Freeman würde ihm Geld geben, zweifellos. Ein paar hundert Dollar vielleicht. Er hatte es ja schon angeboten. Aber das war nicht genug. Er brauchte viel mehr. Einige Tausend mindestens. So viel würde Freeman wohl nie freiwillig rausrücken. Man würde ihn dazu zwingen müssen.
Und sorgfältig überzeugte sich Archie davon, daß an seinem Revolver alles in Ordnung war.
Am Nachmittag fuhr Freeman in die Stadt. Er hatte sich genau überlegt, was er tun wollte, und dazu brauchte er die Antworten auf ein paar Fragen. Er steuerte den Wagen selbst. Eleanors Wagen hatte er vor die Garage gefahren, damit sie nicht etwa versehentlich in die Garage ging und Archies Wagen sah.
Das Büro von Bill Haines lag im Zentrum von Hamilton, an dem großen Platz mit dem Reiterstandbild von Alexander Hamilton, dem berühmten Gegenspieler Jeffersons, der der Stadt seinen Namen gegeben hatte. Grämlich blickte der große Politiker auf Freeman hinab, der seinen Wagen unmittelbar unter ihm parkte und zum Haus von Haines hinüberging.
Der Anwalt warf ein paar Leute heraus, als ihm Mr. Freeman gemeldet wurde. Haines pflegte seine Besucher in drei Gruppen einzuteilen, in solche, die er warten lassen konnte, in solche, die er notfalls hinauswerfen konnte, und in solche, die sofort zu ihm Zutritt hatten. Freeman gehörte zu diesen letzteren.
Der Bankdirektor betrat das Zimmer und trug sein forsches „Die-Börse-erholt-sich-schon-wieder-Lächeln“ leicht betrübt zur Schau.
„Tut mir leid, daß ich Sie störe, Bill“, sagte er, „ich habe ein paar juristische Fragen an Sie.“
„Aber bitte, Randolph!“ Haines wies auf einen Sessel. „Sie wissen doch, ich stehe jederzeit gerne mit Rat und Tat zur Seite. Wo brennt’s denn?“
„Nach wieviel Jahren verjährt ein Verbrechen?“ fragte Freeman.
Haines sah ihn überrascht an.
„Das ist nicht so ohne weiteres zu beantworten. Es hängt davon ab, um was für ein Verbrechen es sich handelt und wo es begangen wurde. Dachten Sie an einen bestimmten Fall?“
„Nein“, sagte Freeman, „ein Neffe von mir schreibt Kriminalromane und fragte mich, ob ich ihm diese Auskünfte verschaffen könnte.“
„Ah so“, machte Haines, „aber er muß doch an ein bestimmtes Verbrechen gedacht haben. Ist es Mord?“
„Nein — eigentlich Raub“, sagte Freeman zögernd, „der Fall sieht ungefähr so aus, daß zwei Männer in eine illegale Spielhölle eindringen und dort mit vorgehaltener Pistole die Herausgabe des gesamten Vermögens erzwingen. So sieht das Verbrechen aus, das mein Neffe mir geschildert hat.“
Haines lächelte amüsiert.
„Wenn es eine illegale Spielhölle ist, werden die Leute dort wohl kaum Anzeige erstatten, meinen Sie nicht?“
Freeman sah ihn überrascht an. Ihm schien ein Gedanke zu kommen.
„Demnach ist es überhaupt kein Verbrechen, nicht wahr?“ sagte er.
„So einfach dürfen Sie es sich nicht machen“, erklärte Haines, „natürlich ist es ein Verbrechen. Nur wird die Polizei sich nicht um seine Aufklärung bemühen, da sie von gar nichts weiß. Etwas anderes ist, wenn Anzeige erstattet wird. Das würde aber in Ihrem Fall bedeuten, daß die Leute damit selber ein Verbrechen zugeben würden — nämlich das Betreiben einer illegalen Spielhölle.“
„Wunderbar“, sagte Freeman aufgeräumt und rieb sich die Hände, „mein Neffe wird zufrieden sein. Ich wette, er ist gar nicht auf diese Idee gekommen. Diese jungen Leute!“ Er stand auf und verabschiedete sich von Haines.
„Sie haben mir einen großen Gefallen getan“, sagte er.
Der Anwalt trat ans Fenster und sah nachdenklich auf die Straße hinunter, bis Freeman dort erschien. Haines hatte in der letzten Zeit verschiedene Dinge beobachtet, die ihn nachdenklich gemacht hatten. Irgend etwas stimmte mit Freeman nicht, soviel stand fest. Und ich will nicht Bill Haines heißen, dachte er, wenn ich nicht genau weiß, daß Freeman überhaupt keinen Neffen hat.
Als Freeman wieder daheim war, sagte Eleanor zu ihm: „Ich habe den Monteur rufen lassen. Irgend etwas an meinem Wagen stimmt nicht. Ich wollte vorhin zu Vater fahren, aber der Motor sprang nicht an.“
„So“, meinte Freeman zerstreut, „und woran lag es?“
„Ich weiß es nicht“, erwiderte sie, „der Monteur muß jeden Augenblick hier sein.“
„Du kannst ja inzwischen’meinen Wagen nehmen“, schlug er ihr vor, „inzwischen bringt der Monteur deinen Wagen in Ordnung.“
Er wußte nicht, welche Schwierigkeiten er sich damit bereiten würde. Denn als Eleanor in seinem Buick davonfuhr, stand Archie Ballister im Keller am Fenster und starrte mißtrauisch hinaus. Archie hatte eine schlechte Nacht verbracht, und, was noch schlimmer war, er langweilte sich. Außerdem traute er Freeman nicht. Er wußte, daß Freeman nach einer Möglichkeit suchte, ihn loszuwerden. Archie war auf der Hut und verbrachte die meiste Zeit damit, durch das Fenster den Weg zu beobachten. So sah er auch den Wagen, in dem der Monteur kam.
Es war ein gelbes Fahrzeug mit schwarzer Reklameschrift darauf. Als Archie den Wagen in der Ferne sah, konnte er die Schrift noch nicht lesen. Im ersten Augenblick dachte er, es wäre ein Polizeiauto. Wilde Wut sprang in ihm hoch. Er riß den Revolver aus der Tasche und entsicherte ihn. Lauernd beobachtete er das sich nähernde Fahrzeug.
Auch als er die Schrift lesen konnte, legte sich sein Mißtrauen nicht. Es war ein Caravan ohne Fensterscheiben. Archie konnte sich leicht vorstellen, daß einige Polizisten auf der Ladefläche verborgen waren. Wer weiß, welche Teufelei Freeman ausgeheckt hatte.
Archie sah den Monteur in seinem grünen, fleckigen Overall aussteigen und zur Haustür gehen. Wenige Minuten später tauchte er wieder auf, begleitet von dem Diener John. Die beiden gingen ums Haus herum.
Die Garage, durchzuckte es Archie. Dort stand der gestohlene Chevrolet. Wenn der Monteur die Garage betrat und den Wagen sah, war er geliefert. Denn immer noch waren die beiden flüchtigen Verbrecher das Tagesgespräch in Hamilton. Freeman hatte ihm am Morgen die Tageszeitung gebracht, und da war ein langer Artikel über ihren Fluchtweg drin gewesen. Und am Schluß die lapidare Bemerkung, jeder Bürger von Hamilton solle die Augen aufmachen.
Archie verließ die Werkstatt und suchte nach einem Fenster, von dem aus er die andere Seite des Hauses mit der Garage beobachten konnte. Das war nicht ohne weiteres möglich. Der einzige Raum, der ein solches Fenster hatte, war der Weinkeller, und der war fest verschlossen.
Es dauerte einige Minuten, bis Archie in der Werkstatt ein Brecheisen gefunden hatte, mit dem er die Tür aufbrechen konnte. Dann stand er am Fenster und sah lauernd hinaus. Seine Finger umkrampften den Revolver. Doch was er sah, beruhigte ihn zunächst.
Vor der Garage stand ein hellblaues Cabriolet. John führte den Monteur dorthin. Das Fenster stand offen, so daß Archie die Unterhaltung der beiden deutlich verstehen konnte.
„ … irgendein Fehler am Wagen von Mrs. Freeman“, sagte John, „Mrs. Freeman wünscht, daß Sie die Sache so bald wie möglich in Ordnung bringen.“
„Ich wette, der Tank ist leer“, lachte der Tankwart. Er war ein kleiner Mann mit einem faltigen Gesicht, das aussah wie gegerbtes Leder. „Das letzte Mal“, fuhr er fort, „hatte Mrs. Freeman vergessen, die Handbremse zu lockern. Immer wenn sie versuchte, anzufahren, würgte sie den Motor ab. Wenn ich ihr zu etwas raten dürfte, dann zu einem Chauffeur.“
„Das würde Sie ja brotlos machen“, sagte John anzüglich, „ein Chauffeur würde für das Auswechseln von zwei Zündkerzen sieben Dollar verlangen.“
„Da haben Sie auch wieder recht“, brummte der Mann und öffnete die Kühlerhaube. Während er sich prüfend über den Motor beugte, stand John abwartend daneben.
„Versuchen Sie mal, anzulassen“, sagte der Monteur.
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