Es scheint also so zu sein, dass die Weiterbildung der Mitarbeiter zwar als wichtig empfunden wird, niemand aber so genau weiß, wie es richtig geht. Im Jahr 2015 boten zum Beispiel 77,3 Prozent der deutschen Unternehmen betriebliche Weiterbildung an. Große Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern kamen dabei auf einen Anteil von 100 Prozent. Demnach bot jedes Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern Weiterbildung an. [10]Was sie dabei unter Weiterbildung verstanden, unterscheidet sich voneinander ungefähr so wie Gelsenkirchen und Weihnachten. Manche zählten lediglich das Onboarding neuer Mitarbeiter zur Weiterbildung (immerhin, denn auch das ist nicht selbstverständlich), andere arbeiteten mit einer professionellen Weiterbildungsstrategie und eigener Inhouse-Akademie.
So oder so sind sich Experten einig, dass Weiterbildungskosten in Zukunft noch weiter steigen und noch individueller zugeschnitten werden [11] [12], sodass die Statistiken in ein paar Jahren wahrscheinlich deutlich anders aussehen werden. Der Grund hierfür sind unter anderem die technologischen Trends, die es erforderlich machen, in die Weiterbildung von Mitarbeitern zu investieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Das beschreibt auch schon die aktuellen Herausforderungen, denen sich wir Personalentwickler, Trainer, Führungskräfte und ganze Unternehmen ausgesetzt sehen.
3.2 Aktuelle Herausforderungen
In diesem Kapitel lege ich den Finger in die Wunde der Herausforderungen, die aktuell mit der digitalen Transformation und dem daraus resultierenden „War for Talents" einhergehen. Nachdem du dir in diesem Kapitel den aktuellen Herausforderungen bewusst wirst, zeigt dir das Buch anschließend auf, wie du endlich den verdienten Erfolg und persönliche Leichtigkeit in deinem Job erlangst.
3.2.1 Digitale Transformation
Wenn es dir wie mir geht, dann hast du das Gefühl, das Wort Digitalisierung wird aktuell als Grund für jedes Problem benutzt. Im Schreibprozess des Buches habe ich lange überlegt, dieses Kapitel einzubauen, um nicht eine von denen zu sein, die dich mit diesem Thema langweilt. Mein Drang zur Vollständigkeit hat zum Glück gesiegt, und letztendlich hat es das Wort sogar auf das Cover geschafft. Ja, so wichtig ist es! Und so schreibe ich nicht nur über Digitalisierung, sondern über die Konsequenz dieser: der digitalen Transformation. Doch zuerst definiere ich Digitalisierung, damit wir dasselbe Verständnis haben: „Wir sprechen von Digitalisierung, wenn analoge Leistungserbringung durch Leistungserbringung in einem digitalen, computerhandhabbaren Modell ganz oder teilweise ersetzt wird.“ [13]Klar! Aus analog wird also papierlos.
In Abgrenzung dazu, ist die digitale Transformationder grundlegende Wandel , der durch die Digitalisierung ausgelöst wird. Also die Veränderungen in der Gesellschaft, die auf die Trends der Digitalisierung zurückzuführen sind. In dem Zuge ist auch häufig von einer VUKA-Welt die Rede. Das Akronym steht für
- Volatilität,
- Ungewissheit,
- Komplexität und
- Ambiguität.
Ah ja! Auf Deutsch bedeutet das Folgendes:
Volatilität: Eine sprunghafte und schnelle Veränderung des Marktes, die meist von neuen Technologien, neuen Regularien oder kulturellen Trends ausgeht. Es entstehen zum Beispiel immer neue Wettbewerber, neue Produkte mit kürzeren Produktlebenszyklen, die sich, wieder ausgehend von weiteren Entwicklungen, erneut verändern, und so weiter.
Ungewissheit: Da diese Trends kaum vorhersehbar sind, sorgt dies für eine Unsicherheit bei Unternehmen, Führungskräften und uns Personalentwicklern, auf welchen Zug es sich lohnt aufzuspringen, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben. Durch dieses Zug-Hopping werden verschiedene Projekte und Veränderungen ständig und auf mehreren Ebenen gleichzeitig realisiert: Neu definierte Corporate Values, die umzusetzen sind; ein neues Bewerbermanagementsystem, in das sich eingefuchst werden muss; neue vegane Produkte, um der Nachfrage gerecht zu werden; und nicht zu vergessen: die Genderneutralität, die es in jeder Kommunikation umzusetzen gilt, sodass sich niemand auf den Schlips getreten fühlt. Das sind nur ein paar wenige unserer täglichen Veränderungsprozesse, die du bestimmt gut kennst.
Komplexität:Als Führungskraft ist es deshalb schwierig, den Überblick zu behalten und klare Ursache-Wirkungszusammenhänge zu erkennen. Dies ist jedoch wichtig, um eine gute strategische Entscheidung treffen zu können. Finde ich keine geeigneten Bewerber, weil wir Videobewerbungen verlangen oder weil sie sich in ihrem Gender nicht angesprochen fühlen? Kommen unsere Kunden, weil wir vegane Produkte anbieten oder weil unsere Werte zu ihnen passen? Wenn ich nicht weiß, warum etwas geschieht, weiß ich auch nicht, was ich tun kann, um erfolgreich zu sein.
Ambiguität:Durch die verschiedenen Einflussfaktoren kann die Informationslage also unterschiedlich interpretiert werden. Entsprechend ist die Gefahr von Fehlentscheidungen groß. So tendieren wir gern dazu, einfach beim Alten zu bleiben und uns nicht weiterzuentwickeln. (→ Doch was passiert den Leuten, die den Kopf in den Sand stecken, bis „dieses Internet” endlich vorbeizieht?)
Der Wandel durch die Digitalisierung bedeutet für die Personalentwicklung also nicht nur eine Veränderung von analog zu papierlos. Digitalisierung ersetzt schon heute ganze Aufgabenbereiche. Durch die Automatisierung von Routineaufgaben und künstliche Intelligenz wie Chatbots werden zum Beispiel ganze Kundencenter mit hunderten Stellen ersetzt. Auf der anderen Seite werden neue Stellen geschaffen wie im Bereich Big-Data-Analyse und Betriebliches Gesundheitsmanagement. Durch den schnellen Wandel werden Berufs- und Stellenprofile also fließend verändert und angepasst, was bei Mitarbeitern ein hohes Maß an Kreativität und Veränderungsbereitschaft voraussetzt. Aus Gründen der schlechten Planbarkeit werden zudem verstärkt spezialisierte externe Arbeitskräfte eingebunden. Experten in den eigenen Reihen auszubilden ist so schnell gar nicht realisierbar und würde sich möglicherweise gar nicht lohnen. Um strategische Unternehmensziele trotz schlechter Planbarkeit wegen dieser sprunghaften Veränderungen zu erreichen, ist Agilität in der Führung und Selbstorganisation der Mitarbeiter dringend nötig. Das bedeutet, dass sich Mitarbeiter selbstverantwortlich nach neuen Skills umsehen und sich Fertigkeiten aneignen müssen, statt sich wie bisher auf eine langfristig angelegte Weiterbildungsstrategie des Arbeitgebers zu verlassen. Es ist einfach zu unflexibel und zeitintensiv, mit neuen Ausbildungsmaßnahmen auf die Veränderungen des Marktes zu reagieren . Ehe alle Mitarbeiter geschult sind, ist der Trend schon wieder überholt. Was deshalb heutzutage nötig für das Überleben eines Unternehmens ist, sind Mitarbeiter, die überfachliche Soft Skills (persönliche, soziale und methodische Kompetenzen) und ein entsprechendes Mindset besitzen, um sich proaktiv und selbstwirksam an die schnellen Veränderungen anpassen zu können.
In solch einer selbstbestimmten Weiterbildung der Mitarbeiter dient die Führungskraft als „Enabler” (Ermöglicher) und Coach (Begleiter) und setzt auf die Selbstverantwortung sowie Selbstwirksamkeit (die Überzeugung einer Person, auch schwierige Situationen und Herausforderungen aus eigener Kraft bewältigen zu können) [14]seiner Mitarbeiter. Während fachliche Routinearbeit im Rahmen der digitalen Transformation also tendenziell automatisiert wird, richtet sich zukunftsorientierte Personalentwicklung neben Soft Skills auf die Pflege eines positiven Mindsets aus. Nur so ist es möglich, offen für Veränderung und kreativ in der Lösungsfindung zu sein, proaktiv zu handeln und sich schnell von Rückschlägen zu erholen. Spätestens jetzt ist klar, weshalb Personalentwicklung, wie sie noch vor zehn Jahren betrieben wurde, heute nicht mehr wettbewerbsfähig ist. Für die Personalentwicklung bedeutet dies eine tiefgreifende Transformation, die schon längst überfällig ist.
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