Marie Louise Fischer
SAGA Egmont
Leonore setzt sich durch
Genehmigte eBook Ausgabe für Lindhardt og Ringhof Forlag A/S
Copyright © 2017 by Erbengemeinschaft Fischer-Kernmayr, ( www.marielouisefischer.de) represented by AVA international GmbH, Germany ( www.ava-international.de)
Originally published 1972 by F. Schneider, Germany
All rights reserved
ISBN: 9788711719541
1. Ebook-Auflage, 2017
Format: EPUB 3.0
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Die Eßlinger Zeitung:
„Eine lehrreiche Geschichte, die zeigt, daß nicht alles zu erreichen ist mit Lidschatten und Wimperntusche und daß es viel wichtiger ist, eine gute Kameradin zu sein – auch den Jungen gegenüber.“
Von Marie Louise Fischer gibt es 22 Schneider-Bücher mit einer Gesamtauflage von 2 Millionen.
Eine Schwester hat es schwer
Die Sommerferien waren vorüber, und die Freundinnen aus der Parkschule waren in die nächste Klasse aufgestiegen. Sie begrüßten sich mit Hallo und suchten sich ihre Plätze im neuen Schulraum.
Auch Herr Alte wurde freudig willkommen geheißen. Alle waren froh darüber, daß er im neuen Schuljahr ihr Klassenlehrer blieb, denn inzwischen kamen sie prächtig mit ihm zurecht.
„Wir haben ihn uns erzogen“, pflegte Katrin mit der großen Klappe bei passender Gelegenheit zu behaupten.
Am ersten Morgen gab es noch keinen Unterricht, sondern es wurde nur der Stundenplan ausgegeben und von den Ferien erzählt.
Kaum war Herr Alte gegangen, schlug Katrin vor, gleich die Klassensprecherin zu wählen. „Alles herhören!“ rief sie. „Ich schlage Olga vor! Sie war ja nur knapp einen Monat an der Reihe, und ich finde, daß sie sich doch bewährt hat!“
„Wer die meisten Stimmen hat, siegt!“ Leonore schnipselte Rechenpapier in gleichmäßige Streifen und verteilte sie unter ihre Mitschülerinnen.
Jede kritzelte einen Namen auf das Papier, legte es zusammen und warf es dann in den Korb, den Katrin durch die Reihen gehen ließ.
Katrin öffnete die Wahlzettel am Lehrertisch, zählte sie aus – und siehe da, die rothaarige Olga war erneut zur Sprecherin gewählt worden, diesmal in geheimer und gesetzmäßiger Wahl.
„In Anerkennung deiner Verdienste!“ erklärte Katrin begeistert und klopfte ihr kräftig auf die Schulter.
Auch die anderen gratulierten herzlich.
Nur die spitznasige Silvy stichelte mit hochgezogenen Augenbrauen: „Bilde dir bloß nichts drauf ein, Olga! Wer, außer dir, will schon dieses blöde Amt haben?“
Olga konnte nicht verhindern, daß sie einen roten Kopf bekam. Aber statt wie früher einzuschnappen, parierte sie tapfer: „Sei bloß still, du! Aus dir spricht ja nur der blasse Neid!“ Sogar ein Lächeln brachte sie dabei zustande.
„Bravo!“ rief die kleine Ruth und hüpfte von einem Fuß auf den anderen. „Du machst dich!“
Olga strahlte, und Katrin riß ihren großen Mund auf und lachte so ansteckend, daß sogar Silvy mit einstimmte.
Keiner der Freundinnen fiel es auf, daß Leonore nur ein recht süßsaures Lächeln zustande brachte. Fast zwei Jahre war sie selber Klassensprecherin gewesen und hatte dieses Amt, davon war sie überzeugt, zur allgemeinen Zufriedenheit vertreten. Zwar hatte sie behauptet, es längst satt zu haben, und immer wieder vorgeschlagen, daß mal eine andere an die Reihe kommen sollte, aber im geheimen hatte sie eben doch gehofft, daß die Mitschülerinnen auf sie zurückkommen würden. Schließlich war sie die bravste und die vernünftigste in der Klasse. Wenn es einen Streit zu schlichten gab, war immer sie es, die auf den Plan trat und das Kunststück fertigbrachte.
Leonore war nicht nur bei ihren Mitschülerinnen angesehen und beliebt, sondern, vielleicht sogar mehr noch, bei den Erwachsenen. Es wollte ihr nicht in den Kopf, daß es ausgerechnet Olga, der überempfindlichen und unsicheren Olga, gelungen war, sie auszustechen.
Aber sie dachte nicht daran, ihrem Ärger auf diese oder jene Weise Luft zu machen, sondern sie fraß ihn, wie es ihre Art war, still in sich hinein. Es wäre ihr schrecklich gewesen, wenn die anderen sie durchschaut hätten. Doch sie schämte sich auch vor sich selber. Wie konnte sie nur so kindisch sein!
Zu Hause beim Mittagessen berichtete sie so beiläufig wie möglich von dem Ereignis.
„Olga? Da kann ich mir vorstellen, wie stolz sie ist!“ sagte ihre Mutter. „Eigentlich hätte ich ja gedacht, du würdest wieder an die Reihe kommen.“
„Ich? Aber, Mutti!“ Leonore brachte sogar ein kleines Gelächter zustande. „Wie kommst du denn darauf? Ich habe doch gar nicht kandidiert.“
„Wohlweislich“, bemerkte Peter, einer der beiden älteren Brüder und duckte den Kopf, als wenn er einen Klaps erwartete.
„Was willst du damit sagen?“ fragte Leonore prompt.
„Daß bestimmt niemand so eine Tugendtante wie dich wählen würde“, behauptete Paul, der wie fast immer die Gedanken seines Zwillingsbruders erraten hatte.
Leonore schwieg betroffen.
„Ihr seid wieder mal recht häßlich, ihr beiden“, tadelte die Mutter.
„Wir sagen bloß, was wahr ist“, beharrte Paul.
„Sie ist nun mal ‘ne olle Spaßverderberin!“ stimmte Peter zu.
Jetzt hatte Leonore die Sprache wiedergewonnen. „Ist doch gar nicht wahr!“ rief sie.
„O doch!“
„Du merkst es bloß nicht mehr!“
Leonore war nahe daran, wütend zu werden, aber dann beherrschte sie sich und zuckte die Achseln. „Ich denke gar nicht daran, mich in einen Streit mit euch einzulassen“, erklärte sie hoheitsvoll, „ihr wollt mich ja bloß ärgern.“
„Sehr klug von dir, Leonore!“ lobte die Mutter und stand auf. „Würdest du so lieb sein und heute für mich die Küche machen? Ich muß dringend zum Friseur.“
Leonore war mit den Freundinnen verabredet. Es war einer der letzten schönen Tage, und sie hatten alle zusammen ins Freibad gehen wollen. Unwillkürlich zog sie ein Gesicht. Aber es kam ihr gar nicht in den Sinn, sich zu weigern. „Können mir die Jungens nicht dabei helfen?“ fragte sie nur.
Die beiden waren mit einer Entschuldigung schnell bei der Hand. „Ausgeschlossen!“ riefen sie. „Wir haben heute nachmittag Sport!“ – „Und dazu einen Riesenhaufen Schularbeiten!“ – „Wenn wir im Haushalt helfen sollen, werden wir nie fertig!“ – „Und außerdem ist das keine Sache für Männer!“
„Das sieht euch mal wieder ähnlich“, stellte Frau Müller kopfschüttelnd fest.
„Sei nicht traurig, Leonore“, tröstete der kleine Andy, „ich hilfe dir!“
„Erstens heißt es ‚ich helfe’“, verbesserte ihn die Schwester, „und zweitens kenne ich deine Hilfe. Du läufst mir doch nur zwischen den Füßen herum, und ich muß froh sein, wenn du mir nichts zertöpperst.“
Andy war nicht beleidigt. „Na, dann nicht, liebe Tante!“ sagte er nur.
„Wenn ich fertig bin“, fragte Leonore, „darf ich dann fort, Mutti?“
„Ich werde so schnell wie möglich wieder zurück sein“, versprach die Mutter, „aber bis dahin … Jemand muß doch auf Ina aufpassen.“
Leonore seufzte. Die dreijährige Ina hatte vorgegessen und lag schon in ihrem Bettchen; man konnte nicht von ihr verlangen, daß sie alleine aufstand und sich anzog.
„Also gut, Mutti“, versprach Leonore, „ich mache es.“
Frau Müller lächelte ihr zu. „Meine Große! Ich wüßte nicht, was ich ohne dich anfangen sollte!“
Für dieses Lob der Mutter hätte Leonore noch ganz andere Opfer gebracht.
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