1 ...7 8 9 11 12 13 ...18 Arjuna, der Kontakt der körperlichen Sinne mit den Gegenständen und anziehenden Gegebenheiten in der Welt erzeugt Gefühlsstimmungen wie Kummer oder Glück und Empfindungen wie die von Hitze oder Kälte. Aber sie sind allesamt vergänglich, flüchtig; sie kommen und gehen wie vorüberziehende Wolken. Ertrage sie einfach geduldig und tapfer; lerne, dich durch sie nicht beeinflussen zu lassen.
(Kapitel 2, Vers 14)
Der heitere und gelassene Mensch, unbeeinflusst durch diese weltlichen Gefühlsstimmungen und Empfindungen, ist in Schmerz und Freude dieselbe Person und lässt nicht zu, dass er gestört oder abgelenkt wird. Dieser ist der zur Unsterblichkeit fähige Mensch. Mach dir dies klar und behaupte deine Stärke, Arjuna. Setze dein wahres Selbst nicht schlichtweg mit deinem sterblichen Körper gleich.
(Kapitel 2, Vers 15)
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Zurück zum Text. Lust und Schmerz sind Empfindungen, die mit dem Sehen oder Hören verglichen werden können. Um zum Selbst vorzudringen, muss ich all das hinter mir lassen. Die Übung: Gleichmut und Geduld. Denken wir an „Karma“ zurück. Dort haben wir gesehen, dass der Gedanke die Wurzel der Tat ist. Das Sānkhya beschreibt Gedanken als ebenso real wie die körperliche Empfindung oder die Welt vor unseren Augen. Alles ist Prakṛti. Und alles hat einen Einfluss auf unsere Taten, auf unser Karma. Egal auf welcher Ebene mein Ich, bestehend aus dem physischen und psychischen Ich, beeinflusst oder manipuliert wird, mein Verhalten wird beeinflusst oder manipuliert sein. NUR wenn ich mein gesamtes Ich zur Ruhe bringe, alle fünf Bewusstseinsebenen beziehungsweise alle 24 Tattvas, kann ich den Puruṣa, mein wahres ewiges Selbst, erleben. Nur DORT gibt es Antworten auf alle Fragen, nur DORT liegen alle Baupläne und Bedienungsanleitungen des Lebens und der Welt auf, auch wenn es dort weder Worte noch Sprache noch Bilder gibt ...
Im hinduistischen Mythos gab es am Anbeginn der Zeit etwas, das dem Urknall sehr nahe kommt. Dabei gilt die Vorstellung, wie sie in den Upanischaden bereits beschrieben ist, dass der Kosmos in Ewigkeit kommt und geht, geboren wird und stirbt. Beim Anbruch des Brahmā-Tages entsteht der Kosmos. Ein Brahmā-Tag dauert 1000 Yugas, was 4.320.000.000 Jahren entspricht. Am Abend des Brahma-Tages erlischt der Kosmos. Die Brahma-Nacht dauert so lange wie der Tag, 1000 Yugas oder 4.320.000.000 Jahre. Am Morgen entsteht dann der Kosmos von neuem. Und so geht es in Ewigkeit weiter. Der Kosmos unterliegt dabei der Sterblichkeit, wie jedes einzelne Lebewesen auch. Diese hinduistische Vorstellung entspricht der modernen Vorstellung zeitgemäßer Kosmologie von dem sich ausdehnenden und zusammenziehenden Universum.

Bricht ein neuer Brahmā-Tag an, gerät Prakṛti ins Ungleichgewicht und differenziert sich zu den drei Grundzuständen der Urenergie: Diese sind die Guṇas (Sanskrit guṇa, maskulin, wörtlich „Spur“, „Faden“), die „Grundeigenschaften“.

Alles, was sich danach entwickelt, besteht aus ihnen: Tamas (Sanskrit tamas, neutral, wörtlich „Dunkelheit“), die Trägheit, Rajas (Sanskrit rajas, neutral, wörtlich „Raum“, im Yoga-Kontext als Unruhe, Getriebenheit übersetzt), die Aktivität, und Sattva (Sanskrit sattva, neutral, wörtlich „Sein“, „Dasein“, auch „Licht“, „Reinheit“), die Harmonie oder das Gleichgewicht. Ein schöner Vergleich sind die drei Aggregatzustände einer Materie in der Physik, zum Beispiel von Wasser: fest, flüssig und gasförmig. Tamas ist wie gefrorene Energie, der Trägheitszustand, wie ein Eisberg, der viel Energie in sich gespeichert hat, um den Berg zu bilden. Wenn der Berg schmilzt, wird ein Teil der Energie frei: Raja, die Aktivität, das fließende Wasser, das als Fluss den Berg hinunterläuft und die Kraft für Wasserräder und ein Kraftwerk liefern kann. Sattva, die Harmonie, das Gleichgewicht, entspricht in unserem Gleichnis dem Wasserdampf, welcher die Schwerkraft überwindet und aufsteigt. Wird Wasser erhitzt, gibt es seine ganze Energie ab und das Wasser löst sich auf, es entsteht Dampf. Die Guṇas können, so wie Wasser, ineinander umgewandelt werden.

Guṇa bedeutet Faden, welcher das eigentliche Gewebe des Seins bildet. Die Prakṛti setzen sich also aus den Guṇas zusammen, welche sich wie ein Vorhang über den Puruṣa legen und damit die Basis aller Verwechslung, aller Māyās, bilden: Man sieht nur mehr den Vorhang, der Puruṣa ist dahinter verborgen.
Die Guṇas kann man auch als Schichten des Bewusstseins betrachten.
Dabei ist Tamas das „Unbewusste“, das tief in uns drinnen steckt und bewusst nicht erreicht werden kann. Es erzielt einen Effekt auf uns und unser Handeln, ohne dass wir den Zusammenhang je sehen, wie bei obigem Beispiel ein „großer Eisberg, der einen Schatten auf das Bewusstsein wirft“
oder „ein Rucksack der Vergangenheit, den jeder mit sich herumträgt“.
In diesem Sinne gibt es auch ein „kollektives Unbewusstes“, wenn einem Volk zum Beispiel in der Vergangenheit etwas Schlimmes passiert ist und das alle weiteren Generationen beeinflusst, so wie es zum Beispiel den Juden im Rahmen der jüdischen Diaspora, der Zerstreuung ihres Volkes, bis heute ergeht und auf jeden einzelnen Juden auf dieser Welt einen Einfluss hat.
Rajas, oft auch als Unruhe und Getriebenheit übersetzt, entspricht dem unruhigen Geist, unserem Denken, das einfach nicht stillstehen kann. Im Buddhismus spricht man von „Affengeist“: Der Affe und sein Geist müssen ständig beschäftigt sein, damit sie nichts anstellen.
Sattva stellt die Harmonie im Bewusstsein her. „Reines Sein“, nicht mehr und nicht weniger, ohne Fragen und Antworten, innerlich losgelöst, äußerlich strahlend und voller Licht. Sattva stellt sich ein, wenn man sich in seinem Gleichgewicht befindet, wenn man sein Dharma lebt und mit sich und der Welt im Reinen ist.
(Hier borge ich mir schon einmal ein Symbol aus der Chinesischen Tradition aus. Dazu kommen wir später noch ...)
ALLES in unserem Geiste und der Welt da draußen ist Ausdruck aller drei Guṇas, wobei immer jeweils ein Guṇa dominiert. Eine „Tamas-Person“ wirkt zum Beispiel niedergeschlagen und energielos und hängt in Gedanken der Vergangenheit nach. Eine „Rajas-Person“ wäre zum Beispiel eine alleinerziehende Mutter mit Managerjob, die nie ruhig sitzen kann und alles schafft, aber um welchen Preis ... Eine „Sattva-Person“ wäre der ideale Politiker, der immer ruhig bleibt, alle Streite schlichtet und dabei nie Partei ergreift, der zielgerichtet weise Entscheidungen für das Land trägt. Natürlich sind das nur Extrempole der drei Ausprägungen. Dazwischen gibt es alle erdenklichen Mischungen.
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