken des Dynamitkönigs Alfred Nobel. Rune Pär Oloffson zeigt in seiner Biographie die Fülle der Widersprüche, in denen sich das Leben des Dynamitfabrikanten Alfred Nobel vollzog.-

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Rune Pär Olofsson

Der Dynamitkönig Alfred Nobel

Aus dem Schwedischen

von Gisela Kosubek

Saga

I

1

Feuer, Feuer, Feuer – überall!

Starr vor Schreck stand er in seinem Bett und schrie gellend.

»Mama, Mama!«

Er spürte den Rauch im Hals und hustete, bis die Tränen auch das wenige verdeckten, das er noch sehen konnte. Deshalb fühlte er mehr, als er sah, daß jemand die Bettdecke um ihn schlug, ihn aus dem Bett riß und aus der Kammer stürzte. Die Treppe hinunter, durch den Rauch, fort von der Hitze: Er verbarg sein Gesicht am Hals des Retters, um es vor der glutheißen Luft zu schützen. Es roch nach Mutter, trotz des Rauchs. Er bekam die Arme frei und schlang sie um ihren Hals, so fest, daß sie ihn schelten mußte.

»Laß mich los – du erwürgst mich ja!«

Die Kälte der Neujahrsnacht umgab ihn wohltuend nach der gewaltigen Hitze des Feuers. Doch bald hatte die Mutter ihn so weit von dem brennenden Haus fortgetragen, daß er es vorzog, wieder unter die Decke zu kriechen. Die Mutter legte ihre Bürde auf einen Leiterwagen nieder und rang nach Atem. Dann rief sie: »Ich habe Alfred hier!«

»Gott sei Dank«, antwortete der Vater hustend hinter dem Giebel, dann sind alle Kinder gerettet! Komm her mit ihm und bleib bei Robert und Ludwig – ich muß wenigstens versuchen, herauszuholen, was ...

»Nein!« schrie Andriette. »Immanuel, du darfst nicht wieder ins Haus!«

»Aber es verbrennt doch alles!«

»Besser so, als daß wir dich auch noch verlieren.«

Alfred hatte aufgehört zu schreien, sobald die Mutter ihn in die Decke gewickelt hatte, und dann blieb er weiter still, aus purer Verwunderung. Konnte es wirklich wahr sein, daß ihr Haus brannte? Als er jetzt den Wortwechsel zwischen Mutter und Vater vernahm, erinnerte er sich plötzlich: »Mein!«

Sein geliebter war dort oben geblieben ...

Er richtete sich auf dem Leiterwagen auf und versuchte, einen Schritt in die Luft hinaus zu tun, um zurück ins Feuer zu laufen und seinen zu holen. Doch die herunterrutschende Decke verfing sich an seinem Fuß, und sofort fühlte er wieder die Arme der Mutter um sich.

»Mein Kleiner, du bekommst einen neuen. Das verspricht dir Mutti – sobald die Läden am Montag aufmachen, kaufen wir dir einen neuen.«

Erst in dem Augenblick begriff er, daß sein dort drinnen in den schrecklichen Flammen verbrannte. Einen neuen – er wollte keinen neuen! Es gab auf der ganzen Welt nur einen einzigen, und den hatte er in seinem Bett vergessen.

Er riß sich aus den Armen der Mutter los und rannte, so schnell er konnte, auf die Haustür und die Feuerwand zu.

2

Alfred Nobel erwachte. Sog die Luft durch die Nase ein, während er noch, das Gesicht auf den Armen, über den Tisch gebeugt dasaß. Rauch? Ja ...

Rasch war er auf den Beinen. Riß einen versengten Strumpf von den Herdringen. Verdammt, daß er so unordentlich sein konnte! Er hatte seine Strümpfe zum Trocknen über den Herd gehängt – und dann war einer der gewaschenen Strümpfe heruntergefallen. Auf die Ringe, und er hatte ganz einfach geschlafen.

Glück im Unglück, daß der Strumpf naß war! Andernfalls hätte General Müller vielleicht kein Haus mehr hier in Petersburg besessen.

Daß er von Rauch geträumt hatte, war also nicht verwunderlich. Merkwürdiger war schon, daß sein Alptraum von einem Ereignis handelte, das er selbst nie erlebt hatte und nur vom Erzählen kannte: wie sein Elternhaus Knaperstad bis auf den Grund abbrannte und mit ihm alles vernichtet wurde, was Eltern und Brüder besessen hatten.

Doch – Knaperstad war in der Neujahrsnacht 1832/33 abgebrannt, also beinahe zehn Monate vor seiner eigenen Geburt am 21. Oktober 1833. Seine Mutter war also in jener Neujahrsnacht nicht einmal mit ihm schwanger gewesen.

Es war das erste Mal, daß ihm dieser Gedanke kam: nämlich, was doch sein Vater für ein verfluchter Lump gewesen war. Seine Frau so kurz nach dem verheerenden Brand zu schwängern! Und ihr dann, drei Jahre darauf, noch ein Kind zu machen. Aber an diese Schwester hatte er kaum eine Erinnerung; sie starb, ehe sie zwei Jahre alt war.

Also, sein Bruder Robert war älter als drei und Ludwig wohl anderthalb Jahre alt, als Knaperstad brannte. Mutter und Vater hatten ihm das Inferno Hunderte Male ausführlich beschrieben – und seine Brüder hatten ihre schreckliche Überlegenheit bis zur Neige ausgekostet, indem sie behaupteten, sich an dies und jenes zu erinnern. Sicher, er glaubte ihnen, daß sie sich erinnerten. Ein so furchtbares Erlebnis vergaß ein Kind nicht. Doch hatten sie im Laufe der Jahre bestimmt so einiges hinzuerfunden und die Sache ausgeschmückt.

»Mein Teddy!« ahmte er den Alptraum nach, laut, wie es ihm in seiner Einsamkeit zur Gewohnheit geworden war. Ich kann keinen Teddy besessen haben, der damals verbrannt ist. Vielleicht hatte Robert einen? Oder Ludwig? Er konnte sich nicht erinnern, daß jemals von irgendwelchen in Flammen aufgegangenen Bären die Rede gewesen war. Wahrscheinlich hatten sie doch davon gesprochen, zumindest einer von ihnen – denn wie sollte er sonst darauf kommen ...?

Er schüttelte seinen noch vom Schlaf benommenen Kopf wie um den Alptraum loszuwerden. Spürte, daß er kaum schlucken konnte, ganz trocken war sein Hals. Oder bekam er etwa eine Halsentzündung? Vielleicht Diphtherie?

Er stolperte über seine Schnürstiefel auf dem Weg zum Wassereimer, griff nach dem Schöpfbecher und trank direkt daraus. Zu spät erinnerte er sich, daß das Wasser aus der Newa kam; jetzt trank er sich wohl die Cholera an!

»Soll es geschehen! Hauptsache, sie ist tödlich ...«

Er trank den Becher leer, sicherheitshalber. Es schmeckte genau so widerwärtig, wie man es von der Cholera erwarten durfte!

Während er trank, dachte er, daß dieser verrückte und eigenartige Traum vielleicht doch nicht so abwegig war. Denn gerade jetzt war er ebenso bettelarm und ohne jede Zukunft wie damals, vor beinahe dreißig Jahren, als er in die Familie des Immanuel Nobel hineingeboren wurde.

Die Petroleumlampe war während seines unfreiwilligen Schlafes leergebrannt. Das spielte keine Rolle; der Maientag war schon so hell, daß er ohne Lampenlicht auskam. Er blickte in dem Raum umher, der Laboratorium, Schlafraum, Bibliothek und Küche zugleich war. Schön, daß Mutter Andriette diesen Schweinestall nicht zu sehen brauchte! Sie glaubte, er habe noch immer die Wohnung, die er sich mit Robert geteilt hatte. Doch nachdem Robert geheiratet hatte und nach Finnland gezogen war, hatte Alfred nicht die Mittel, um die unchristlich hohe Miete zu bezahlen. Beinahe 234 Rubel für vier Monate – wo er selbst gezwungen war, sich mit zehn Rubeln im Monat durchzuschlagen! Roberts und jetzt sein Sekretär Nikolajew hatte sich mit dieser Summe im Monat begnügen müssen. Alfred hatte beschlossen, daß dieser ›Lohn‹ auch für ihn zu reichen hatte, jetzt, wo er gezwungen war, sich einzuschränken. Besonders, da er nicht das Herz gehabt hatte, Nikolajew auf die Straße zu setzen, sondern ihn noch immer als ›Schreiber‹ beschäftigte, obwohl er von dem Mann nie eine geschriebene Zeile verlangte ...

3

»Mama, wir sind doch nicht arm?«

Die Brüder hatten ihn mit leichtem Spott erinnert, daß er, kaum ein bißchen zu Verstand gekommen, ständig dieselbe Frage gestellt hatte.

Er entsann sich nicht, was Mutter geantwortet hatte, vermutlich hatte sie ihn beruhigt: Nein, arm waren sie nicht! Und sicher, er hatte ein Dach über dem Kopf und bekam jeden Tag satt zu essen. Das war mehr, als manch anderes Kind in Stockholm besaß. Er wußte noch, wie er sich mit einem flauen Gefühl im Bauch und scheinbar nichts sehendem Blick an die Hauswand gedrückt hatte, wenn das zerlumpte Wolfsrudel der Bettelkinder die Norrlandsgatan entlangzog. Einige barfuß – obwohl das in dem Morast auf dem Kopfsteinpflaster kaum zu sehen war. In dem Abfall, dem jahrealten Laub und dem Pferdemist versanken die Kinder bis weit über die Knöchel. Bei diesen Begegnungen fühlte er Erleichterung über seine armselige Kleidung. Ein schneller Blick sagte den jagenden Wolfsjungen, daß es sich kaum lohnen würde, ihm die Fetzen herunterzureißen.

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