1 ...7 8 9 11 12 13 ...51 Natürlich ließe sich eine Duldungspflicht (jedenfalls in gewissem Umfang) explizit vertraglich vereinbaren.
In jedem Fall erforderlich wäre für die Duldungspflicht aber das Bestehen eines Vertragsverhältnisses und zwar zwischen dem betreffenden Nutzer und dem Hersteller. An diesem wird es aber insbesondere in der Automobilbranche in vielen Fällen fehlen. Regelmäßig wird das Fahrzeug bei einem Händler erworben, sodass der Eigentümer nur mit diesem und nicht mit dem Hersteller einen Vertrag eingeht. In anderen Fällen wird der Nutzer den Wagen nur im Rahmen eines Leasingvertrages verwenden; auch dann besteht das vertragliche Verhältnis ausschließlich mit dem Leasinggeber und nicht mit dem Automobilhersteller.
Inwiefern dennoch Updates durchzuführen sind, wurde bisher hauptsächlich mit umgekehrter Stoßrichtung diskutiert: Ausgangspunkt ist dabei die Frage, ob und inwiefern ein Anspruch des Nutzers auf Softwareupdates für vernetzte Gegenstände besteht. Am ehesten ließe sich ein separater – ggf. konkludent geschlossener – Softwarenutzungsvertrag zwischen dem Nutzer des vernetzten Fahrzeugs und dem Hersteller annehmen. Auch ein solcher ist im Ergebnis allerdings abzulehnen: Nicht nur würde ein solcher Vertrag der üblichen Interessenlage (man bedenke z.B. Mängelgewährleistungsfragen) nicht gerecht, es ist außerdem unklar, worin genau die zu erbringende Leistung bestehen sollte und wie der Vertrag zustande kommen soll, denn: Zwischen dem Hersteller und dem Fahrzeugnutzer besteht regelmäßig gar kein Kontakt. Etwas anderes gilt nur, wenn zwischen Hersteller und Nutzer ein ausdrücklicher Vertrag über die Durchführung von Updates geschlossen wird, d.h. der Nutzer seinerseits ein entsprechendes Angebot des Herstellers auf Einspielung von OTA-Updates annimmt. In diesen Fällen ist jedoch die Frage nach einer Pflicht zur Duldung solcher Updates obsolet – der Nutzer ist mit dem Abschluss eines entsprechenden Vertrags ja gerade daran interessiert.
Eine Pflicht des Fahrzeugnutzers, die Durchführung bestimmter Updates durch den Hersteller zu dulden, lässt sich damit nicht ohne Weiteres aus einem vertraglichen Schuldverhältnis herleiten.
bb) Duldungspflicht analog § 1004 Abs. 2 BGB
Unklar ist, woraus eine solche Duldungspflicht stattdessen abgeleitet werden könnte. Das Deliktsrecht eröffnet diese Möglichkeit nicht. Es ist grundsätzlich auf die nachträgliche Wiederherstellung des Integritätsinteresses der geschädigten Person gerichtet, nicht jedoch auf die Begründung von Pflichten, welche sich außerhalb dieser Haftungsfragen materialisieren. Auch die Produktbeobachtungspflicht, welche sich gerade aus § 823 Abs. 1 BGB ergibt, stellt insofern keine Ausnahme dar: Ihr dogmatischer Anwendungsbereich beschränkt sich auf die Begründung der Verletzungshandlung im Sinne von § 823 BGB als Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht.
Trotzdem erscheint es mit Blick auf die Interessenlage aller Beteiligten geboten, eine Pflicht des Nutzers eines vernetzen Kfz zur Duldung der Durchführung sicherheitstechnisch notwendiger Updates anzunehmen. Die Produktbeobachtungspflicht und die nachgeschalteten Gefahrenabwendungspflichten sind gerade darauf gerichtet, Gefahren für die Nutzer der fehlerbehafteten Sache und Dritte zu unterbinden. Sie dienen dem Schutz von Rechtsgütern von solch erheblicher Bedeutung, dass im Sinne der effektiven Gefahrenabwehr teilweise sehr schwerwiegende Einschnitte – bis hin zur Rückrufaktion – in die Interessen der Hersteller hinzunehmen sind. Die sich bei vernetzten Automobilen realisierbaren Gefahren sind dabei als besonders gravierend anzusehen. Wie bereits dargelegt geht mit dem Betrieb von Kraftfahrzeugen ohnehin schon eine erhöhte Gefahr einher, welche ohne Weiteres auch die überragend wichtigen Schutzgüter des Gesundheits- und gar des Lebensschutzes betreffen kann. Durch die zusätzliche Komponente der Embedded Software und deren Fehleranfälligkeit und Fremdsteuerbarkeit im Falle von Sicherheitslücken wird diese Gefahr weiter erhöht (siehe oben).
Dennoch ein Update-Verweigerungsrecht des Fahrzeugnutzers anzunehmen, stünde dem Schutzzweck der Produktbeobachtungspflicht entgegen. Die Effektivität der Gefahrenabwehr könnte nicht gewährleistet werden. Das Interesse des Fahrzeugnutzers, dass das Fahrzeug einschließlich der integrierten Software nur dann verändert wird, wenn er es wünscht, ist dem Gesundheits- und Lebensschutz aller potenziell gefährdeter Verkehrsteilnehmer unterzuordnen.
Ein Anknüpfungspunkt für eine zivilrechtliche Duldungspflicht ist damit allerdings noch immer nicht gefunden. Tatsächlich sind dem Bürgerlichen Gesetzbuch Überlegungen wie die eben dargelegte aber nicht fremd. Obwohl es Duldungspflichten nur in den seltensten Fällen regelt,53 sind einige Ausnahmen gegeben, siehe vor allem §§ 906ff. BGB, welche insbesondere nachbarrechtliche Sachverhalte regeln.54 Besonders prominent ist allerdings § 1004 Abs. 2 BGB, welcher den sich aus einer (rechtswidrigen) Eigentumsbeeinträchtigung ergebenden Beseitigungs- bzw. Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB entfallen lässt, wenn der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist.
Fraglich ist, ob sich die hier erforderliche Duldungspflicht aus vorgenanntem § 1004 Abs. 2 BGB, oder zumindest aus dem ihm zugrunde liegenden Rechtsgedanken, ableiten lässt.
§ 1004 Abs. 1 BGB erfordert zunächst eine Eigentumsbeeinträchtigung, welche sich nicht in der Entziehung oder der Vorenthaltung des Besitzes erschöpfen darf. Tatsächlich lässt sich in der Veränderung der Software von außen, mithin durch den Hersteller, eine Art Eigentumseingriff erblicken.55 Der Käufer eines vernetzten Fahrzeuges erwirbt das Eigentum an einer Sache in einem bestimmten Zustand. Dies schließt Nutzungsrechte an der Embedded Software in dem Maße mit ein, wie diese zur eigentumsgleichen Nutzung der Sache erforderlich sind, handelt es sich bei dieser schließlich um einen integralen Bestandteil der Gesamtsache. Jede Veränderung der integrierten Software berührt damit den Gesamtgegenstand „vernetztes Fahrzeug“, sodass eine Eigentumsbeeinträchtigung gegeben ist (siehe bereits oben). Ob diese Beeinträchtigung den Voraussetzungen des § 1004 Abs. 1 BGB genügt, braucht an dieser Stelle nicht abschließend geklärt zu werden, da nicht der Unterlassungsanspruch des Fahrzeugeigentümers, sondern die Duldungspflicht des Fahrzeugnutzers begründet werden soll.
Gegenstand der hiesigen Betrachtung muss daher vielmehr die Dogmatik betreffend § 1004 Abs. 2 BGB sein. Die dort normierte Duldungspflicht wird als Konkretisierung der Einschränkung des Eigentumsrechts in § 903 Satz 1 BGB verstanden,56 wonach der Eigentümer nur insofern nach Belieben mit der Sache verfahren kann, als das Gesetz oder Rechte Dritter nicht entgegenstehen. Duldungspflichten im Allgemeinen erlauben demnach eine Verschiebung der Eigentumsgrenzen, soweit dies wegen besonders geschützter Interessen Dritter erforderlich ist.57 Grundlage für Duldungspflichten können sowohl Regelungen des Privatrechts als auch des öffentlichen Rechts sowie vertragliche Vereinbarungen sein.58 In Rechtsprechung und Schrifttum wurden über die Jahrzehnte feststehende Fallgruppen gebildet, deren jeweilige Behandlung mehr oder weniger streitig ist; das wohl bekannteste Beispiel ist die bereits erwähnte nachbarrechtliche Duldungspflicht.59 Oftmals wurde auch der Gesetzgeber selbst aktiv und hat entsprechende Duldungspflichten explizit normiert, wie beispielsweise im Bereich der Regelungen betreffend Infrastrukturnetze.60 An einer solchen Regelung fehlt es für den Bereich der sicherheitsrelevanten Updates der Software vernetzter Fahrzeuge. Auch scheidet die Annahme einer vertraglichen Vereinbarung von Duldungspflichten zwischen dem Fahrzeugnutzer und dem Hersteller mangels Vertrages im Allgemeinen aus (siehe oben). Zudem: Wäre eine solche Duldungspflicht gegeben, würde sich der Rückgriff auf (den Rechtsgedanken des) § 1004 Abs. 2 BGB ohnehin erübrigen.
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