»Na, wen haben wir denn da!«, sagte sie und fixierte Ramzy mit ihren kleinen Äuglein. »Ihr zwei gebt ein hübsches Paar ab auf dem Weg zum Altar!«
Ich rang mir ein Lächeln ab, als würde ich ihre Bemerkung witzig finden, sagte aber nichts, was meistens am besten ist.
Sass verschränkte die Arme vor der Brust und drehte ihr Kinn Ramzy zu. »Trägst du etwa dein Schulshirt? Am Wochenende? Du darfst dich schon umziehen, das weißt du hoffentlich.«
Mir war es gar nicht aufgefallen, aber Ramzy trug tatsächlich das blaue Schul-Poloshirt unter seiner viel zu großen Jacke. Ramzy zuckte die Achseln und murmelte: »Es ist sauber und mir gefällt’s.«
Sass kann einen schon das Fürchten lehren. Als ich die Klappe von der Kackrutsche öffnete, sagte sie: »Pass bloß auf, dass du nicht reinfällst.«
Ich zuckte zusammen, als könnte sie mich jeden Moment da runterschubsen. Schweigend kippte ich den Eimer aus.
Ramzy kann leider nie den Mund halten. »Wenigstens würde sie durchpassen«, murmelte er.
Ramzy, dachte ich. Muss das sein?
»Was meinst du damit? Machst du dich etwa lustig über …« Mitten im Satz unterbrach sie sich, weil der Pfarrer kam und sich die Hände rieb.
»Ah! Großartig! Ihr macht das großartig! Gepriesen seien die Hände, die das Antlitz der Erde von den Hundewürsten befreien .«
»Steht das in der Bibel?«, fragte Ramzy.
»Nein, das ist von mir«, sagte der Pfarrer.
Während Ramzy und ich uns verzogen, warf uns Sass böse Blicke nach.
So ist sie eben. Kennt ihr das Sprichwort: Wenn du nichts Nettes zu sagen hast, sag lieber gar nichts? Sass hat es offenbar in den falschen Hals gekriegt: Wenn du nichts Gemeines sagen kannst, sag lieber gar nichts .
Eine fiese Bemerkung von Sass Hennessey führte dazu, dass sechs Monate später fast die Welt unterging. Und wenn ihr jetzt denkt, ich übertreibe, lasst es mich erklären.
Also, bis vor Kurzem waren noch alle Hunde in Sankt Bello gesund. Aber jetzt … jetzt nicht mehr.
Und das ist alles meine Schuld.
Die Angst, sich mit Krankheiten anzustecken, ist in den vergangenen ein, zwei Jahren immer größer geworden. In der Schule heißt es ständig: Ansteckung hier, Ansteckung da. Das einzig Gute daran ist, dass man bloß ein bisschen husten muss, und schon wird man nach Hause geschickt.
Letztes Jahr wurde in der Marine-Drive-Grundschule in allen Klassenzimmern am Eingang ein Spender mit Desinfektionsmittel für die Hände montiert. Das war wohl ein neues Gesetz.
Zu meinen Aufgaben im Sankt Bello gehört es, dass ich mich um die Hygienematten und die Spender mit Handdesinfektionsmittel auf der Quarantänestation kümmere. Dorthin kommen die Hunde, wenn sie krank sind. Die Hygienematten sind schwammige, feuchte Abtreter, an denen man die Schuhsohlen vor und nach dem Betreten der Quarantänestation abstreift.
Jedenfalls passierte es ein paar Tage nach unserem ersten Besuch bei Dr. Pretorius.
Als Erstes hatte ich die Desinfektionsflüssigkeit in den Hygienematten nachgefüllt, bevor ich in die Quarantänestation ging, um nach Dudley zu schauen, der was mit dem Magen hatte. Er war öfter mal krank, deshalb habe ich mir auch keine großen Sorgen gemacht. Vielleicht erinnert ihr euch noch, dass er am Strand diese tote Möwe im Maul hatte, darauf habe ich es zurückgeführt.
Dudley befand sich hinter einem Maschendrahtzaun, der mir bis zum Kinn reichte. Am Eingang lagen Gummistiefel und Gummihandschuhe, die ich anzog, bevor ich zu ihm ging. Dudley wedelte schwach mit seinem krummen Schwanz.
»Na, du verrückter Kerl«, sagte ich, »geht’s dir besser?« Sonst lasse ich mir von Dudley immer das Gesicht ablecken, aber auf der Quarantänestation dürfen wir das nicht, deshalb habe ich ihm ein wenig den Bauch gekrault. Mit den Gummihandschuhen ist es nicht das Gleiche, aber Dudley schien es nicht weiter zu stören.
Vor ein paar Tagen war eine Familie hier, die ihn fast aufgenommen hätte, aber Dudley sieht einfach zu schräg aus.
»Das kleine Mädchen fand ihn süß«, meinte der Pfarrer, »und sie hat was zu ihrer Mutter auf Chinesisch gesagt. Natürlich konnte ich die Unterhaltung nicht verstehen, aber der Vater zeigte daraufhin auf Dudleys fehlendes Auge, die Zähne und sein Ohr. Dann sind sie gegangen.«
Armer, hässlicher Dudley! Ich dachte an das chinesische Mädchen, das sich in ihn verliebt hatte, und an ihren Vater, dem er zu seltsam aussah.
Insgeheim war ich doch sehr erleichtert. Ich weiß, dass es die Hunde in einer Familie besser haben als in Sankt Bello, aber ich könnte es nicht ertragen, Dudley zu verlieren.
Ich sah ihn genau an. Dem armen Kerl ging es nicht besonders gut. Das Fressen hatte er kaum angerührt, aber er hatte Wasser getrunken und auch einen Haufen in die kleine Kiste mit dem Sand gemacht, die ich auswusch und desinfizierte. Alles genau nach Vorschrift. Dann warf ich seinen klitschigen Tennisball ein paarmal, aber Dudley war nicht sonderlich interessiert, und dann habe ich den Ball ein wenig zu heftig geworfen, sodass er über den Zaun sprang und wegrollte und wir aufhören mussten.
Ich kam aus der Quarantänestation und wollte nun noch die Spender auffüllen (die waren nämlich leer), als ich ausgerechnet auf Sass Hennessey traf. Eine Hand in die mollige Hüfte gestemmt, stand sie da und warf das Haar zurück.
»Hiiiii!«, rief sie, aber in ihren Augen lag kein Funken Wärme.
»Hallo, Saskia.«
»Gerade habe ich zu Maurice gesagt, dass es hier jetzt richtig schön aussieht.«
Maurice? Maurice? Außer meinem Vater, der den Pfarrer seit Ewigkeiten kennt, nennt ihn keiner so. Alle sprechen ihn mit Reverend Cleghorn an. Mal wieder typisch, dass Sass ihn beim Vornamen nennen muss. Ich war jetzt schon genervt, doch es sollte noch schlimmer kommen.
»Der hässliche alte Köter da«, sagte sie und legte den Kopf mit gespieltem Mitgefühl zur Seite. »Wäre besser, wenn man ihn einschläfert, was meinst du?«
Das war es: die fiese Bemerkung, von der ich gesprochen hatte. Ich brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass sie Dudley meinte. Dudley, meinen zweitliebsten Hund im ganzen Hundeheim! Ich klappte den Mund auf und zu, ohne dass ein Ton rauskam.
»Ist was, Georgie?«
»Nein, nichts.« Das stimmte natürlich nicht. Ich kochte vor Wut. Schweigend füllte ich das Desinfektionsmittel in den Spendern nach, streifte die Handschuhe ab, nahm etwas von dem Gel und verrieb es wütend in den Händen. Dann zog ich die Gummistiefel aus.
»Hey, so war’s doch nicht …«
»Warum sagst du’s dann erst? Du weißt doch genau, dass wir so was hier nicht machen.« Ich war kurz vorm Explodieren.
»Aber er ist doch so alt und krank …«
Nun platzte mir wirklich der Kragen. »So alt und so krank ist er nun auch wieder nicht. Kapiert?«, schrie ich.
Damit hatte Sass wohl nicht gerechnet. Leise sagte sie: »Oookaaay.« Dieses eine Mal hatte ich es ihr wirklich gezeigt.
Mit spitzen Fingern hob sie Dudleys vollgesabberten Tennisball auf, der zur Tür gerollt war. Sie gab ihn mir, und ich war gezwungen, mich zu bedanken. Es war ein seltsames Versöhnungsangebot.
Ich drehte den Ball in den Händen, während ich sie davongehen sah, dann warf ich ihn Dudley zu und schloss die Quarantänestation hinter mir.
Als ich zurück auf meine Station kam, war ich immer noch total sauer. Ramzy wartete auf mich mit Ben im Arm, dem knurrigen Jack Russell, der ihm unbedingt das Gesicht ablecken wollte.
»Guck mal!«, rief Ramzy ganz stolz. »Ich habe einen neuen Freund!«
»Hast du wirklich«, sagte ich. »Guter Junge, Ben«, und hielt ihm meine Hand hin, damit er sie lecken konnte. Dann streichelte ich zum Abschied noch mal jeden einzelnen Hund auf meiner Station.
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