Abgesehen von dem Bereich der Freundschaft und persönlichen Beziehungen, habe ich mir im Laufe der Jahre auf vielen Gebieten so manches erarbeitet, was mir Zufriedenheit gibt und mich glücklich sein lässt. Ich habe herausgefunden, dass ich an freien Tagen vor allem dann zur Ruhe komme und Glück empfinde, wenn ich drei Aspekte kombinieren kann: Genuss bzw. Entspannung, Aktivität und die dosierte sinnvolle Tätigkeit. Im Gegensatz zu früher bin ich viel aktiver, gehe häufiger aus und habe deshalb auch öfter die Möglichkeit, schöne Erfahrungen zu machen. Ich bin offener geworden und viel interessierter an meiner Umgebung.
Und wenn ich so mit offenen Augen durch die Gegend laufe, entdecke ich viel Schönes, was mir Freude macht. Ich bin sehr glücklich über diese Entwicklung und vor allem dankbar dafür, denn ich weiß natürlich, dass ich sehr viel Glück gehabt und liebe Menschen gefunden habe, die mich unterstützen. Anfangs war es schwer für mich, diese Unterstützung anzunehmen, ich war es nicht gewohnt, Schwierigkeiten mit anderen zu besprechen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Die Dinge, die mir wichtig waren, versuchte ich alleine, und was mir nicht gelang, ließ ich sein. Inzwischen weiß ich, dass das nicht immer der richtige Weg ist, weil sich vieles gemeinsam besser und leichter lösen lässt. Dennoch muss ich auch heute noch immer wieder ein gutes Mittelmaß finden zwischen Autonomie und Hilfsbedürftigkeit. Das muss ich immer wieder neu austaxieren.
Ein großes Glück war es für mich, eine schwere Erkrankung überwinden zu dürfen, die mich für einige Monate völlig außer Gefecht setzte. Ich hatte Angst, weil ich fürchtete, die Lebensfreude und die Aktivität, die ich mir über Jahre hinweg mühsam erkämpft hatte, wieder zu verlieren. Aber gleichzeitig erkannte ich auch die ungeheure Kraft, die man aus solch schwierigen Situationen ziehen kann. Das Leben wurde mir irgendwie kostbarer als vorher, ich bin nun dankbar, wenn ich morgens aufwache und mich gut fühle, denn ich weiß jetzt, dass das keineswegs selbstverständlich, sondern ein großes Geschenk ist. Viele kleinere Probleme erhielten einen anderen Stellenwert; was waren sie schon dagegen, dass ich weiterleben durfte? Dadurch haben sich meine geistige Flexibilität und meine Toleranz ein kleines bisschen vergrößert, wenn nicht alles exakt so läuft wie vorgesehen. Es gibt etwas, das wichtiger ist als Glück, und das ist der Sinn. Wenn man in einer Sache einen Sinn sieht, kann man auch unglückliche Zeiten überstehen. Sucht man dagegen nur und ausschließlich das Glück, dann ist Unglück gleichbedeutend mit Scheitern.
Ich bin insgesamt vielleicht nicht mehr so unbekümmert wie früher, aber ich habe vieles gewonnen, vor allem die alltägliche Dankbarkeit, wenn die Menschen, die mir wichtig sind, gesund bleiben. Dagegen ist alles andere zweitrangig.
Wichtig sind mir auch Routinen und Rituale, die verlässlich wiederkehren. Auch dadurch erklärt sich wohl meine Liebe zum Weihnachtsfest. Ganz egal, ob es mir gut geht oder eher nicht, ob ich müde, traurig oder glücklich, gesund oder krank bin – es wird in jedem Jahr aufs Neue Weihnachten werden. Für jeden Menschen und auch für mich. Das hat etwas ungeheuer Tröstliches. Die Welt verändert sich rasant, Stabilität und Sicherheit sind rar geworden, aber Rituale sind verlässlich und geben Sicherheit. Das macht sie für mich so wichtig, dass ich sie vor allem in schwierigen und anstrengenden Zeiten ganz gezielt in mein Leben einbaue. Das kann dann so aussehen, dass ich in diesen Momenten meinen Tag sehr eng strukturiere und bewusst so plane, wie es gut für mich ist. Es ist wichtig, zumindest ein Stück weit die Kontrolle über das eigene Leben behalten und eigene Entscheidungen treffen zu können. Und im Rückblick merke ich, dass die wichtigsten Entscheidungen in meinem Leben in Ordnung waren. Nur wenige Wege, die ich im Laufe der Zeit eingeschlagen habe, würde ich im Nachhinein verändern. Diese Erkenntnis gibt mir eine große Zufriedenheit, aber auch die Zuversicht, dass ich mich auch zukünftig auf meine Entscheidungen größtenteils verlassen kann und sich für die weniger glücklichen Momente Lösungen finden lassen. Es ist wichtig, nicht aufzugeben, denn irgendwie geht es weiter. Immer.
Vieles ist und bleibt natürlich schwierig, jeden Tag, auch in meinem Leben. Aber ich habe beruflich mein Glück gefunden, bin Ärztin, Therapeutin und Autorin und habe Beschäftigungen, die mich erfüllen. Ich hatte das Glück, eine Erkrankung geschenkt zu bekommen, die ich überwinden konnte, durch die ich menschlich sehr gereift bin und eine ganze Menge Lebenszufriedenheit neu erfahren habe. Ich habe die Wege eingeschlagen und die Ziele verfolgt, die ich selbst für richtig hielt, und ich hatte das Glück, dass sich an den entscheidenden Stellen Lösungen finden ließen für die auftretenden Schwierigkeiten.
Mein größtes Glück aber sind meine lieben Eltern und Therapeutinnen, die mich schon seit vielen Jahren unterstützen.
Und deshalb, aus all diesen Gründen, darf ich mich in meinem Leben über mangelndes Glück eigentlich nie wieder beschweren.
Einführung: Glück und Lebenszufriedenheit
Das Wort »Glück« kommt vom Mittelniederdeutschen gelucke/lucke (ab 12. Jahrhundert) bzw. vom Mittelhochdeutschen gelücke/lücke. Es bezeichnete den günstigen Ausgang eines Ereignisses unabhängig von einem bestimmten Talent oder von eigenem Zutun. Dagegen behauptet der Volksmund eine mindestens anteilige Verantwortung des Einzelnen für die Erlangung von Lebensglück in dem Ausspruch: »Jeder ist seines Glückes Schmied.«
Vermutlich ist beides richtig. Die Fähigkeit zum Glücklichsein hängt außer von äußeren Umständen auch von individuellen Einstellungen und vom Verhalten in entscheidenden Situationen ab. Und sie erfordert Aktivität, denn man muss sich erst einmal die eigenen Bedürfnisse bewusst machen und dann aktiv dafür sorgen, dass sie befriedigt werden.
Das Streben nach Glück ist dabei so alt wie die Menschheit selbst. Es lässt manche Menschen um die Welt reisen, zur Einkehr ins Kloster ziehen oder Drogen nehmen, es treibt andere in Yoga-Studios und ist Inhalt zahlreicher Ratgeber und Seminare, die stets neue Techniken vorstellen, die geeignet sein sollen, wirklich und tatsächlich glücklich zu werden.
Auch die Politik entdeckt Glück und Zufriedenheit für sich, so hat die Bundesregierung auf einer Klausurtagung eine neue Regierungsstrategie beschlossen, die einen Bürgerdialog zum Thema »Gut leben – Lebensqualität in Deutschland« beinhaltet. Später sollte dann anhand der Ergebnisse ein neues System von Indikatoren zur Beurteilung der Lebensqualität in Deutschland präsentiert werden (z. B. Demmer 2015).
Glück ist also ein wichtiges Ziel menschlichen Daseins, aber es ist nicht immer ganz leicht zu erreichen. Es gibt nicht »das« ultimative Glücksrezept für alle Menschen, weil eben jeder so unterschiedlich ist, eigene Wünsche, Vorstellungen, Ziele und Bedürfnisse für sein Leben hat und »Glück« (auch im Sinne von Zufriedenheit) auf ganz eigene Weise definiert.
Trotzdem ist es aber möglich, durch jahrelange Forschung einige Faktoren zu nennen, die den meisten Menschen ein bisschen dabei helfen können, ihr Glück zu finden und ein gutes Leben zu führen. Dazu gibt es die Glücksforschung als eine eigene Disziplin, und die Ergebnisse ihrer Untersuchungen werden in der »World Database of Happiness«, der Weltdatenbank des Glücks, in Rotterdam gesammelt.
Die Begriffe Glück und Zufriedenheit werden häufig synonym gebraucht. Wenn man es genau nimmt, gibt es aber durchaus Unterschiede. »Glück ist immer etwas Flüchtiges. Ein Zustand, der in Erwartung von etwas entsteht, der uns zu einer Handlung bewegen soll. Im Gehirn wird dazu ein Bereich aktiviert, in dem der Botenstoff Dopamin ausgeschüttet wird. Es kommt zu einem Feuerwerk, das aber schnell abbrennt. Zufriedenheit ist etwas völlig anderes. Sie entsteht, wenn die Bedürfnisse, die wir haben, auf Dauer weitgehend befriedigt werden«, erklärt der Psychoanalytiker und Kunsthistoriker Hans-Otto Thomashoff, dessen Buchtitel »Ich suchte das Glück und fand die Zufriedenheit« genau das verdeutlicht (Thomashoff 2014). Glück bezeichnet also das augenblicklich erlebte intensive Hochgefühl und findet daher immer nur im Jetzt statt. Zufriedenheit dagegen ist eher so etwas wie eine Bilanz über das Erlebte (u. a. Walter 2014). Sie resultiert aus dem Vergleich der aktuellen Lebenssituation mit der Vergangenheit bzw. dem »subjektiven Abwägen der eigenen Ziele und Ansprüche mit dem davon Erreichten« (Mayring 2000, zit. nach Bundschuh & Dworschak 2003, 34). Wenn also Menschen gefragt werden, wie glücklich sie sind, dann ist eigentlich die Zufriedenheit gemeint, und diese ist im Gegensatz zum Glück auch eine relativ stabile Eigenschaft. Die objektiven Lebensbedingungen haben natürlich durchaus einen Einfluss auf die Lebenszufriedenheit, aber sie können auch im völligen Gegensatz dazu stehen.
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