Als die Sonne aufging, erstrahlte der alte Tempel in hellem Glanz und funkelte, als sei er aus purem Gold.
Mönche bewegten sich dort in safrangelben und orangefarbenen Gewändern. Überall waren Elefanten zu sehen. Hinter dem Königspalast begann der Ort mit seinen vielen kleinen Häusern. Es herrschte wesentlich mehr Geschäftigkeit, als sie angenommen hatten.
„Ich habe Angst“, sagte Chandra. „Jetzt, da wir davorstehen, sieht alles ganz anders aus. Ich traue mich kaum in den Tempel.“
„Du brauchst ja nicht mitzugehen“, sagte Malindi verächtlich. „Aber der Ruhm gehört dann mir.“
Sie schlossen sich einer kleinen Prozession an und gelangten unbehelligt in den Tempel.
Dort war alles in dunstigen, aromatischen Rauch gehüllt. Die heiligen Männer, die sich im Tempel aufhielten und ihn bewachten, waren nur als dunstige Schatten zu erkennen.
Öllampen flackerten, ein monotoner Singsang war von irgendwoher undeutlich zu hören, und es ging wie durch ein Labyrinth. Je tiefer sie in den Tempel gelangten, um so stiller und feierlicher wurde es.
Zwei heilige Männer, mit wallenden Gewändern und Turbanen bekleidet, geleiteten sie in absoluter Stille und Düsternis. Kein Wort wurde mehr gesprochen, auch der Singsang verstummte.
Wie in Trance gingen die beiden ergriffen und ehrfürchtig weiter. Selbst Malindi wurde es jetzt mulmig zumute, und er hatte unbestimmte Angst vor seiner eigenen Kühnheit, den heiligen Zahn zu rauben. Doch diesen Gedanken schob er mit aller Macht beiseite.
Der Rauch benebelte ihre Sinne und ließ sie taumeln. Ihre Blicke verschleierten und wurden unklar. Alles war so unwirklich und fremd wie in einer völlig anderen Welt.
Es gab dunkle Ecken und Nischen, offene, geschlossene und geheime Türen und die Statuen von Gottheiten, deren verzerrte und manchmal schreckliche Gesichter in Rauch gehüllt waren. Rötliches Licht wechselte mit fahler grünlicher Beleuchtung, und mehr als einmal kniff sich Malindi in die Wange, weil er nicht mehr wußte, ob er träumte oder noch wach war.
Endlich standen sie zitternd vor dem Heiligtum.
Es lag in einem kostbaren Schrein mit dunkler Verglasung auf einem pompösen und reich verzierten dunklen Kissen, und es sah aus wie ein normaler, weißlichgelb schimmernder Backenzahn, nur etwas größer als ein normaler.
Andächtig und von tiefer Ehrfurcht erfüllt, sanken alle in die Knie. Die Priester und heiligen Männer murmelten leise und unverständliche Worte.
Malindis Herz klopfte bis zum Hals, als wieder Nebel aufwallte und aromatischer Rauch sie fast betäubte. Die Mönche waren nur noch wie durch dichte Schleier als Spukgestalten zu sehen.
Das also war der heilige Zahn des Buddha!
Malindi riß sich heftig zusammen. Durch den betäubenden Rauch entdeckte er eine angelehnte Tür. Er schob sich in die Nähe und wartete, bis einer der Männer in den safranfarbenen Gewändern verschwunden war.
Dann schob er Chandra schnell hinein und folgte ihm in den finsteren Raum.
Die schweigende Prozession ging lautlos an ihnen vorbei. Offenbar hatte niemand bemerkt, daß zwei Männer fehlten. Die Mönche verfielen vermutlich auch gar nicht auf den Gedanken, daß sich jemand in den Tempel schleichen könnte, um ihr Heiligtum zu rauben.
Um sie her wurde es immer stiller. Erst nach ein paar Stunden, die sie fast regungslos verbrachten, erschienen wieder heilige Männer und Mönche in dem Tempel und wiederholten die fast unheimliche Prozession.
Chandra und Malindi rührten sich nicht. Stocksteif standen sie in der Kammer oder dem Raum und lauschten. Sie waren von dem Rauch aus Kräutern und Ölen so betäubt, daß sie kaum noch denken konnten.
Stunde um Stunde verrann, bis es wieder still wurde. Malindi hatte sich die komplizierten Wege und Ausgänge gemerkt, aber jetzt, in der fast greifbaren Finsternis, war er sich nicht mehr so sicher, hier wieder herauszufinden.
„Du wirst sie später ablenken, indem du aus dem Tempel verschwindest“, raunte er Chandra zu. „Wenn sie dich bemerken, dann läufst du einfach los. Wir treffen uns später an jener Stelle am See, wo sich der kleine steile Abhang befindet.“
„Und du?“
„Ich hole den Zahn, ich weiß auch schon, wie ich das anstellen muß. Aber sie müssen dir erst folgen. Traust du dir das zu?“
„Ja“, hauchte Chandra, der froh war, daß sich Malindi an dem Heiligtum vergriff und nicht er selbst.
In der Zwischenzeit erkundete Malindi den Raum und erschrak, als er einen dunklen Sarkophag erkannte. Wahrscheinlich ruhten in ihm die Gebeine eines heiligen Mannes, der sich um den Tempel irgendwelche Verdienste erworben hatte.
Der Raum führte in einen weiteren, und es ging ein paar Stufen hinab durch einen Gang, der sich etliche Male verzweigte. Hin und wieder war eine kleine Ölfackel in eine Wandnische eingelassen, die das Gemäuer mit diffusem Dämmerlicht spärlich erhellte.
Malindi irrte weiter, bis sich die geheimnisvollen Gänge wieder vereinigten und in zwei Nischen ausliefen.
In einer der Nischen stand ein Priester fast reglos wie eine Statue. Er hatte einen hageren Totenkopfschädel, und in der Hand hielt er ein großes Krummschwert. Hinter der Nische erkannte Malindi einen schmalen Ausgang, der irgendwo ins Freie zu führen schien.
Lautlos kehrte er um und irrte lange durch die Gänge, bis er wieder in der Kammer mit dem Sarkophag eintraf, wo Chandra reglos an der Wand lehnte. Er hatte sich jetzt die Gänge gemerkt und war sicher, daß er sie auch bei völliger Dunkelheit finden würde. Chandra mußte dann den anderen Weg nehmen, auf dem sie hereingeführt worden waren.
Wie er da mit den Wächtern zurechtkam, war seine eigene Sache. Er sagte ihm alles im Flüsterton.
„In Ordnung“, hauchte Chandra.
Draußen mußte es schon dunkel sein, als Malindi die Kammer verließ und sich durch Rauch und Nebel tastete. Im Tempelraum brannte ein schwaches, rötliches Lacht, das die düstere Stimmung beklemmend stark hervorhob.
Niemand war zu sehen. Die Wächter standen wohl vor den anderen Gängen, wie er annahm.
Er schwang sich lautlos auf den Schrein hinauf und hatte dabei das Gefühl, bei lebendigem Leib zu verbrennen. Sein Körper war gespannt wie eine Bogensehne, und seine Hände zitterten so stark, daß er Angst hatte, das Heiligtum zu berühren.
Er hob den Deckel ab und stellte ihn mit klopfendem Herzen und klappernden Zähnen auf den Sockel.
Seine Finger ertasteten die heilige Reliquie und hoben sie heraus. Ein höllischer Schauer durchlief ihn bei der Berührung, und er wäre vor Angst fast von dem Schrein gefallen.
Aber augenblicklich spürte er auch, wie ihn nie gekannte Kräfte durchströmten, wie alles in ihm zu explodieren schien und Energien ihn durchflossen, von denen er nicht mal geträumt hatte.
Er fühlte sich erleuchtet wie Buddha unter dem Bo-Baum und wurde von einem Augenblick zum anderen ein anderer Mensch.
Ein Mensch? Nein, er war fast selbst ein Gott, der trunken vor Glückseligkeit war. Unbekannte Kräfte gingen auf ihn über, er hielt sich für unbesiegbar und jeder Gefahr gewachsen. Magische Kräfte drangen in ihn ein, Feuer durchrann ihn, Eiswasser pochte gleichzeitig durch alle seine Adern. Es war ein Gefühl unbeschreiblichen Glückes.
Der große Subedar war gegen ihn nur ein unbedeutender Dreck, ein absolutes Nichts.
Er verstaute die Reliquie in seinem Stoffbeutel und stieg von dem Schrein hinunter. Kein Zittern seiner Hände mehr, keine Angst, nicht mehr das Gefühl, einer Situation nicht gewachsen zu sein.
Lautlos kehrte er zu der Kammer zurück, wo Chandra heiser und unterdrückt aufstöhnte.
„Geh jetzt!“ befahl Malindi mit einer Stimme, wie Chandra sie noch nie an ihm gehört hatte. „Geh jetzt und stelle keine Fragen.“
Etwas Mystisches schien von Malindi auszugehen. Chandra fühlte sich ebenfalls von einem nie gekannten Schauer durchrieselt. Er gehorchte ohne Widerspruch und schlich lautlos durch den Tempel. Nicht mal Malindi hörte noch seine Schritte.
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