„Sie sind immerhin der Vater und könnten ihn mit der Polizei zurückholen lassen!“ In Haines regte sich der Rechtsanwalt.
Freeman schüttelte den Kopf.
„Ausgeschlossen. Ich habe das schon mit Eleanor besprochen. Meine Frau und ich können uns keinen Skandal leisten. Wir lassen nicht zu, daß unser Sohn unsere gesellschaftliche Stellung zerstört.“
„Sie müssen wissen, was Sie tun“, brummte Haines, „mir jedenfalls wäre das Schicksal meines Sohnes nicht so gleichgültig.“
Einen Augenblick lang herrschte ein unbehagliches Schweigen zwischen ihnen, dann machte Freeman eine wegwerfende Handbewegung.
„Wir regen uns ja über harmlose Dinge auf“, lachte er, „ich möchte wetten, George sitzt in New York in einem komfortablen Appartement und läßt es sich gutgehen.“
Er wurde durch das Radio unterbrochen. Die Musik verstummte, und eine Stimme sagte:
„Achtung, Achtung, wir bringen eine wichtige Durchsage!“
„Schalt doch ab, Darling“, sagte Eleanor Freeman zu ihrem Mann, „was interessiert uns das?“
„Man kann ja warten, bis man weiß, worum es sich handelt“, meinte Haines.
„Na schön!“ Freeman zuckte die Schultern.
„Seit gestern“, fuhr die Stimme im Radio fort, „jagt die Polizei zwei flüchtige Schwerverbrecher, welche gemeinsam in Dover bei New York einen Raubmord begangen haben. Auf der Flucht wurden sie von einem Polizisten gestellt, der jedoch von einem der beiden Männer erschossen wurde. Dabei wurde einer der Männer erkannt. Es handelt sich um Archie Ballister, einen Verbrecher, der seit Jahren gesucht wird und vermutlich die letzten Jahre in Mexiko verbracht hat. Sein Komplice konnte nicht erkannt werden. Die beiden Verbrecher wurden heute früh in Athens im Staat Georgia in einem gestohlenen Wagen gesehen, konnten jedoch entkommen. Ihre letzte Spur führt nach Hamilton. Bürger von Hamilton! …“
„Das sind wir“, flüsterte Mrs. Freeman ziemlich überflüssig.
„Wer hat zwei verdächtige Männer gesehen?“ fuhr die Stimme fort, „wer hat einen alten Chevrolet mit New Yorker Nummer gesehen? Sachdienliche Mitteilungen nimmt jede Polizeidienststelle entgegen.“
Die Stimme brach ab, und es setzte wieder Musik ein. Freeman hatte ein seltsames Gefühl in der Magengrube. Seine Gedanken kreisten um den im Keller sitzenden Archie Ballister. Mord war es also, weswegen er gesucht wurde. Raubmord! Und er, der Bankdirektor Freeman, mußte den Raubmörder schützen. So konnte das nicht lange gutgehen. Es mußte etwas geschehen.
„Was hast du, Darling?“ hörte er Eleanors Stimme neben sich.
„Nichts!“ Er fuhr sich mit der Hand geistesabwesend über die Stirn.
„Vielleicht hat ihn die Durchsage im Radio aufgeregt“, sagte Mrs. Haines.
Freeman fuhr hoch.
„Natürlich nicht.“ Er fuhr weniger heftig fort: „Ihr müßt entschuldigen. Ich bin überarbeitet. Spielen wir weiter.“ Er nahm die Karten hoch und begann sie zu verteilen.
Haines lehnte sich bequem zurück.
„Immerhin ist es doch ein unangenehmer Gedanke, daß hier in der Gegend zwei Raubmörder sein sollen. Ich würde mich in dieser einsamen Gegend nicht ganz wohl in meiner Haut fühlen.“ Er studierte nachdenklich seine Karten. „Wirklich“, sagte er, „es ist ein unangenehmer Gedanke.“
Freeman benützte die nächste sich ihm bietende Gelegenheit, um Archies Chevrolet in die Garage zu schaffen. Dazu mußte er erst seinen eigenen Buick aus der Garage heraus- und dann den Chevrolet hineinschieben, denn er wagte nicht, den Motor anzulassen. Man hätte es womöglich im Hause gehört. Es war ein hartes Stück Arbeit, und Freeman fluchte rechtschaffen, als er die Garagentür abschloß und den Schlüssel zu sich steckte. Dann ging er in den Keller.
Archie Ballister lag auf dem Boden und schlief. Er richtete sich auf, als Freeman eintrat. Bösartig starrte er den Ankömmling an.
„Soll ich vielleicht die ganze Zeit auf dem Zementboden liegen?“ sagte er wütend. „Willst du mich etwa auf diese Art fertigmachen?“
„Es täte mir nicht leid, wenn du krepieren würdest“, versetzte Freeman ungerührt, „aber leider erlebe ich diese kleine Freude nicht. Hier habe ich dir etwas mitgebracht.“ Er stellte eine Flasche Whisky, die er unter den Arm geklemmt hatte, auf den Tisch und legte ein paar Schachteln Zigaretten daneben. Dann warf er ein paar Decken daneben.
„Das muß vorerst genügen“, sagte er. „Du bekommst Matratzen, sobald alles schläft. Ich muß jetzt wieder hoch, ich habe Gäste. Und daß du dich anständig verhältst und keinen Lärm machst. Ich habe keine Lust, wegen eines Raubmörders in Schwierigkeiten zu kommen.“
Mit einem Satz war Archie bei ihm und packte ihn an der Brust.
„Was sagst du da?“ rief er wild, während er Freeman hin und her schüttelte. „Raubmörder? Nimm dein loses Maul in acht, sonst erlebst du etwas.“
Freeman machte sich mit einem Ruck los.
„Du brauchst mir kein Theater vorzuspielen, Archie“, sagte er spöttisch, „dein hübscher Name wurde eben im Radio erwähnt. Die Bürger von Hamilton wurden zur Zusammenarbeit mit der Polizei aufgefordert. Ich bin zufälligerweise Bürger dieser freundlichen Stadt und müßte eigentlich meiner Bürgerpflicht genügen. Schon wer eine verdächtige Gestalt gesehen hat, soll es melden. Und daß du mehr als verdächtig aussiehst, Archie, wirst du wohl nicht leugnen.“
Archie sah ihn an und sagte sachlich:
„Man sollte dir alle Zähne einschlagen.“
Seufzend wandte sich Freeman ab.
„Du wirst nie ein feiner Mensch werden, Archie. Deshalb hast du es auch zu nichts gebracht.“ Er ging zur Tür. „Ich werde später noch einmal in den Keller kommen.“ Damit verschwand er, während Archie sich wieder fluchend auf den kalten Boden legte und versuchte, sich mit den Decken einigermaßen zu wärmen.
Spät am Abend, als die Haines fort waren und Eleanor schon im Bett lag, kam Freeman noch einmal hinunter und brachte Archie ein paar Matratzen. Dann ging auch er schlafen mit der geheimen Furcht im Herzen, welche Schwierigkeiten ihm sein ungebetener Gast noch bereiten würde.
Am anderen Morgen tauchte der alte Miller überraschend auf. Freeman hätte sich über jeden anderen Besuch mehr gefreut, und wenn es der Polizeipräsident gewesen wäre.
Miller betrat das Wohnzimmer und sah sich mißbilligend um. „Hier hängt wieder ein kalter Hecht in der Luft“, sagte er und schüttelte den Kopf. „Hat Eleanor Ihnen noch nie gesagt, Sie sollen nicht so viel rauchen?“
„Ich rauche, soviel ich will, Mr. Miller“, sagte Freeman, der Mühe hatte, sich zu beherrschen, „und wann ich will“, setzte er hinzu.
Miller warf seine gelben Lederhandschuhe auf den Tisch. Er hatte keine Lust, sich mit seinem Schwiegersohn zu streiten. „Mr. Freeman“, sagte er — sie nannten sich gegenseitig immer steif beim Nachnamen — „Mr. Freeman, was gibt es Neues in der Bank?“
„Die Geschäfte gehen gut“, sagte Freeman, „das müßten Sie eigentlich wissen. Schließlich gebe ich Ihnen täglich telefonischen Bericht.“
„Warum sind Sie so gereizt?“ verwunderte sich Miller.
„Weil ich nicht mag, daß man dauernd versucht, mich zu bevormunden“, entfuhr es Freeman, obwohl das ein schwerer Fehler sein konnte.
Er hatte Glück. Miller mixte sich verblüfft einen Whisky mit Soda und sah ihn dann nicht unfreundlich an.
„So sind Sie schon bedeutend besser, mein Junge“, sagte er väterlich und hob sein Glas, „noch zehn Jahre, und Sie sind ein prima Bankfachmann. Sie beginnen Energie zu entwickeln, und das gefällt mir.“
„So“, meinte Freeman, der sich fragte, worauf der Alte hinsteuerte. Er kannte Miller. Der war nie freundlich, wenn er nicht eine bestimmte Absicht dabei hatte.
„Und wie geht es sonst?“ fragte Miller.
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