Die Sonne war vollständig verdeckt. Der Wind aus dem nördlichen und westlichen Sektor ließ nach, während sich sowohl die Monsunwolken als auch das turmartige Gebilde der Gewitterwolke vergrößerten.
„Hugh“, sagte Ruthland und hoffte möglichst bald am Ende der Dünen und des Sandstreifens eine Bachmündung oder eine Bucht zu entdecken, „das sieht nicht gut aus.“
„In einer Stunde spätestens ist der Regen über uns“, antwortete Lefray. Sie waren seit der Morgendämmerung nicht aus den Stiefeln gekommen und total erschöpft. „Dazu das Gewitter. Wenn wir keine Bucht finden, müssen wir wieder aufs Meer hinaus verholen.“
„Sehe ich ein“, entgegnete Ruthland. „Aber bisher hatten wir immer Glück.“
Auch die Mannschaft war unruhig geworden. Immer häufiger warfen sie lange Blicke voller Besorgnis zum Strand hinüber. Die Dünen schienen höher geworden zu sein, auch der Bewuchs nahm zu. Einzelne Bäume schoben sich hinter dem Sand in die Höhe. Nicht ein einziger Vogel war in der Luft, die Tiere schienen den aufziehenden Sturm zu fürchten.
„In gut einer Stunde ist es unmöglich, zu sehen, wohin wir segeln.“
„Wissen wir, Francis“, erwiderte Lefray und schüttelte sich, als ein Schauer von Tropfen sein Gesicht traf.
Die Verbände der „Ghost“ knarrten und knirschten. Noch reichte der Wind, um das Schiff in guter Fahrt durch die Wellen zu schieben. Wieder hoben Ruthland und Lefray ihre Spektive. Die Sicht wurde in dem rötlichen Zwielicht immer schlechter, aber am Ende dieses Strandabschnittes schoben sich kantige Felsen zwischen den Dünen bis zum Wasser vor.
„Vielleicht gibt es ein Loch für uns hinter den Felsbrocken!“ rief Ruthland, als er die hochschießenden Brandungswellen und den Gischt an den zerklüfteten Steinen erkannt hatten.
„Abwarten.“
Es war ein Wettrennen zwischen Dunkelheit und der Hoffnung, doch noch einen Ankerplatz zu finden, der gegen allzu hohe Wellen, gegen Sturm und Gewitter schützte. Die Zeit schien viel zu langsam zu vergehen, die Karavelle näherte sich dem äußersten Punkt des Ufers mit der Langsamkeit einer Schildkröte – so schien es den Kerlen.
Die Felsen bildeten ein kleines Kap. Als die „Ghost“ näher stampfte, stellte sich heraus, daß die Dünen flacher wurden, daß aus den einzelnen Felsen eine schräge, wuchtige Felsplatte wurde, in der ein breiter Spalt klaffte, so breit wie die „Ghost“ lang war.
Hinter der Felsplatte begann ein niedriger Wall aus Büschen, dann erstreckte sich bis zur Kimm nur eine Landschaft aus Dünen und schräg ansteigendem Sandstrand.
Lefray richtete schweigend und voller neuer Hoffnung den Kieker auf die Stelle und erkannte, daß sich hinter dem Spalt ein kleiner Fjord im Fels öffnete, dessen Wände doppelt so hoch aufragten wie die Masten der Karavelle.
„Das ist es, Francis!“ brüllte Lefray begeistert.
Der Kapitän hatte den Einschnitt im selben Augenblick entdeckt. Sofort rief er seine Befehle aus. Die Karavelle verschwand wieder in einem Wellental, der rettende Felsdurchbruch senkte sich hinter den Wellenkamm.
Die „Ghost“ schüttelte sich, als der Rudergänger sie nach Backbord zwang. Die ersten Regentropfen, nur ein leichter Schauer, prasselte in die Segel und auf die Planken, aber der Wind hatte nachgelassen.
Kommandos und Bestätigungen hallten über das Deck. Die Segel wurden backgebraßt, und in einem Viertelkreis, stampfend und gischtend, schwang der Bug herum. Der Bugspriet zielte genau auf die Mitte der Passage zwischen den Felsen. Im Bereich der Brandung sprangen gerundete Klippen und Brocken weit ins Wasser vor, die Felswände und der Hintergrund des kurzen Fjordes waren zerrissen und zerklüftet.
„Genug Wasser unterm Kiel!“ rief Coughlan von der Back.
Wieder wurden die Riemen losgebändselt und in Bereitschaft gehalten. Die Karavelle verlor an Fahrt. Der Wind aus Südwesten packte das Schiff, während die Segel aufgegeit wurden.
„Recht so. Wir schaffen es!“ rief Ruthland.
„Kurs halten!“ tönte der Ruf von der Back.
Die Karavelle hatte die Richtung geändert, sie glitt geradeaus durch die Wellen, genau auf die Mitte des Durchlasses zu. Drei Männer rannten zum Bug, enterten zur Back auf und klarten Anker und Ankertau auf. Der Regen wurde heftiger, als die beiden Seiten des Schiffes die schweren Brecher der Brandung gegen den Fels schmetterten, sich donnernd aufwarten und über den Stein in die Höhe zu klettern schienen. Eine Weile hob die „Ghost“, schob sie auf die Passage zu und hindurch.
„Anker klar zum Fallen!“ brüllte Ruthland.
Die Brandung war lauter als Geschützdonner. Plötzlich glitten die Felswände rasend schnell vorbei. Im letzten Licht sahen die Engländer, daß der Felsenkessel höchstens zwei Kabellängen Durchmesser hatte und das fast schwarz scheinende Wasser überraschend ruhig war, fast ohne Wellen. Die Tropfen plätscherten herunter, der Regen wurde dichter.
„Fallen Anker!“ befahl Lefray.
Klatschend verschwand der Anker im Wasser. Knapp zehn Faden Ankertau schlängelten sich durch die Klüse, die Trosse wurde kurz belegt. Dann faßte der Anker Grund, das Schiff schwojte, vom eigenen Schwung getragen, nach Backbord und glitt in die Mitte des Felsenkessels. Es war unnatürlich ruhig geworden, nur das Geräusch des fallenden Regens nahm zu. Es gab nur noch einen Rest Tageslicht, als die Blicke der Crew die Felswände musterten.
„Flut“, sagte Coughlan scharf.
Es gab an den Felsen nur die Markierungen von Springtiden. Das Wasser hatte in dem unregelmäßig runden Kessel den Stand erreicht, der für die Flut galt. Fast alle waagerechten Markierungen und Ablagerungen waren bedeckt.
„Gebt noch fünf Faden zu. Dann belegt die Trosse“, sagte Lefray.
„Aye, Sir.“
Als das Tau ausgesteckt war und die Crew im strömenden Regen die Segel belegte, hatte die „Ghost“ fast gedreht und den Bug zur Passage hin geschwenkt. Ein kurzer Stoß ging durch das Schiff, dann ertönte ein mörderisches Knirschen und Ächzen.
Die Seeleute wurden von den Beinen gefegt und rutschten auf den nassen Decksplanken aus. Aus dem Inneren des Rumpfes ertönten laute, knackende Geräusche. Dann kippte die „Ghost“ um ein oder zwei Fuß nach Steuerbord und rührte sich nicht mehr.
Francis Ruthland schloß die Augen und fing zu fluchen an.
Die Karavelle saß fest. Nach den Geräuschen und dem Verhalten des Schiffes zu urteilen, hatte sich der Kiel nicht im Schlick festgefressen, sondern zwischen Unterwasserfelsen geschoben.
Hugh Lefray und Coughlan fluchten noch lauter als der Kapitän.
Und das auch noch bei Flut und in der Dunkelheit! Dazu im warmen Regen, der so dicht war, daß man vom Heck die Back nicht mehr sehen konnte.
Und natürlich verfluchten sie alle den Seewolf, der sie in diese Lage gebracht hatte.
Don Juan de Alcazar faltete das weiße Tuch auseinander und begann, sein Gesicht, das Haar und den Hals abzutrocknen. Seewasser biß in den Augen und schmeckte bitter auf den Lippen und der Zunge. Zwei Tranfunzeln brannten ruhig und verströmten gelblichweißes Licht. Der Spanier achtete sorgfältig darauf, daß er von seiner Jacke keine Wassertropfen auf Dans Karten schleuderte, als er sie vorsichtig auszog.
„Mittlerweile sind wir von der Tapti-Mündung wohl nicht mehr allzuweit entfernt, Dan?“ fragte er. „Wir haben, trotz der Suche und des Aufenthaltes, fast immer eine gute Geschwindigkeit herausgesegelt.“
Dan O’Flynn hatte an seinen Karten gearbeitet, seine flüchtigen Notizen eingetragen, Inseln eingezeichnet und seine Bemerkungen hinzugefügt: Zeichen, Wörter und Abkürzungen. Er hob den Kopf, legte die Feder weg und blickte in die dunklen Augen Don Juans.
„Wir sind noch ein gutes Stück davon entfernt. Im Norden der Mündung, natürlich.“
Читать дальше