Vor dem Hause unten und in dessen weitem Flur ging es dann eine Weile lebhaft zu, denn etliche der Gäste wurden von ihren Schlitten abgeholt.
Herr von Thorgau und sein Vetter, der Magister, hüllten sich in ihre Mäntel und gingen zu Fuß. Sie redeten über den Verlauf des Festes, dem sie soeben beigewohnt und das zwar glänzend gewesen, dabei sich jedoch keiner seiner Teilhaber so recht wohl gefühlt hatte.
Natürlich redeten sie auch von Eva, die ja der Mittelpunkt des vornehmen Hauses war.
„Viel Herz scheint sie nicht zu haben“, bemerkte der Hauptmann.
Aber Schmutz widersprach ihm. „Du irrst“, sagte er. „Unter armen Leuten mußt du sie schauen, im Spittel, das sie schon seit Jahren regelmäßig heimsucht und darin die Alten und Kranken einen Engel in ihr sehen.“
„Dann schon einen Erzengel“, lächelte Thorgau. „Hätte sie Flügel und ein Schwert in der Hand, könnte man sie leicht für St. Michael halten.“
Der Magister nickte. „Richtig! Sie hat etwas Heldenhaftes in sich. Darum wird sie es wohl überstehen, falls sie nicht Gräfin Lascienska werden sollte.“
Im Hause des Baumeisters fand man nicht so bald den Schlaf. Zwischen Bauernfeind und dem Grafen, der erst viel später als die anderen Gäste gegangen war, hatte es eine stürmische und zwischen Anselmus und Heinrich Traudel eine zwar stille, aber dennoch ebenfalls aufregende Unterredung gegeben. Und so konnten weder Vater und Sohn, noch auch der wackere Geselle bald einschlafen.
Und Eva? Es war schon gegen Morgen und noch ging sie, geschmückt wie beim Feste, in ihrem Schlafgemach umher.
Es war ein wunderschöner Raum. Die mit hellem, reichgeschnitztem Holze bedeckten Wände wurden nur durch einige Felder unterbrochen, die mit lichtblauer, flimmernder Seide bespannt waren. Diese reizvollen Wände umschlossen ihnen gleichwertige Wohngeräte, Schränke und Truhen, ein köstliches Himmelbett, umwallt von schwerer, hellblauer Seide und ein Putztisch, auf welchem es von Silber blitzte.
In diesen Raum paßte Eva Bauernfeind sehr gut und sie war das Schönste darin, war es auch jetzt, da sie bleich und händeringend auf und nieder ging.
Wiewohl sie sich müde fühlte, wie noch nie in ihrem Leben, konnte sie nicht ruhig bleiben. Mehrmals hatte sie sich, der Müdigkeit nachgebend, auf den Polsterstuhl niedergelassen, der vor ihrem Putztisch stand, aber da hatte ihr Gesicht aus dem Spiegel geschaut, dieses blasse Gesicht, aus dem Leid, Angst und quälende Scham sprachen.
Dieser Anblick hatte sie wieder durch das Gemach gehetzt, darin sie bis jetzt ihres Lebens und ihrer Schönheit froh gewesen war.
Wie ein Menschenleben innerhalb einer Stunde sich so ganz verändern, wie sein Inhalt ein so ganz anderer werden kann!
Freilich, vorbereitet war sie darauf, daß irgend etwas Peinliches da war. Schon seit Tagen war ihr Vater so seltsam ruhelos; sie hatte sich schon Sorgen hingegeben, sie hatte auch schon mit Heinrich Traudel, der ihrem Vater sehr nahe stand, über ihn geredet; aber Heinrich war ihren Fragen ausgewichen und einmal — als sie die Frage tat, ob vielleicht Verarmung ihm drohe, da hatte der sonst so stille, bescheidene Jugendfreund laut aufgelacht und höhnisch geantwortet: „Das ist’s nicht. Was ich fürchte, ist — daß Euer Reichtum sich noch vermehren wird.“ Dann war er, als empfände er, schon zu viel gesagt zu haben, davongegangen.
Dann war das Fest und der Überfall, die Werbung und deren Abwehr und dann — dann hatten Lascienski und ihr Vater miteinander geredet und sie war, ungewollt, heimlich Zeugin dieser Unterredung gewesen.
Da wußte sie alles! Und deshalb war sie in ihr Schlafgemach geflüchtet, deshalb hat nicht einmal eine der Mägde mehr zu ihr kommen dürfen, die, einer Irrsinnigen gleich, stundenlang ohne Ruh und Rast auf und nieder rennt wie ein zu Tod verwundetes, schmerzgepeitschtes Edeltier. Als die Uhr von Sankt Stephan sieben Schläge tat, stand Eva eben am Fenster und starrte zu dem herrlichen Turm hinüber, dessen Form schon aus der weichenden Morgendämmerung tauchte.
„Licht wird es, Gott im Himmel! Wie fürchte ich jetzt das Licht!“ murmelte sie. Da rasselte unten das Tor und Hufschlag wurde hörbar. Frater Anselmus, auf einem bescheidenen Klosterklepper sitzend, ritt aus dem Hause.
„Gott sei mit Euch, junger Herr!“ hörte man die tiefe Stimme des Pförtners Peter sagen, und ihr Bruder antwortete: „Bruder Anselmus bin ich, guter Peter. Ein Armer, der in sein armes Kloster zurückkehrt. Gott sei mit euch allen, die ihr in diesem Hause, in dieser trauten Stadt wohnt.“ Die Stimme verhallte, das Rößlein trabte weiter. Es wurde wieder still.
Eva hatte ihrem Bruder einen Abschiedsgruß nachrufen wollen, aber sie tat es nicht. Sie ließ die Hände wieder sinken und murmelte: „Zieh in Frieden, du Kluger, der du den Narrenprunk dieses Hauses hinter dir gelassen hast. Gott ist mit dir, mein Bruder, wer aber wird mit uns sein?“
Etliche Stunden später hielten zwei prächtige Schlitten vor dem Hause des Baumeisters, um die drei geladenen Gäste abzuholen.
In dem einen Schlitten unter silbergrauen Fellen huschelte sich Anna, des Magisters Frau, zusammen, deren liebes Gesicht von der Kälte schon rosig gefärbt war. Ihr Mann, der bei ihr gesessen, hatte den Schlitten verlassen, um mit Thorgau Eva herunterzuholen.
Sie trat ihnen schon im Flur entgegen. Auch Frau Hähnlein in ein Tuch gehüllt, war heruntergekommen. „Lieber Magister“, sagte sie ein bißchen aufgeregt, „welcher von den beiden Herren wird der Kavalier Evas sein? Der muß nämlich ein bißl aufpassen, denn unser Kind ist nicht wohl und will die Fahrt doch nicht unterlassen.“
„Aber liebe Muhme, mach’ doch nicht so ein Wesen aus meinem bißchen Kopfweh“, bat Eva und setzte, den Herren beide Hände reichend, hinzu: „Eine vergnügliche Gesellschaft werde ich aber wirklich nicht sein; also wer wird so vorsichtig sein, nicht mit mir zu fahren?“
„Ich habe nie für besonders vorsichtig gegolten“, warf Herr von Thorgau rasch ein und der Magister setzte lustig hinzu: „Und mich hält man mit Recht für eifersüchtig. Nicht um eine Welt ließe ich Wolf Dietrich mit meiner Frau fahren. Also bleibt er Euch, liebe Eva.“
„Na, dann rasch in den Schlitten“, drängte Frau Hähnlein, „und ums Dunkelwerden seid Ihr wieder zurück.“ Und die geschäftige Frau ließ es sich nicht nehmen, „unser Kind“, von dem sie reichlich um Haupteslänge überragt wunde, auch recht gut in die Bärenfelle einzuhüllen.
Mit einem liebreichen Lächeln grüßte Eva ihre alte Verwandte, die Pferde zogen an und unter Schellengeklingel nahmen die beiden Schlitten ihre Fahrt auf.
Es ging zum Schottentor hinaus. In den engen, krummen Gassen der Stadt war es nicht sehr kalt; als die Schlitten jedoch ins Freie kamen, machte sich das scharfe Frostwetter recht bemerkbar. Es war ein prächtiger Wintertag. Vom lichtblauen Himmel strahlte das Sonnenlicht auf die schneebedeckten Fluren und ließ Millionen farbenreicher Fünkchen in den weißen Flächen aufblitzen, an denen die Fahrzeuge vorüberkamen.
Bald lag die Vorstadt Roßau hinter ihnen, die Hügel von Nußdorf tauchten auf und immer näher kam man dem Leopoldsberg, an dessen Fuß die Straße weiterführt nach der lieben, alten Stadt Klosterneuburg.
Stolz ragte die feste Babenbergerburg in den lichten Himmel und weiter drüben im Lande duckten sich das Kahlenberger Kirchlein und das Kloster der Kamaldulenser unter die mächtigen Baumriesen, die schon seit hunderten von Jahren auf Wien, das mauerumgürtete Bollwerk der Christenheit, hinüberschauten.
Und auf all diesem lag die weiße Pracht des Winters, bestrahlt vom Sonnenlicht.
Anna und der Magister plauderten und lachten zuweilen so laut, daß es die hinter ihnen Fahrenden gut hören konnten, wie froh den beiden zumute war.
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